Transplantat mit Gefühl:Das Ohr aus dem Arm

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Die Bild aus dem Krankenhaus in El Paso, Texas, zeigt Shamika Burrages Unterarm, in dem ihr neues Ohr gezüchtet wurde. (Foto: dpa/picture alliance /U.S. Army)
  • Die Soldatin verlor ihr linkes Ohr bei einem Autounfall.
  • Ein Jahr lang reift das Ersatzohr im Unterarm der Patientin heran.
  • Wenn das Ersatzgewebe richtig mit ihrem Körper verwächst, soll die Frau ihr neues Organ sogar fühlen können.

Von Werner Bartens

Die Rückfahrt zu ihrem Stützpunkt in Texas veränderte Shamika Burrages Leben. 2016 war es, die 19-jährige Soldatin kehrte von ihrem Heimaturlaub zurück, da platzte ein Vorderreifen bei voller Fahrt, der Wagen überschlug sich. Während ihre schwangere Cousine auf dem Beifahrersitz leichte Blessuren davontrug, erlitt Burrage Wirbelbrüche, ein Schädel-Hirn-Trauma - und verlor ihr linkes Ohr. Nachdem die Verletzungen verheilt waren, störte sich die junge Frau an ihrem Aussehen und wollte sich nicht mit einer Ohrprothese abfinden.

Plastische Chirurgen des Armeekrankenhauses El Paso haben der Soldatin jetzt ein neues Ohr verpflanzt - das sie ein Jahr lang in ihrem Unterarm herangezüchtet hatten. "Erst wollte ich die Rekonstruktion nicht", sagt Burrage. "Aber ich wollte auch ein echtes Ohr und deshalb sehen, was die Ärzte können."

Zunächst wurde aus ihrem Rippenknorpel Gewebe entnommen, im Labor vermehrt und in Form gebracht. Dann verpflanzten die Ärzte das Imitat in den Arm; die Konturen zeichneten sich unter der Haut ab. Eine anstrengende Prozedur - aber erträglicher als die Militärchirurgie im 19. Jahrhundert, als an verletzte Nasen oder Ohren übergangsweise ein Arm genäht wurde, um genügend Haut zur Gewebedeckung zu haben.

"Unser Ziel ist, dass alles gut aussieht, sich gut anfühlt und in fünf Jahren keiner ahnt, was passiert ist, wenn er Shamika nicht kennt", sagt Operateur Owen Johnson, Chef der Plastischen Chirurgie in El Paso. "Das Ohr wird frische Arterien und Venen haben - und einen frischen Nerv, sodass sie auch wieder Gespür haben sollte." Ob die Prognose zutrifft, lässt sich aber frühestens in ein paar Jahren sagen.

Bei Züchtungen im Labor droht mal Funktionsausfall, mal ungeplante Wucherung

Die Monate, in denen das Ersatzohr im Arm reifte, dienten vor allem dazu, Blutgefäße und Nerven in das Knorpelgewebe sprießen zu lassen. Die Haut für das Transplantat wurde vom Unterarm übernommen. Zwar gelang es schon vor 20 Jahren, Haut, Leber, Herz und Knorpel zu züchten, indem Zellen im Labor mit Nährstofflösung und Wachstumsfaktoren aufgepäppelt wurden. Schwierig ist jedoch der richtige Mix, denn kein Körpergewebe besteht aus nur ein oder zwei Zelltypen.

Zudem ist die Versorgung mit Blut- und Nervenbahnen komplex. Auch Wachstum und Reparatur lassen sich oft nicht gezielt steuern, deshalb droht bei Züchtungen mal Funktionsausfall, mal ungeplante Wucherung. Knorpel aus dem Labor wurde zwar schon dutzendfach verpflanzt, um Defekte an Ohr oder Nase zu füllen. Für tragende Strukturen wie Bandscheiben oder Menisken gerät Kunstknorpel jedoch an Grenzen, weil Imitate nicht die Belastbarkeit des Originals erreichen.

Auch Krebskranken wurde schon Ersatzgewebe verpflanzt, und oft kommen derartige Meldungen aus Armeekliniken - wie kürzlich die Nachricht von einer Penistransplantation. Fortschritte in der Chirurgie sind oft mit dem Militär verknüpft. Wundärzte schienten im Dreißigjährigen Krieg Knochenbrüche, Neurologen kartierten im 19. Jahrhundert die Hirnfunktion, da sie die Funktionsausfälle nach Kopfschüssen kannten, jetzt die Gewebezucht - neue Kriegstechnik lässt Ärzte manchmal an vorderste medizinische Front rücken.

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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