Medizin:Krebsmedikamente - Milliardensummen für wenig Wirkung

Mammographie

Auf der Bildschirmdarstellung einer Magnetresonanz-(MR)-Mammographie ist ein winziger Tumor in der Brust einer Patientin zu sehen. Oft muss die Brust ganz oder zu großen Teilen abgenommen und dann ersetzt werden.

(Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)
  • Pharmafirmen rechtfertigen hohe Preise für Medikamente gerne mit enormen Kosten für Forschung und Entwicklung.
  • Nun zeigen Wissenschaftler im Fachmagazin JAMA Internal Medicine, dass die Investitionen keineswegs so hoch sind, wie Hersteller behaupten.
  • Mindestens so ärgerlich ist für Ärzte wie Patienten, dass viele der neuen Krebspräparate nur von fragwürdigem Nutzen sind.

Von Werner Bartens

Das Geheimtreffen fand hinter dicken Schlossmauern statt. Politiker, Chefärzte, Krankenkassenvorstände, Klinikbetreiber und Pharmabosse hatten sich zu einer Art Krisensitzung zusammengefunden. Stillschweigen wurde vereinbart, man wollte unbelastet von Verbandsinteressen reden.

Es ging um die galoppierende Preisentwicklung im Gesundheitswesen - und alle waren sich einig: Es sei illusorisch, dass weiterhin jede Behandlung für jeden bezahlt werden könne. Rationierung und Priorisierung in der Medizin wären unvermeidlich, auch wenn sich kaum jemand traue, diese tabuisierten Begriffe offen auszusprechen.

Die diskrete Zusammenkunft fand bereits im Sommer 2010 statt, doch noch immer scheuen sich viele Politiker, klar zu sagen, dass die steigenden Kosten in der Medizin jedes Gesundheitssystems sprengen. Besonders extreme Preistreiber sind neue Krebsmedikamente; inzwischen gibt es etliche Mittel, die mehr als 100 000 Euro kosten, wenn ein Patient damit ein Jahr lang behandelt wird.

Pharmafirmen verweisen gerne auf ihre hohen Kosten für Forschung, Entwicklung und klinische Prüfung, die vor der Zulassung fällig werden und mit denen sie die Preise für die Medikamente rechtfertigen. Krebsärzte aus den USA zeigen im Fachmagazin JAMA Internal Medicine jedoch, dass die Vorab-Investitionen keineswegs so hoch sind, wie Hersteller behaupten - die Gewinnspanne hingegen nimmt immense Ausmaße an.

Die Mediziner Vinay Prasad und Sham Mailankody aus Portland und New York haben die Entwicklung von zehn typischen Krebsmedikamenten nachverfolgt, die von zehn verschiedenen Firmen in der Dekade zwischen 2007 und 2016 auf den Markt gebracht wurden. Von der ersten Erwähnung der Wirkstoffe als Therapeutika bis zur Zulassung der Arznei dauerte es im Mittel 7,3 Jahre.

Im Schnitt kostete die Entwicklung der zehn Krebsmittel jeweils 648 Millionen Dollar - zusammengerechnet also etwa 6,5 Milliarden Dollar. Diesen Ausgaben standen bis Jahresende 2016 Einkünfte von 67 Milliarden Dollar gegenüber, die von den Firmen allein mit diesen zehn Medikamenten erzielt wurden. "Der Gewinn nach der Zulassung ist erheblich größer als die Kosten für Forschung und Entwicklung zuvor waren", so die Autoren.

Auch der Nutzen der neuen Mittel ist oft marginal - bei zugleich massiven Nebenwirkungen

So standen bei dem Krebsmittel Ibrutinib, das unter dem Handelsnamen Imbruvica seit 2014 gegen die Chronisch Lymphatische Leukämie auf dem Markt ist, Entwicklungskosten von unter 300 Millionen Dollar Einkünfte in fast 80-facher Höhe (22,275 Milliarden Dollar) gegenüber. Die Kosten für die Behandlung eines Patienten liegen in Deutschland bei 96 000 Euro pro Jahr. Ähnlich das Verhältnis bei Enzalutamid (Xtandi), das seit 2013 gegen metastasierten Prostatakrebs zugelassen ist und dem Hersteller bisher mehr als 20 Milliarden Dollar eingespielt hat. Die jährlichen Therapiekosten für einen Patienten belaufen sich auf gut 60 000 Euro.

Prasad und Mailankody haben die Ausgaben der Firmen großzügig berechnet. In ihrer Analyse wählten sie bewusst Hersteller, die im vergangenen Jahrzehnt keine anderen Krebsmittel im Angebot hatten. Die Entwicklungskosten der Pharmaunternehmen werden daher höher gewesen sein als bei Firmen, die bereits ähnliche Medikamente in ihrer Produktpalette hatten und auf entsprechende Entwicklungsarbeit zurückgreifen können. Zudem ist der Zeitraum, in dem die Krebsmedikamente bisher Milliarden eingespielt haben, vergleichsweise kurz. Die in der aktuellen Studie untersuchten Mittel waren im Durchschnitt vier Jahre auf dem Markt.

