Erste Studie in Deutschland:Wer Crystal Meth nimmt

Über Methamphetamin kursieren bislang vor allem Anekdoten, Beobachtungen und Gerüchte. Eine erste Studie beschreibt nun die Konsumenten: Partygänger, Arbeiter, Schulkindern sowie Eltern - und die Schwierigkeit, ihnen zu helfen.

Von Berit Uhlmann

Für manche ist es nur Stoff für Fernsehdramen, für andere Teil des Alltags: In Sachsen ist Methamphetamin die illegale Droge Nummer eins. Mittlerweile gibt es Schwerstabhängige, die seit 15 Jahren das kristalline Pulver schnupfen, rauchen, schlucken und seltener auch spritzen. Schon lange fürchten daher Fachleute, dass die billige Droge immer weiter ins Land vordringen könnte. Doch Daten sind rar. Nun hat eine erste Studie in Deutschland zu klären versucht, wer die Menschen sind, die Crystal Meth nehmen, obwohl es den Körper ausmergelt, Gehirnzellen zerstört, Halluzinationen und schwere Depressionen auslösen kann.

Die Befragung von 400 Drogenkonsumenten im Auftrag der Bundesregierung ergab, dass Meth-User überwiegend in der Nähe zur tschechischen Grenze leben, wo die Droge billig produziert wird: in Nordbayern, Sachsen, Thüringen, zum Teil auch in Sachsen-Anhalt. Bleibt der Rest Deutschlands verschont? Die Autoren vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) an der Universität Hamburg geben vorsichtige Entwarnung. "Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich das Problem schnell auf andere Gebiete ausdehnt", sagt Ingo Schäfer, Geschäftsführer des ZIS und Studienleiter.

So ganz mag aber nicht jeder daran glauben: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), sprach im Spiegel, von Hinweisen "auf eine Ausweitung der Droge aus dem deutsch-tschechischen Grenzgebiet bis hin in grenzfernere Regionen, insbesondere in deutsche Großstädte".

Unstrittig wird die Lage, wenn man in die betroffenen Regionen hineinblickt. "Das Problem lässt sich nicht leugnen", sagt Schäfer. Es besteht vor allem auch darin, dass die Kristalle auch jenseits der klassischen Drogenszenen weit verbreitet sind. Zwar wird Meth in erster Linie von Partygängern genutzt, doch immerhin jeder Zweite konsumiert die Droge auf der Arbeit, ebenso viele erleichtern sich die Hausarbeit mit den Kristallen, ein Viertel der Befragten nimmt sie in der Schule oder in einer anderen Ausbildungsstätte.

Meth wirkt anfangs leistungssteigernd, da es Müdigkeit, Hunger und Schmerzen unterdrückt. So versuchen vor allem Menschen, die körperlich schwer oder in Schichten arbeiten, mit der Droge Belastungen besser durchzustehen: "Andere trinken Kaffee, ich konsumiere Kleinstmengen", berichtete ein Meth-User den Studienautoren.

Wie weit Methamphetamin in der Gesellschaft verbreitet ist, zeigt auch die große Spanne beim Alter des ersten Konsums. Es gibt Kinder, die schon vor dem 16. Lebensjahr einsteigen, aber auch Menschen, die mit über 30 erstmals zu dem Suchtstoff greifen. Knapp jeder vierte Meth-Konsument hat mindestens ein Kind.

Für 15 Prozent ist Crystal die erste illegale Droge ihres Lebens. Weitere 40 Prozent hatten zuvor lediglich Cannabis konsumiert. Später allerdings scheint Crystal den Weg zu weiteren Drogen zu ebnen. Hatten vor ihrem Meth-Konsum nur knapp fünf Prozent Heroin probiert, waren es später etwa 35 Prozent.

Auch das Suchtpotenzial von Crystal lässt sich aus den Daten herauslesen. Ein Drittel konsumierte im letzten Monat vor der Befragung nahezu täglich, ebenfalls ein Drittel nimmt die Droge seit mindestens als elf Jahren. Das Hauptmotiv für den Konsum ist die als angenehm empfundene Wirkung - doch schon an zweiter Stelle kommt der Suchtdruck (60 Prozent),

Was den Betroffenen hilft

Wie also soll es weitergehen in Deutschland? Die alte Bundesregierung hatte sich eher zurückgehalten, sie fürchtete durch Präventionsmaßnahmen das Problem "erst herbeizurufen", eine Haltung, die in den betroffenen Regionen auf wenig Gegenliebe stieß. "Prävention ist auf jeden Fall wichtig", sagt Schäfer. Er plädiert jedoch dafür, sich auf die Regionen mit Crystal-Konsumenten zu konzentrieren und dort differenziert vorzugehen. Da die Droge in so unterschiedlichen Altersgruppen und Schichten verbreitet ist, werden unterschiedliche Strategien benötigt.

Die Betroffenen selbst wünschen sich weniger Abschreckung und mehr sachliche Informationen. Vor allem die im Netz kursierenden schaurigen Vorher-nachher-Bilder und die Betonung des zahnlosen "Meth-Mouth" werden kritisch gesehen - auch von Experten. Solche Entwicklungen mögen im mangelbehafteten Gesundheitssystem der USA vorkommen, in Deutschland sind sie sehr selten; Betroffene reagieren entsprechend mit kompletter Ablehnung.

Als wichtiger erachten die befragten Konsumenten, Informationen über Hilfsmöglichkeiten zu bekommen. Doch da gibt es noch Nachholbedarf: "60-jährige Professoren, die aber weder die Wirkung kennen, noch mit den Konsumenten angemessen umgehen können", erlebte ein Abhängiger. Diejenigen, die aus der Sucht ausgestiegen waren, berichteten denn auch von ganz unterschiedlichen Wegen: Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, persönliche Bezugspersonen waren hilfreich - aber nicht überall verfügbar. Mitunter waren wiederholte Langzeittherapien vonnöten. Und manchen konnte bislang noch gar nicht geholfen werden.

Die Opposition wirft der Regierung unterdessen Tatenlosigkeit vor. Harald Terpe, Sprecher für Suchtpolitik der Grünen, forderte einen "Aktionsplan Crystal". Dazu sollten mobile Drogentests für den Einsatz in der Partyszene gehören sowie eine bessere Kooperation mit der Jugendhilfe, um die Kinder von abhängigen Eltern nicht zu gefährden. Er kritisierte zugleich, dass bis heute keine genauen Zahlen für Crystal-Konsumenten oder Abhängige vorliegen.

Für die Studie befragten die Suchtforscher knapp 400 Menschen, die Methamphetamin oder Amphetamine wie Speed nahmen oder in der Vergangenheit genommen hatten. Die vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Befragung ist nicht repräsentativ, alle quantitativen Aussagen müssten daher mit Zurückhaltung interpretiert werden, betonen die Wissenschaftler.

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