Künstliches Koma:Wenn der Kopf Pause macht

Betäubt, beatmet, gekühlt: Das künstliche Koma ist eine der wichtigsten Maßnahmen bei schweren Hirnverletzungen. Auch Michael Schumachers Ärzte setzen die Narkose gezielt ein, um dem ehemaligen Rennfahrer die Genesung zu ermöglichen.

Von Katrin Blawat

Nach allem, was aus der Intensivstation des Krankenhauses in Grenoble nach außen dringt, befindet sich Michael Schumacher noch immer im künstlichen Koma. Dieser Zustand sei bei Patienten mit schweren traumatischen Hirnverletzungen "die wichtigste Maßnahme neben der operativen Entlastung des Hirndrucks, von der ein Nutzen nachgewiesen ist", sagt Manfred Blobner, Anästhesist und Intensivmediziner am Klinikum rechts der Isar der TU München.

Statt von einem künstlichen Koma spricht er jedoch lieber von einer Narkose, vergleichbar mit jener, die Patienten auch während einer Operation bekommen. Die verwendeten Medikamente sind die gleichen. Die Patienten werden mit Propofol oder Barbituraten bewusstlos gehalten, manchmal mit Benzodiazepinen. Zusätzlich bekommen sie Opiate.

Die tiefe Narkose soll den Stoffwechsel des Gehirns mindern und damit vor Sauerstoffmangel schützen. So erhält das verletzte Hirn Zeit zur Erholung. "Das ist vom Konzept her vergleichbar, wie wenn man sich mit Grippe ins Bett legt oder ein gebrochenes Bein mit einem Gips ruhigstellt", sagt Blobner.

Entlastung heißt im Falle des Gehirns: dessen Stoffwechsel und Sauerstoffverbrauch so weit senken, dass die Hirnzellen gerade noch überleben können. Darüber hinaus aber sollen sie nicht arbeiten, also weder auf Reize aus dem Körper noch von außen reagieren. Während der Narkose müssen die Patienten beatmet und ihr Kreislauf und Blutdruck mit Medikamenten stabil gehalten werden.

Erprobung in Dänemark

Bei schweren Hirnverletzungen sei das künstliche Koma eine Standardmaßnahme, sagt die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Thea Koch von der Uniklinik Dresden. Erprobt wurde sie vor allem während der Kinderlähmungsepidemie Anfang der 1950er-Jahre in Dänemark. Viele Poliopatienten mussten beatmet werden. Die Prozedur war mit den damaligen Methoden für die Kinder nur erträglich, wenn sie nichts davon mitbekamen, daher wurden sie ins künstliche Koma versetzt. Dieses wurde früher zuweilen auch genutzt, um sehr starke Schmerzen erträglich zu machen. Heute müssen Betroffene dazu, ebenso wie zur Beatmung, nicht mehr narkotisiert werden.

Manche Patienten werden im künstlichen Koma zusätzlich gekühlt, um den Stoffwechsel und Sauerstoffverbrauch zusätzlich zu senken. Ihre Körpertemperatur liegt dann zum Beispiel bei 34 oder 35 Grad. Studien zufolge hilft dies vor allem Kranken oder Verletzten nach einem Kreislaufstillstand, die reanimiert werden mussten. "Bei Patienten mit traumatischer Verletzung des Gehirns fürchten wir die Hemmung der Blutgerinnung und dadurch eine Zunahme der Blutergüsse", sagt Blobner. "Nur sehr erfahrene Intensivmediziner, wie es die Ärzte Michael Schumachers sind, können die notwendige Balance zwischen den Vorteilen der zusätzlichen Senkung des Sauerstoffverbrauchs und den Nachteilen der vermehrten Blutungsneigung kontrollieren."

Schädel-Hirn-Trauma als Ursache bei Schumacher

Ins künstliche Koma werden vor allem Patienten mit einer schweren Hirnverletzung versetzt. Die kann mehrere Ursachen haben. Bei Schumacher ist es ein Schädel-Hirn-Trauma, beim ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon war es ein Schlaganfall und bei der Sportmoderatorin Monika Lierhaus ein geplatztes Blutgefäß. Ziel ist es in solchen Fällen, den Druck auf das Hirn zu senken und gleichzeitig den Blutfluss so weit zu erhalten, dass das Organ gerade noch mit der benötigten Menge Sauerstoff versorgt wird. Auch nach einem Herzinfarkt kann ein künstliches Koma nötig sein, um dem Hirn Zeit zur Erholung zu geben. Menschen mit einer Sepsis (Blutvergiftung) werden manchmal ebenfalls in eine tiefe Narkose versetzt, um den Körper zu entlasten.

Je nach Verletzung und Zustand des Patienten reduzieren die Ärzte die Tiefe der Narkose zwischendurch, um sich ein Bild von seinem Zustand zu machen. "Während des künstlichen Komas kann man ihn neurologisch nicht beurteilen und deshalb auch keine Prognose abgeben", sagt die Dresdener Anästhesistin Koch. Häufig wird die Narkose einige Tage lang aufrechterhalten, denn Hirnschwellungen beginnen erst nach etwa einer Woche abzuklingen. Theoretisch kann das künstliche Koma auch mehrere Wochen dauern, "doch wenn sich der Hirndruck normalisiert hat, gibt es kaum noch einen Grund, es fortzuführen", sagt der Münchner Spezialist.

Mit der Dauer der Narkose steigt auch das Risiko für Nebenwirkungen. Dazu gehört vor allem eine Lungenentzündung, die durch die künstliche Beatmung gefördert wird. Da während der Narkose auch der Hustenreflex nicht funktioniert, kann sich die Lunge nicht selbst vor eindringenden Schmutzpartikeln schützen. Bekommt der Patient Barbiturate, die den Sauerstoffverbrauch stärker reduzieren als Propofol, mindern diese Medikamente andererseits auch die Herzleistung. Mit der Zeit steigt dann auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen.

Wie schnell sich ein Patient vom künstlichen Koma erholt, hängt außer von der Schwere der Verletzung von seiner Grundkonstitution und dem Alter ab. Um den Patienten aufwachen zu lassen, reduzieren die Ärzte die narkotisierenden Medikamente nach und nach.

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