Krankheitsnamen:Schluss mit den Affenpocken

Die WHO fordert neutrale Bezeichnungen für neue Krankheiten, die weder Orte noch Menschen oder Tiere stigmatisieren. Doch das könnte verwirrend enden. Wer will schon vom "Filovirus-assoziiertem hämorrhagischen Fieber 2" sprechen?

Von Kai Kupferschmidt

Noch heute, 20 Jahre später, bekommt Linfa Wang wütende Anrufe. Der Spezialist für neue Infektionskrankheiten hatte 1994 in Hendra, einem Vorort von Brisbane in Australien, eine ungewöhnliche Krankheitsserie untersucht. Auf einem Reiterhof waren 13 Pferde und ein Trainer gestorben. Wang gelang es, die Ursache zu finden: ein bis dahin unbekanntes Virus, das grippeähnliche Symptome verursacht und vom Pferd auf den Menschen übertragen werden kann. Er benannte den Erreger und die Krankheit nach dem Ort: Hendra. Die Bewohner des schicken Stadtteils sind davon alles andere als begeistert. "Es beschweren sich noch immer Anwohner, dass die Hauspreise deshalb gesunken seien", sagt Wang.

Krankheiten zu benennen, ist eine Gratwanderung. Zum einen kann ein schlecht gewählter Name ganze Bevölkerungsgruppen stigmatisieren. So wurde AIDS zunächst gay-related immunodeficiency (also Schwulen-Immunschwäche) genannt. Später schlug die US-Seuchenschutzbehörde den Namen 4H-Krankheit vor, weil das Leiden vor allem Homosexuelle, Heroinabhängige, Hämophilie-Patienten und Haitianer treffe, womit die Behörde dann gleich vier Gruppen stigmatisierte statt nur eine.

Andere Bezeichnungen können Handel oder Tourismus schaden. So wurde die Schweinegrippe zwar nicht von Schweinen übertragen (im Gegenteil, Menschen steckten in einigen Fällen Schweine an). Dennoch verhängten manche Länder Einfuhrverbote für Schweinefleisch und schlachteten sogar ganze Herden. Und zuletzt zeigten sich einige Länder auf der Arabischen Halbinsel wenig erfreut über die Namensgebung für Middle East respiratory syndrome (Mers).

In der vergangenen Woche hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Empfehlungen veröffentlicht, wie Forscher, Journalisten und andere in Zukunft neue Krankheiten benennen sollten. "Es ist wichtig, dass ein angemessener Name von denen gewählt wird, die als Erste über eine neue Krankheit des Menschen berichten", heißt es in dem Schreiben.

Die Regeln: Keine Namen von Menschen oder Berufsgruppen, keine Orte, keine Tiere oder Lebensmittel, keine Begriffe, die Angst erwecken, wie "unbekannt" oder "tödlich". Also keine Spanische Grippe und keine Schweinegrippe, kein Marburgfieber, keine Legionärskrankheit, keine Affenpocken. Stattdessen sollten Namen gewählt werden, die zum Beispiel Symptome (Atemwegserkrankung, wässrige Diarrhö) und ihr Auftreten (saisonal, schwer, altersbedingt) beschreiben. Auch der Erregertyp und Zahlen seien im Namen akzeptabel.

"Die WHO musste etwas machen, um sich in Zukunft aus der Schusslinie zu nehmen"

"Die WHO musste etwas machen, um sich für die Zukunft aus der Schusslinie zu nehmen", sagt Christian Drosten, Virologe an der Universität Bonn. In der Regel wählten Wissenschaftler einen Namen und hinterher bekomme die WHO diplomatischen Druck. "Allerdings finde ich, dass man es mit der politischen Korrektheit nicht so weit treiben sollte, dass am Ende niemand mehr die Pathogene unterscheiden kann."

Tatsächlich dürfte es Forschern schwerfallen, den neuen Regeln zu entsprechen und dabei jeder Krankheit einen ganz neuen Namen zu geben. "Das wird mit Sicherheit zu langweiligen Namen und viel Verwirrung führen", sagt Wang. Marburgfieber etwa wäre vermutlich Filovirus-assoziiertes hämorrhagisches Fieber 1 genannt worden, Ebola (benannt nach einem Fluss) Filovirus-assoziiertes hämorrhagisches Fieber 2.

Kazuaki Miyagishima von der WHO verteidigt die neuen Regeln. Miyagishima gehört zu dem Gremium, das die Empfehlungen aufgestellt hat. Die Gruppe habe sich mehr als ein Jahr lang immer wieder getroffen und verschiedene Ideen diskutiert, etwa ob man Krankheiten nach griechischen Göttern benennen solle oder wie Hurricanes abwechselnd mit männlichen und weiblichen Vornamen. "Aber während es Menschen vielleicht nicht beleidigt, einen Hurrican Katrina zu nennen, geht es bei einer Krankheit nicht nur um einen Hurrikan für eine Woche", sagt Miyagishima. "Der Name geht ein in die Geschichte menschlichen Leids." Darum habe man diese Ideen wieder verworfen. "Wir wollen die Kreativität der Forscher nicht töten", sagt er. "Aber wir glauben, dass wir noch einen großen Freiraum gelassen haben."

Viele Forscher sehen das anders. "Warum sollten herausragende Forschungsleistungen nicht belohnt werden, indem eine Krankheit nach dem Wissenschaftler benannt wird?", fragt etwa Jack Woodall, ein erfahrener Epidemiologe. Chagas- und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit seien gute Beispiele.

Natürlich müsse man bei Ortsnamen vorsichtig sein, sagt Woodall. Aber diese grundsätzlich zu verbieten, gehe zu weit. Manchmal sei es richtig, geografische Namen zu verwenden, sagt auch Drosten, etwa bei Mers. "Es war schon bei der Entdeckung ziemlich offensichtlich, dass das Virus fast nur in der Region auftritt", sagt er. Wang jedenfalls hat dazugelernt. Als er vor wenigen Jahren in Cedar Grove in Australien ein neues Virus entdeckte, nannte er es einfach nur Cedarvirus. "Da ist die Verbindung zum Ort nur noch Eingeweihten klar."

Abkürzungen könnten eine Lösung sein, aber Menschen vergessen schnell ihre Bedeutung

Ein guter Ausweg seien auch Abkürzungen, sagt der niederländische Virusforscher Albert Osterhaus von der Erasmus-Universität Rotterdam. Zum einen seien sie kürzer (auch das, eine Empfehlung der WHO) und zum anderen vergäßen Menschen schnell, wofür sie eigentlich stehen. Selbst Abkürzungen haben aber ihre Tücken. So prägte die WHO 2003 den Namen Sars (kurz für severe acute respiratory syndrome) um einen Namen wie Chinesische Grippe zu vermeiden. In Hongkong kam der Name allerdings nicht gut an. Die Metropole heißt offiziell Hong Kong SAR für special administrative region.

Vollkommen vermeiden ließen sich solche Überschneidungen nur, indem man Krankheiten einfach nummeriert. Das wäre nicht einmal neu, sagt Linfa Wang. Der Forscher wuchs Ende der 60er-Jahre in China auf, inmitten der Kulturrevolution. Damals seien Krankheiten auch nur nummeriert worden, erinnert er sich. "Ich weiß noch, dass ich als Kind furchtbare Angst vor Krankheit Nummer fünf hatte", sagt er. "Ich weiß nicht warum, aber Krankheit Nummer fünf wollte man auf gar keinen Fall bekommen."

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