Missbrauch der Ambulanzen:Leute wie ich sind das Problem

Notaufnahme des Klinikums der Universität München

Notaufnahme des Klinikums der Universität München.

(Foto: dpa)

Unser Autor gesteht: Auch er geht wegen Kleinigkeiten in die Notaufnahme - weil es praktisch ist. Von einer Zuzahlung hält er nichts. Es gibt nämlich eine bessere Lösung.

Von Felix Hütten

Ab in die Notaufnahme. Am Wochenende, wegen Alltagswehwehchen, ein Holzsplitter im Ringfinger. Beim Umzug reingerammt. Mein Finger wird rot, schwillt an. Ich muss was unternehmen. Die Hand schmerzt ohne Pause, es ist Sonntagabend. Und die kommende Woche: Voll mit Terminen, Flug nach München, Flug nach Berlin, wann soll ich da noch zum Arzt?

Ich google: "chirurgische Notaufnahme". Treffer: Städtisches Krankenhaus. Na also. Ein junger Arzt schaut sich meinen Finger an. Kein Notfall, sagt er freundlich. Hätte man auch morgen noch machen können.

Bitte keine "das-steht-mir-zu"-Mentalität

Ich verstehe das Problem: Die Notaufnahme ist nicht für mich da, nicht für einen entzündeten Finger. Das verursacht hohe Kosten, weshalb manche Mediziner eine Zuzahlung fordern. Denn die Notaufnahme ist für Notfälle da. Für gebrochene Oberschenkel und tiefe Schnittwunden, für Herzinfarkte und Schlaganfälle.

Auch ich halte nichts von der "das-steht-mir-zu"-Mentalität, mit der viele Patienten die Notaufnahme betreten. Eine Notaufnahme ist keine Arztpraxis, sondern ein Ort der Maximalmedizin, ausgestattet mit teuren Geräten und Bereitschaftsärzten. Der Betrieb einer Notaufnahme ist um einiges teurer als der einer Hausarztpraxis.

Sind Sie Privatpatient?

Jetzt fordern Ärzte: Schluss damit! Die Notfallmedizin in Deutschland darf nicht ausgenutzt werden. Manche Ärzte sprechen sogar von "Missbrauch". Verstehe ich. Aber verstehen die Ärzte mich auch? Volle Wartezimmer, besonders montags. Welcher Arzt ist überhaupt der Richtige? Termine sind schwierig zu planen - und ausgerechnet Mittwoch um 11.15 Uhr kann ich leider nicht.

Wer bei einem Arzt einen Termin vereinbaren will, landet nicht selten bei einer Stimme vom Band: "Sind Sie Privatpatient, dann drücken Sie die 1. Sind sie Kassenpatient, dann möchten wir Sie darauf hinweisen, dass erst Ende des Monats wieder ein Termin frei ist. Drücken Sie jetzt die 2."

Viele legen dann auf und gehen in die Notaufnahme.

Und nun? Zuzahlungen für Notfallversorgung? 20 Euro gegen das schlechte Gewissen? Würde ich zahlen. Gerne sogar. Denn ein schlechtes Gewissen habe ich tatsächlich, wenn ich am Wochenende in die Notaufnahme gehe, um am Montag meinen Flug nicht zu verpassen. Dass am Sonntag ein Arzt meinen Finger aufschneidet ist ein Extra-Service. Und Extra-Service kostet nun mal.

Einerseits.

Anderseits gibt es große Zweifel an der Zuzahlung. Erstens: die Gefahr der sozialen Auslese. Natürlich darf nicht der Geldbeutel über die Notfallbehandlung entscheiden. Unvorstellbar, dass Menschen mit einer Blinddarmentzündung die Notaufnahme meiden, um die Zuzahlung zu sparen.

Ohne Geld, aber mit Organisation

Zweiter Sorgenpunkt: der Bürokratieaufwand. Geld muss verwaltet werden, Belege geschrieben und abgeheftet werden. Wer soll das tun? Die Pflegekräfte? Die werden sich bedanken.

Warum also nicht doch besser ohne Zuzahlung, dafür aber mit Organisation? Das Problem ist doch: Der Laie hat keine Ahnung von den Verstrickungen des Gesundheitssystems. Wer kennt schon den Unterschied zwischen einer Notaufnahme und einer Kassen-Notfallpraxis? Den Unterschied zwischen einem Notarzt und einem ärztlichen Notdienst?

Patienten mit schlechtem Gewissen in der Notaufnahme

Die Lösung könnten Notfallpraxen sein, unter einem Dach mit den Notaufnahmen im Krankenhaus. Diese Praxen öffnen abends und am Wochenende und behandeln Berufstätige, die es unter der Woche nicht zum Arzt schaffen. Menschen mit halben Notfällen, mit Bauchweh oder einem entzündeten Finger.

So etwas gibt es schon in vielen Großstädten, wie zum Beispiel im Stuttgarter Marienhospital. Solche Arztpraxen würden die Notaufnahmen entlasten und Patienten wir mir das schlechte Gewissen nehmen. Gut wäre, wenn diese Ambulanzen dann nicht Notfallpraxis hießen, sondern zum Beispiel Abendpraxis.

Der OP ist dann nicht mehr weit

Patienten, die irrtümlicherweise in die Notaufnahme kommen, könnten in die Abendpraxen geschickt werden, wenn beides unter einem Dach ist. Einfach ein paar Meter den Flur runter. Andersherum ist der Weg in den OP nicht mehr weit, sollte doch ein schwerer Notfall dabei sein.

Im OP saß ich übrigens dann auch. Zwei Stiche, ein Schnitt, Verband, fertig. Dem Finger geht es jetzt wieder gut. Nach der Mini-Operation in der Notaufnahme muss ich ein paar Tage später zum Fädenziehen - und gehe brav zum Hausarzt. Mit Termin.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: