Mittel gegen Malaria:Hefe als Arznei-Fabrik

Eines der wirksamsten Malaria-Medikamente stammt aus einer Pflanze. Das Kraut ist ein behäbiger und schwer kontrollierbarer Pharma-Lieferant. Forscher versuchen daher, den Wirkstoff im Labor nachzubauen. Der Haken: Sie bedienen sich einer Methode, die ethisch umstritten ist.

Von Katrin Blawat

Der Einjährige Beifuß sieht nicht danach aus, als könne er viel zur Gesundheit von Millionen Menschen beitragen. Mit seinem Wuchs und den kleinen, gelben Blüten wirkt das Gewächs wie klassisches Unkraut. Doch aus der Pflanze lässt sich ein wirksames Mittel gegen Malaria gewinnen: Es nennt sich Artemisinin. Kombiniert mit weiteren Wirkstoffen, ist es derzeit die beste Waffe gegen die Tropenkrankheit. Daher empfiehlt auch die Weltgesundheitsorganisation seit Jahren die sogenannten Artemisinin-Kombinations-Therapien (ACT).

Doch die Pflanzen sind behäbige und schwer kontrollierbare Pharma-Lieferanten. Ihr Wirkstoffgehalt schwankt je nach Region und Jahreszeit. Im Zeitalter der Biotechnologie erscheint die Lösung naheliegend: Lässt sich der Wirkstoff nicht auch im Labor herstellen, wie es seit Jahren mit vielen anderen Medikamenten gemacht wird? Lange scheiterten Forscher daran, zu komplex war die chemische Struktur der Substanz.

Nun beschreibt ein Team im Fachmagazin Nature (online) erstmals eine Methode, wie sich Artemisinin in großem Maßstab herstellen lässt - ohne eine einzige Beifuß-Pflanze. An diesem Donnerstag eröffnet der Pharmakonzern Sanofi eine Anlage im italienischen Garessio, die Artemisinin mit dem neuen Verfahren herstellt.

Lediglich einige Gene des Krauts benötigte das Team um Jack Newman, Forschungschef der kalifornischen Biotech-Firma Amyris. Die Gen-Schnipsel bastelten die Wissenschaftler zusammen mit weiteren DNA-Stücken aus Bakterien in das Erbgut der Bäckerhefe. So brachten die Forscher die Hefe dazu, eine Basis-Substanz für den Malaria-Wirkstoff zu bilden, die Artemisininsäure. Aus ihr entsteht durch chemische Bearbeitung das Artemisinin, wie die Autoren ebenfalls beschreiben. Die Ausbeute sei mit bis zu 45 Prozent deutlich besser als bei den bisherigen Versuchen.

Erste Versuche, Artemisinin mithilfe von Mikroorganismen herzustellen, machten Jack Newman und sein Co-Autor Jay Keasling bereits im Jahr 2004 an der University of California in Berkeley. Schon nach kurzer Zeit konnten die Forscher Erfolge melden. Das Verfahren funktionierte im Prinzip - doch nur in winzigem Maßstab. Schwierig blieb hingegen, die Methode so zu verändern, dass sich mit ihr Artemisinin tonnenweise herstellen lässt, wie der Nature-Artikel nun beschreibt.

Gentechnik in neuen Dimensionen

Dieses Problem kennt auch Peter Seeberger vom Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. Er hat im vergangenen Jahr ebenfalls ein Verfahren vorgestellt, wie sich aus dem Vorläuferprodukt Artemisininsäure der Wirkstoff Artemisinin herstellen lässt - bislang aber nur in kleinem Umfang. "Was Keasling mit seinen Hefen macht, ist super", sagt Seeberger. Sein eigenes Verfahren hält er jedoch ebenfalls für zukunftsfähig - schließlich betrage die Artemisinin-Ausbeute damit sogar 65 Prozent. Eine von ihm mitgegründete Firma arbeitet derzeit daran, die Produktion auch im industriellen Maßstab zu ermöglichen.

Dennoch gelten Keaslings und Newmans Versuche seit Langem als Vorzeige-Projekte der sogenannten Synthetischen Biologie. Diese Disziplin treibt die üblichen Methoden der Gentechnik in neue Dimensionen: Forscher bauen nicht mehr nur einige wenige fremde Gene in ein Bakterium oder einen Hefepilz ein. Stattdessen liegt das Ziel im Extremfall darin, einer Mikrobe eine komplett neue genetische Ausstattung zu verpassen.