Vergleich mit Gold, Platin oder Diamanten

"Diese Analyse ist nicht leicht zu entkräften, denn die Autoren berücksichtigen auch Kosten der Firmen für fehlgeschlagene Experimente und billigen Präparaten selbst dann hohe Entwicklungskosten zu, wenn es sich nur um kostengünstige Nachahmer-Produkte handelt", sagt der Pharmaexperte Merrill Goozner. "Das zeigt, dass die Preispolitik der Pharmafirmen längst unabhängig von den tatsächlichen Kosten für Forschung und Entwicklung ist." Für den Autor des Buches "The $800 Million Pill" ist die Schlussfolgerung eindeutig: "Politiker können beruhigt die Preise für Arzneimittel einschränken - sie müssen keine Angst haben, dadurch Innovationen auf dem Pharmamarkt zu behindern."

In der Diskussion um "Mondpreise" und unanständige Gewinnspannen der Pharmabranche ist es in Deutschland längst üblich, die Kosten der Krebsmedikamente mit Gold, Platin, Diamanten oder Plutonium zu vergleichen. Der Preis pro Gramm liegt bei etlichen Arzneimitteln gegen Krebs längst um das Hundertfache höher als jener der Edelmetalle und anderer kostbarer Substanzen. Verkauft wird die Hoffnung auf Heilung von schwerem Leid, nicht der Gegenwert für die Substanzen oder ihre Herstellung.

Mindestens so ärgerlich wie die Preisgestaltung ist für Ärzte wie Patienten, dass viele der neuen Krebspräparate nur von fragwürdigem Nutzen sind. Die hohen Preise sind so gut wie nie durch eine überragende Wirksamkeit gerechtfertigt. "Aus wissenschaftlicher Sicht macht die Krebsmedizin zwar gerade spannende Zeiten mit vielen interessanten Neuentwicklungen durch", sagt der Berliner Krebsarzt Wolf-Dieter Ludwig, der zudem die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft leitet. "Aber der Nutzen für Patienten ist oft nur marginal oder durch schwere Nebenwirkungen erkauft."

"Diese Behandlung oder doch lieber ein nagelneuer Maserati Quatroporte?"

Ein Symposium zu Ludwigs Ehren stand vergangene Woche denn auch im Zeichen der neuen Krebstherapien und ihrer Kosten. Aufschlussreich waren die Ausführungen von Josef Hecken, dem Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der darüber entscheidet, welche Therapien und Untersuchungen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Die Hälfte von 30 neuen onkologischen Wirkstoffen in Deutschland kostet mehr als 100 000 Euro jährlich pro Patient; sogar die günstigsten kommen noch auf 30 000 Euro jährlich oder mehr.

Patienten können allerdings nur von zehn der 30 Mittel eine Verlängerung der Lebenserwartung um fünf Monate erwarten, die übrigen bringen zwischen vier Wochen und drei Monaten - unter teils erheblichen Nebenwirkungen. "Wenn wir im G-BA den Nutzen bewerten, zeigt sich oft, dass nur in Untergruppen überhaupt eine klinisch relevante Verlängerung der Überlebenszeit erreicht wird", sagt Hecken. "Das sind dann meist weniger als sechs Monate bei sehr hohen zusätzlichen Therapiekosten."

Der Krebsmediziner Antonio Pezzutto von der Berliner Charité erinnerte angesichts der Milliardenumsätze mit Krebsmitteln daran, dass allein in Afrika zehn Staaten ein Bruttoinlandsprodukt von sechs Milliarden Euro aufweisen und damit unter den Einkünften liegen, die Pharmamulti Roche mit einem einzigen Krebsmedikament wie Trastuzumab (Herceptin) oder Bevacizumab (Avastin) erzielt. "Bei den Jahreskosten für die Behandlung und dem bescheidenen Therapieerfolg mancher Mittel kann man sich fragen, wie sich Patienten entscheiden würden, wenn sie die Kosten selbst tragen müssten", gab Pezzutto zu bedenken. "Diese Behandlung oder doch lieber ein nagelneuer Maserati Quatroporte?"

"Änderung ist kaum in Sicht. Im Mai hat der G-BA dem Brustkrebsmittel Ibrance von Pfizer einstimmig attestiert, dass es keinen Zusatznutzen habe. Das Mittel mit jährlichen Behandlungskosten von 66 000 Euro führe bei 78 Prozent der Patientinnen zu heftigen Nebenwirkungen. Pfizer hat bereits weltweit 600 Millionen Euro mit Ibrance verdient, die Kassen in Deutschland haben es in Höhe von mehr als 17 Millionen Euro erstattet - weil die Zulassung europaweit bereits vergangenen Spätherbst erfolgte.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes war zu lesen, dass der G-BA das Brustkrebsmittel Ibrance als Kassenleistung ausgeschlossen habe. Dies ist jedoch bislang nicht der Fall. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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