Fortpflanzungsmedizin:Trotz Krebs zum Wunschkind

Koalition diskutiert Betreuungsgeld

Neue Methoden verhelfen auch krebskranken Frauen zum Wunschkind.

(Foto: dpa)

Chemotherapie oder Kind? Diese Entscheidung müssen Krebspatientinnen in Zukunft seltener treffen. Mittlerweile gibt es Methoden, um die Unfruchtbarkeit zu umgehen.

Von Astrid Viciano

Die Chemotherapie würde sie unfruchtbar machen, das hatten die Ärzte dem Mädchen erklärt. Daher beschloss die Patientin, ihren Kinderwunsch auf Eis zu legen, im Alter von nur 13 Jahren. In 62 winzige Stücke schnitten die Chirurgen ihren rechten Eierstock und legten ihn in eine Tiefkühltruhe, bei minus 196 Grad Celsius. Mit 27 Jahren brachte die Patientin ein gesundes Kind zur Welt. "Wir konnten endlich zeigen, dass so etwas möglich ist", frohlockt die Fortpflanzungsmedizinerin Isabelle Demeestere von der Erasmus-Klinik der Freien Universität Brüssel - mithilfe des tiefgekühlten, in Würfel geschnittenen Organs.

Damit haben Ärzte zum ersten Mal weltweit einer Frau zu einem Baby verholfen, bei der sie noch im Kindesalter einen Eierstock entnommen und tiefgekühlt hatten. "Das ist ein Meilenstein für unsere Forschung", sagt Ralf Dittrich, Reproduktionsbiologe am Uniklinikum Erlangen. "Einen wichtigen Beitrag" nennt der Berner Fortpflanzungsmediziner Michael von Wolff jene Studie, die vor ein paar Tagen im renommierten Fachjournal Human Reproduction erschienen ist. Was Ärzte erwachsenen Frauen schon seit Jahren anbieten, hat sich nun erstmals bei einer Patientin im Kindesalter bewährt.

Seit vielen Jahren tüfteln Wissenschaftler daran, wie sie Eierstöcke schützen, aufbewahren oder ersetzen können, um die Fruchtbarkeit kranker Frauen zu erhalten. Im Jahr 2004 kam in Belgien zum ersten Mal überhaupt ein Kind zur Welt, dessen Mutter ihr Eierstockgewebe als Erwachsene hatte einfrieren lassen. Vor drei Jahren gelang auch deutschen Fortpflanzungsmedizinern der Durchbruch, an den Unikliniken Erlangen, Bonn und Dresden.

Inzwischen brachte ein Viertel von insgesamt 92 solcher Patientinnen ein Kind zur Welt, so die aktuellen Ergebnisse jener mehr als 100 Kliniken im deutschsprachigen Raum, die gemeinsam im Netzwerk Fertiprotekt krebskranke Menschen beim Schutz ihrer Fruchtbarkeit beraten.

Einer von 1000 Erwachsenen hat in Kindheit oder Jugend eine Krebserkrankung besiegt

Von nun an könnten auch Krebspatientinnen von der Tiefkühlmethode profitieren, deren Eierstöcke bereits in der Jugend bei der Therapie vernichtet wurden. "Kinder und Jugendliche haben heute sehr gute Chancen, ihre Krebserkrankung zu überleben", sagt von Wolff, Leiter des Netzwerks Fertiprotekt.

Nach der Transplantation nehmen die Eierstöcke rasch ihre Funktion auf

Krebstherapien sind heute effektiver als früher, Tumore werden eher erkannt. Nach Schätzungen des Deutschen Krebsforschungszentrums hat heute einer von 1000 Erwachsenen bereits im Kindes- oder Jugendalter eine Krebserkrankung besiegt. Und junge Frauen, die dafür hoch dosierte Medikamentencocktails ertragen mussten, wüschen sich später oft Kinder. Manchmal vergeblich - wenn die Krebstherapie ihre Fruchtbarkeit zerstört hat.

Bis zu vier Millionen Eizellen speichert ein weiblicher Fötus während der Entwicklung in seinen Eierstöcken. Bei der Geburt sind noch eine Millionen davon übrig, zu Beginn der Pubertät rund 300 000. Und 300 von ihnen schaffen es bis zum Eisprung, normalerweise. "Nach einer Krebstherapie können die Eierstöcke jedoch verkümmern", sagt von Wolff. Sie versagen nicht erst mit 50 Jahren den Dienst, wie bei gesunden Frauen. Sie fallen oft schon zehn Jahre früher aus. Die Menstruation bleibt aus, die Frauen kommen vorzeitig in die Wechseljahre.

Um ihre Eizellen zu retten, lassen manche Krebspatientinnen Teile eines Eierstocks vor der Therapie entfernen und tieffrieren - in der Hoffnung, sie eines Tages auftauen und einsetzen zu könnnen. So auch die junge Patientin in Brüssel.

