Koronare Herzkrankheit:Pillen statt Gefäßstütze

Bei Patienten mit Koronarer Herzkrankheit ziehen viele Kardiologen Stents einer Tablettenbehandlung vor. Doch die teuren Gefäßstützen bieten den Kranken keinen Vorteil.

Werner Bartens

Der Eingriff klingt so sinnvoll - und hilft doch nicht besser als Tabletten. Ein Stent, wie die Gefäßstützen aus Metall oder Kunststoff genannt werden, soll zwar Arterien offenhalten. Patienten mit Koronarer Herzkrankheit (KHK) erleiden jedoch nach der Stent-Einlage ähnlich häufig Todesfälle, Infarkte und Gefäßverschlüsse wie jene Kranke, die lediglich Medikamente erhalten. "Bei einer stabilen KHK gibt es keinen Beleg für einen zusätzlichen Nutzen der Stents gegenüber einer Therapie mit Medikamenten", berichten Kardiologen der Universität Stony Brook im Fachmagazin Archives of Internal Medicine vom heutigen Dienstag (Bd. 172, S. 312, 2012).

Kathleen Stergiopoulos und David Brown haben in einer großen Meta-Analyse Daten von mehr als 7200 Patienten ausgewertet. In der Beobachtungszeit von viereinhalb Jahren starben 8,9 Prozent der Patienten in der Stent-Gruppe im Vergleich zu 9,1 Prozent jener, die Medikamente erhielten. Einen Infarkt erlitten 8,9 Prozent der Patienten mit Stents und 8,1 Prozent der Kranken, die lediglich mit Medikamenten behandelt wurden. In beiden Gruppen verschlossen sich bei 20 bis 30 Prozent der Patienten die Herzkranzgefäße erneut. Angina-pectoris-Beschwerden bestanden bei 29 beziehungsweise 33 Prozent der Patienten auch weiterhin.

Der Kardiologe William Boden sieht "keinerlei belegbare Vorteile der Stents bei einer KHK" und kritisiert in einem Kommentar vehement die verbreitete Praxis vieler Kardiologen, trotzdem die teuren Gefäßstützen einer Tablettenbehandlung vorzuziehen: "Während Ärzte nach außen hin das Loblied auf die evidenzbasierte Medizin singen, nehmen sie oft in Wahrheit nur die Studien zur Kenntnis, die ihre eigenen Vorlieben unterstützen. Und sie ignorieren das, was ihrem eigenen Vorgehen widerspricht oder unpopulär erscheint", so der Mediziner vom Albany Medical Center im Staat New York. "Natürlich verdienen Ärzte wie Kliniken mehr an den invasiven Verfahren - alle Anreize fördern die Verwendung von mehr Stents."

Das Fachmagazin hat die aktuelle Studie in die Serie "Less is more" (Weniger ist mehr) aufgenommen. "Mehr als eine Million Stents werden jährlich allein in den USA bei Patienten mit KHK gelegt", sagt Herausgeberin Rita Redberg. "Doch nur die Hälfte aller Patienten sind zuvor mit Medikamenten behandelt worden." Die Studienautoren wie auch William Boden kritisieren, dass sechs bis acht Milliarden Dollar jährlich eingespart werden könnten, wenn auf unnötige Stents verzichtet würde. Frühere Studien - darunter vom Deutschen Herzzentrum München - hätten den Nutzen der Stents bei stabiler KHK unangemessen positiv dargestellt.

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