Infektionskrankheiten:Liste der Hilflosigkeit

Die WHO hat acht gefährliche Krankheiten identifiziert, gegen die die Medizin derzeit machtlos ist. Ganz oben auf der Liste: Mers.

Von Kai Kupferschmidt

Die Aufgabe, der sich zwei Dutzend Fachleute aus aller Welt kürzlich stellen mussten, war alles andere als einfach zu lösen. Im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten sie eine Liste möglicherweise gefährlicher Krankheiten erstellen, gegen die die Medizin derzeit noch machtlos ist. Eine Art Top Ten des Todes. Nach zwei Tagen standen acht Erkrankungen auf der Liste, die alle von Viren verursacht werden: Ebola, Marburg, Krim-Kongo-Fieber, Lassafieber, Mers, Sars, Nipah- und Rift-Valley-Fieber.

"Viele dieser Krankheiten haben weder das Forschungsgeld noch die Aufmerksamkeit erhalten, die sie benötigen", sagt Cathy Roth von der WHO. Sie und andere Mitarbeiter wollen zeigen, dass die Organisation aus dem verheerenden Ebola-Ausbruch in Westafrika gelernt hat. Obwohl seit Jahren an Ebola-Impfstoffen und -Medikamenten geforscht wurde, waren sie nicht weit genug entwickelt, als der Ernstfall eintrat. "Ebola hat uns vor Augen geführt, dass die Welt sich auf einige seltene, aber besonders gefährliche Erreger besser vorbereiten muss", sagt Roth. Die Liste soll dabei helfen, indem sie die Aufmerksamkeit von Geldgebern und Forschungsverbänden auf sich zieht.

Mers zu erforschen, ist besonders dringlich. Der Erreger tötet jede Woche Menschen

Das Middle East Respiratory Syndrome, kurz Mers, ist zu einer Art Vorzeigekandidat dieses neuen Ansatzes geworden. Der Erreger wurde im September 2012 entdeckt und gibt Forschern Rätsel auf. Zahlreiche Studien belegen, dass Mers offenbar von Kamelen übertragen wird. Wie genau sich Menschen anstecken, ist aber noch immer unklar. Das Virus ist inzwischen in Kamelen in Nigeria und in zahlreichen anderen Ländern nachgewiesen worden. Infektionen des Menschen sind dort aber bislang nicht aufgetreten. Und obwohl das Virus von Reisenden bereits zwei Dutzend Mal in andere Länder eingeschleppt worden ist, kam es lediglich in Korea zu einem größeren Ausbruch. 36 Menschen starben dort.

Der Erreger ist eng mit dem des Schweren akuten respiratorischen Syndroms (Sars) verwandt. Doch er vermehrt sich tief unten in den Atemwegen und breitet sich deshalb nicht so leicht von Mensch zu Mensch aus. Sollte sich das Virus wandeln, könnte sich das aber schnell ändern, warnen Experten. Hinzu kommt, dass der Erreger in Saudi-Arabien und einigen Nachbarländern schon jetzt eine Epidemie verursacht hat. Mehr als 1400 Menschen sind dort erkrankt, 500 von ihnen sind gestorben.

Die WHO arbeitet derzeit an einem Bericht, der eine Übersicht über mögliche Impfstoffe und Medikamente gegen alle acht Krankheiten auf der Liste geben soll. Auch die Probleme, die es bei der Entwicklung gibt, sollen benannt werden. Bei Mers dränge die Zeit besonders, sagt Vasee Moorthy von der WHO. "Die anderen Krankheiten auf der Liste könnten irgendwann ausbrechen", sagter. "Aber Mers tötet schon jetzt jede Woche Menschen."

Darum versucht die WHO nun, Forscher wie Gerd Sutter zu unterstützen, die an einem Impfstoff gegen Mers arbeiten. Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität in München verwendet als Grundlage einen Pockenimpfstoff, den die Bayerische Landesimpfanstalt in den Siebzigerjahren entwickelt hat: "Modified Vaccinia Ankara", MVA. In dieses abgeschwächte Pockenvirus hat Sutter das Gen für das sogenannte Spike-Molekül eingefügt, das der Mers-Erreger auf der Oberfläche trägt.