Im Alter von 25 Jahren meldete sich die inzwischen gesunde Frau bei der belgischen Fortpflanzungsmedizinerin Demeestere - jener Ärztin also, die ihr einst vor der Chemotherapie den rechten Eierstock entfernt und eingefroren hatte. Sie wolle ein Kind bekommen, berichtete die junge Patientin.

Bald setzte Demeestere ihr Teile des Jahre zuvor entnommenen Eierstockgewebes wieder ein. Vier davon setzte sie direkt auf den verbliebenen linken Eierstock. Da das nicht entnommene Organ jedoch durch die Therapie klein und verkümmert war, pflanzte die Medizinerin sechs weitere Stücke des Transplantats in das rechte Becken, weitere fünf unter die Haut der Bauchdecke. Rasch begann das aufgetaute Gewebe, reife Eizellen zu produzieren; nach fünf Monaten hatte die Patientin ihre erste Regelblutung. "Im vergangenen Jahr berichtete mir die Patientin dann überglücklich, dass sie schwanger war", erinnert sich die Fortpflanzungsmedizinerin.

Zuvor war es bereits dänischen und französischen Wissenschaftlern gelungen, eingefrorenes Eierstockgewebe aus der Kindheit derselben Patientin als Teenager wieder einzusetzen. "Das transplantierte Organ nahm seine Funktion auf und löste bei der Patientin die hormonellen Veränderungen der Pubertät aus", sagt von Wolff.

Auch der Erlanger Reproduktionsbiologe Ralf Dittrich hat das Verfahren bereits getestet, allerdings im Tierversuch. "Wir verpflanzten kindliches Eierstockgewebe einer sechsjährigen Patientin in eine Maus - und sahen, dass die Eierstöcke schnell reife Eizellen produzierten", berichtet der Forscher über seine Studienergebnisse, die er im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Was Dittrich im Tierversuch beobachtete, hat seine belgische Kollegin nun anhand ihrer Patientin bestätigt.

Das Restrisiko: Übersehene Tumorzellen im Transplantat können erneut Krebs auslösen

Allerdings wissen die Forscher bereits, dass wieder eingepflanztes Eierstockgewebe schon nach wenigen Jahren abstirbt. Nach dem Eingriff nämlich müssen die Blutgefäße zunächst in das Transplantat einwachsen - und bis es soweit ist, nimmt das Gewebe Schaden. Auch prüfen die Wissenschaftler noch, ob durch die Transplantation wieder Tumorzellen der früheren Krebserkrankung in den Körper der Patientinnen gelangen könnte.

Besonders bei Erkrankungen des blutbildenden Systems machen sie sich Sorgen, zum Beispiel einer Leukämie. "Immerhin haben wir für manche Krebszellen inzwischen Oberflächenmarker, nach denen wir fahnden können. Doch ein Restrisiko bleibt immer", sagt Dittrich. So können womöglich unentdeckte Tumorzellen im Transplantatgewebe die Krebserkrankung der Patientin neu auslösen.

Darüber macht sich der Frauenarzt Justo Callejo vom Krankenhaus Sant Joan de Déu in Barcelona wenig Sorgen. Auch er hat bereits reichlich Eierstockgewebe von Kindern tiefgekühlt, die jüngste Patientin war bei Entnahme sogar nur sechs Jahre alt. "Wenn die Mädchen erwachsen sind und sich ein Kind wünschen, werden wir sehen, ob auch das Eierstockgewebe von so jungen Kindern funktioniert", sagt Callejo. Denn die junge Patientin aus Brüssel stand mit 13 Jahren bereits am Beginn der Pubertät.

Als einer der ersten Ärzte weltweit hat Callejo sogar einer Patientin ohne Eierstöcke das Organ einer anderen Frau transplantiert. "Wir wollten sehen, ob das transplantierte Gewebe tatsächlich funktioniert und Hormone produziert", sagt der Frauenarzt.

Skeptisch sieht Callejo hingegen Versuche, Patientinnen mit dieser Methode ihren Kinderwunsch zu erfüllen oder gar einen Hormonmangel zu behandeln. So berichteten Mediziner von der Zhejiang Medical Science University im chinesischen Hangzhou im Jahr 2002, erstmals einer Frau den Eierstock ihrer Schwester verpflanzt zu haben. Im Jahr 2007 gaben amerikanische Ärzte die ersten zwei Transplantationen in den USA bekannt. "Das ist ein großer Eingriff, mit all seinen Risiken. Stattdessen sollten die Frauen lieber eine Eizellspenderin suchen", sagt der spanische Frauenarzt. Eine Prozedur, die in Deutschland allerdings verboten ist.