So ließen sich zum Beispiel Mikroorganismen zusammenbasteln, die giftige Substanzen nach Umweltkatastrophen abbauen oder Treibstoff produzieren - oder Medikamente, die sich mit den üblichen gentechnischen Methoden nicht herstellen lassen. Solche Visionen sollen die Kritik entkräften, mit der Synthetischen Biologie würden Forscher "Gott spielen" oder zumindest mit unberechenbaren Folgen in der Natur herumpfuschen.

Wie weit die Synthetische Biologie gehen soll oder darf, ist noch Gegenstand ethischer Debatten. Bislang aber interessierten die Ergebnisse dieser Forschung vor allem Fachleute. Die praktische Anwendung zum Wohl der Menschheit blieb ein Zukunftsszenario. Das ändert sich nun mit dem Artemisinin-Projekt, dessen potenzieller Nutzen eindeutig ist.

Mehr als 200 Millionen Menschen erkranken jährlich an Malaria. Von ihnen sterben, je nach Hochrechnung zwischen 650.000 und 1,2 Millionen. Die Artemisinin-Kombinations-Therapien können lebensgefährliche Komplikationen verhindern. Dazu werden allein in diesem Jahr 180 bis 200 Tonnen Artemisinin benötigt, schätzt die Initiative "Assured Artemisinin Supply System". Sie gehört zu einer Unterorganisation der WHO. Der zum Teil hohe Preis des Artemisinins - er schwankt zwischen 250 und gut 1000 Dollar pro Kilogramm - verführt jedoch zu Fälschungen. Schätzungen zufolge enthalten bis zu 40 Prozent der in Afrika verfügbaren ACT keinen oder zu wenig Wirkstoff.

Das neue Medikament ist genauso teuer

Auch dieses Problem könnte sich mit dem industriell hergestellten Artemisinin mindern, hofft nicht nur die Biotech-Firma Amyris. Neben der Gates-Stiftung - einem der wesentlichen Geldgeber - beteiligt sich seit 2007 auch der Pharmakonzern Sanofi an dem Projekt - ohne finanzielle Gewinnabsichten, wie Konzern-Sprecher Philipp Heinz betont. Auch Amyris macht keine Patentansprüche geltend.

In der nun eröffneten Anlage in Italien soll fortan in großer Menge das sogenannte halb-synthetische Artemisinin entstehen - und einen Wandel in der kommerziellen Produktion des begehrten Wirkstoffs einläuten. "Unser Produkt wird voraussichtlich in einigen Wochen oder Monaten auf den Markt kommen", sagt Heinz.

Im vergangenen Jahr habe man mithilfe der gentechnisch veränderten Hefen bereits etwa 39 Tonnen der Vorläufersubstanz sowie einige Tonnen des eigentlichen Wirkstoffes hergestellt, berichteten Sanofi-Vertreter im Januar auf einer Konferenz in Nairobi. Für dieses Jahr liege das Ziel bei 35 Tonnen Artemisinin, von 2014 an bei 60 Tonnen.

Der Preis liege wahrscheinlich bei 350 bis 400 Dollar pro Kilogramm, also ähnlich hoch wie der des Artemisinins aus der Pflanze. Deutliche Unterschiede gibt es hingegen in der Produktionsdauer: Während die Herstellung aus Pflanzen anderthalb Jahre dauern kann, entsteht der halb-synthetische Wirkstoff in drei Monaten.

Während somit für Malariakranke weltweit Hoffnung besteht, klagen jene Landwirte in China, Vietnam und einigen anderen Ländern, die ihr Auskommen bislang mit dem Anbau der Beifuß-Pflanze verdienen. Weltweit wird das Kraut auf gut 22.000 Hektar Land angebaut. "Die Entwicklungen der Synthetischen Biologie könnten die Lebensgrundlage von Tausenden Kleinbauern zerstören", befürchten Organisationen wie die kanadische ETC Group. Sanofi-Sprecher Heinz sagt, man wolle daher bewusst nicht den gesamten Bedarf an Artemisinin aus biotechnologischer Produktion decken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: