Kinderliteratur:Lösen Schauergeschichten Alpträume aus?

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Einige Gestalten aus den Harry-Potter-Büchern können sensible Kinder ängstigen.

(Foto: Getty Images)

Die Bücher, die Kinder lesen, wirken in ihren Träumen nach. Dennoch sehen Wissenschaftler keinen Grund zu übertriebener Vorsicht bei der Auswahl der Bettlektüre.

Von Sebastian Herrmann

Das Mädchen Stella lebt in einem Albtraum. Seit sie ein Schloss geerbt hat, trachtet Tante Alberta nach ihrem Leben. Die skrupellose Dame ersinnt Mordanschläge von erlesener Grausamkeit: Stella soll im Kaminschacht verbrannt, unter Schneemassen vergraben oder anders zu Tode gefoltert werden. Und das soll Jugendliteratur für Kinder ab neun Jahren sein? Für diese Altersgruppe schreibt der Brite David Walliams - und sein Buch "Terror-Tantchen" wird gerade von einer großen Fangemeinde geliebt und von manchen Eltern gehasst. So was dürfe Kindern nicht zugemutet werden, schimpfen besorgte Mütter und Väter über die Geschichte des Autors, den andere als Nachfolger des großen Roald Dahl feiern.

Sollten Kinder vor gruseliger Literatur geschützt werden - vor Harry Potter oder auch vor klassischen Märchen, die sich oft wie sadistische Gewaltfantasien lesen? Die Schrecken des Mädchens Stella könnten tatsächlich auf die kleinen Leser abfärben. Wissenschaftler um Michael Schredl vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim und Mark Blagrove von der Universität Swansea berichten im Fachblatt Dreaming, dass junge Leser von Gruselgeschichten häufiger Albträume erleben als Fans weniger aufwühlender Bücher. Für ihre Studie untersuchten die Forscher die Lesevorlieben von mehr als 3500 Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren und fragten auch Daten zu deren Träumen ab.

Schon lange ist gewiss, dass Geschichten Trauminhalte beeinflussen. So schleichen sich Figuren aus den jeweils populären Büchern und Filmen einer Ära in Träume. In den 1950er-Jahren bevölkerten Geister und Hexen Albträume von Kindern, heute tauchen dort eher Schurken wie Lord Voldemort aus Harry Potter auf. Es liegt ja auch auf der Hand, dass die aufregenden Ereignisse des Tages die Träume der Nacht steuern: Bei Kindern kann das die Angst vor der Terror-Tante sein, bei Erwachsenen der Stress im Büro.

"Die entscheidende Frage ist aber, ob die Gruselgeschichten auch die Häufigkeit von Albträumen beeinflussen", sagt Schredl. Das ist sehr gut möglich, aber ungewiss. Andere Studien haben gezeigt, dass Leser von Science Fiction und Fantasy öfter Klarträume erleben. In diesen Zuständen ist Schlafenden bewusst, dass sie träumen, und mitunter sind sie in der Lage, die Handlung ihrer nächtlichen Abenteuer zu steuern. Unklar ist aber, ob die Literatur Klarträume auslöst oder Klarträumer schlicht Science-Fiction lieben. Bei Kindern könnte das ebenso sein: Vielleicht wecken häufige Albträume Lust auf Gruselgeschichten, nicht anders herum.

Ob nun Bücher über gewalttätige Tanten für ein Kind taugen, hängt davon ab, ob es solche Schauergeschichten mag und aushält. Übertrieben vorsichtig sollten Eltern nicht sein, so Schredl. "Gruselige Bücher zu lesen kann Kindern helfen, mit ihren Ängsten umzugehen." Vom zehnten Lebensjahr an, wenn Kinder ihre Furcht besser kontrollieren könnten, sinke auch die Häufigkeit, mit der die Kleinen nachts schreckliche Träume erleben. So nämlich lautet die frohe Botschaft: Jeder Albtraum endet irgendwann, so wie jedes Buch einen Schluss hat. Beides gilt sicher auch für Stella und ihr Duell mit der mordlustigen Tante. Jetzt aber ab ins Bett!

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