Wenn Krebs während der Schwangerschaft diagnostiziert wird

Manchmal jedoch kommen sämtliche Eingriffe zu spät. Wenn nämlich eine schwangere Frau an Krebs erkrankt. Wenn eine Tumorerkrankung ihr eigenes Leben bedroht, während neues Leben in ihr entsteht. Im Oktober vergangenen Jahres zum Beispiel, als Anne Siewert (Name geändert) aus der Nähe von Heidelberg beim Duschen einen Knoten in ihrer rechten Brust spürte, gleich über ihrem schwangeren Bauch.

Sie befand sich in der 28. Schwangerschaftswoche, hatte längst die Tritte ihres Sohnes gespürt, ihrem ersten Kind. "Als der erste Verdacht auf Brustkrebs aufkam, nahm ich das gar nicht ernst", sagt Siewert. Die Dozentin für Forstwissenschaft hatte gelesen, dass nur etwa eine von 1000 Frauen im Verlauf der Schwangerschaft an Krebs erkrankt. "Das erschien mir zu abwegig. Warum sollte das ausgerechnet mich treffen?", erzählt sie. Doch eine Biopsie brachte Gewissheit: Sie leide an Brustkrebs, sagten die Ärzte, der Tumor hatte bereits einen Durchmesser von vier Zentimetern.

Anne Siewert überfiel eine furchtbare Angst. "Für mich bedeutete die Diagnose Krebs, dass ich sterben muss", sagt sie. Was sollte nun aus ihr werden, was aus ihrem ungeborenen Kind? Zu ihrem Erstaunen versicherte ihr der Mediziner sogleich, dass sie am Ende der Therapie eine gesunde Mutter sein werde, mit einem gesunden Kind in den Armen.

"Heute stehen die Frauen meist nicht im Konflikt, sich gegen die Krebstherapie oder ihr ungeborenes Kind entscheiden zu müssen", sagt die Frauenärztin Julia Seitz, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Stephanie Gawlik die Spezialsprechstunde Krebs und Schwangerschaft an der Uniklinik Heidelberg leitet. Als eine der ersten Einrichtungen in Deutschland begannen die Heidelberger Medizinerinnen im Jahr 2012 schwangere Frauen zu beraten, die an Krebs erkrankt sind. "Wir versuchen, die beste Therapie für die Frau und ihr Kind zu finden", sagt Seitz.

Allerdings können die Patientinnen eine Chemotherapie erst nach der 14. Schwangerschaftswoche beginnen, wenn die Körperorgane des Kindes bereits angelegt sind. Dann schützt der Mutterkuchen den Fötus vor vielen aggressiven Wirkstoffen der Chemotherapie - je nachdem, ob die Moleküle besonders groß oder klein, ob sie in Fett oder Wasser löslich sind.

"Die meisten von ihnen werden gar nicht erst in die Plazenta aufgenommen", sagt Frédéric Amant, Frauenarzt an der Katholischen Universität in Löwen, Belgien. In mehreren Studien konnte der renommierte Forscher nachweisen, dass nach einer Chemotherapie geborene Kinder keine Spätfolgen der Behandlung fürchten müssen. "Ihr Verhalten kann in den ersten Lebensjahren impulsiver sein als bei anderen Kindern, aber das normalisiert sich bis zum Erwachsenenalter", resümiert der Mediziner seine Studien.

Kein Katzenstreicheln, kein Pfefferminztee, aber die Chemotherapie ist möglich

Daher entschloss sich auch Anne Siewert, mit einer Chemotherapie zu beginnen. 16 Zyklen Chemo, zwölf davon im Wochentakt - ähnlich wie nichtschwangere Brustkrebspatientinnen. "Da darf ich als Schwangere keine Katze streicheln, soll Zimt und Pfefferminztee meiden. Eine Chemotherapie dagegen sollte möglich sein. Das fand ich schon schräg", erinnert sich die Patientin.

Tatsächlich wenden Ärzte bei schwangeren Brustkrebspatienten meist die gleiche Standardtherapie an wie bei anderen Betroffenen. "Die Schwangeren sprechen genau so gut auf die Therapie an und haben auch keine schlechtere Prognose", sagt der belgische Frauenarzt Amant. Für Schwangere mit Brustkrebs liegen dabei die meisten wissenschaftlichen Studien vor, doch gelte dies vermutlich auch für andere Krebserkrankungen bei werdenden Müttern, erklärt der Mediziner.

Anne Siewert hat die Schwangerschaft vor allem Kraft gegeben. "Wir stehen das gemeinsam durch", hatte sie ihrem Kind im Bauch gesagt. Es lenkte sie vom Stress der Chemotherapie ab, wenn sie Babykleidung aussuchte, das Kinderzimmer einrichtete, das Wickeln übte. Ihr Sohn kam am 4. Februar zur Welt, ein gesundes Kind mit dichtem, blonden Haar. Inzwischen hat die Mutter auch die Chemotherapie überstanden. Und hofft, dass die Krebsbehandlung ihre Eierstöcke nicht geschädigt hat. Damit sie in Zukunft noch ein weiteres Kind bekommen kann.

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