Ein Impfstoff für Kamele wirft viele Schwierigkeiten auf

Dass der Impfstoff tatsächlich wirkt, hat Sutter gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Spanien und den Niederlanden in einem Experiment gezeigt, das in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Science veröffentlicht wurde. Die Forscher impften vier Kamele, indem sie ihnen das Virus zunächst in die Halsmuskeln spritzten und dann noch einmal in die Nase sprühten. Vier Wochen später wiederholten sie diese Prozedur. Dann infizierten sie die vier geimpften und vier nicht geimpfte Kamele mit dem Mers-Virus. Die Körpertemperatur der nicht geimpften Tiere stieg leicht an und sie bekamen Schnupfen - die charakteristischen Symptome, die das Virus bei Kamelen auslöst. Die geimpften Tiere wurden hingegen nicht krank. In ihrem Nasensekret ließen sich zwar ebenfalls Viren nachweisen, allerdings in sehr viel geringerer Konzentration als bei den ungeimpften Kamelen.

"Das ist eine extrem wichtige Arbeit", sagt Christian Drosten, Virologe an der Universität Bonn. "Die beste Strategie, Mers zu bekämpfen, ist, das Zirkulieren des Virus unter den Kamelen zu unterbinden." Ein Impfstoff, der die Tiere zwar nicht vor einer Infektion schützt, aber ihre Viruslast reduziert, könnte dafür ausreichen. Doch es gibt noch viele offene Fragen: Wie lange kann der Impfstoff die Tiere schützen? Gibt es eine einfachere Art, die Tiere zu impfen, als die Kombination aus Spritze und Nasenspray? Und werden die Kamelbesitzer überhaupt bereit sein, ihre Tiere gegen eine Krankheit immunisieren zu lassen, die sie kaum krank macht? "Jedes dieser Probleme könnte das ganze Projekt gefährden", sagt Kevin Olival, der Mers bei der Eco Health Alliance in New York erforscht.

Weitere Schwierigkeiten kommen hinzu: Mit Mers infizierte Kamele können nur an wenigen Orten auf der Welt unter den notwendigen Sicherheitsbedingungen gehalten werden. Um den MVA-Impfstoff zu testen, wählten die Forscher junge Kamele auf den Kanarischen Inseln aus und brachten sie in ein Hochsicherheitslabor in Barcelona. So mussten die Tiere keine Landesgrenze überqueren. Die jungen Tiere waren außerdem kleiner und deshalb leichter unterzubringen als ausgewachsene.

Möglicherweise hilft es, Kamele zu impfen. Doch das ist aufwendig und teuer

Das Vakzin für Kamele weiterzuentwickeln, ist teuer. "In der Regel werden Impfstoffe für Menschen gefördert, um Krankheiten beim Menschen zu verhindern, oder Impfstoffe für Tiere, um Krankheiten bei Tieren zu verhindern", sagt Moorthy. "Weil die Kamele nicht wirklich krank werden, fällt dieser Impfstoff aus den üblichen Fördermustern." Die Weltgesundheitsorganisation unterstütze die Erforschung eines Kamelimpfstoffes aber, sagt Moorthy. "Es sind sich jedenfalls alle einig", sagt Drosten. "Wenn wir das Problem grundsätzlich lösen wollen, müssen wir mit den Kamelen anfangen."

Parallel beginnen die Wissenschaftler bereits jetzt, ihre Impfstoff-Kandidaten auch am Menschen zu testen. Für Sutters MVA-Impfstoff soll nächstes Jahr in Hamburg eine erste Studie starten. Ein anderes Mers-Vakzin, das David Weiner von der Universität Pennsylvania gemeinsam mit den Unternehmen Gene-One und Inovio entwickelt hat, ist schon ein paar Schritte weiter. Es soll noch vor Ende dieses Jahres ersten Probanden gespritzt werden. Diese Studien könnten schon bald Menschenleben retten. "Stellen Sie sich vor, es kommt morgen zu einem riesigen Ausbruch von Mers, und die Impfstoff-Kandidaten sind noch nicht weiterentwickelt worden", sagt Christian Drosten. "Das wäre dann Ebola von vorne."

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