Kampf gegen Aids:Neue Ära, neue Nöte

Rally held on World AIDS day in Dhaka

Individuellere HIV-Therpapien und Präventionsansätze sind gefragt.

(Foto: dpa)

Der Kampf gegen die Aids-Epidemie geht in eine weitere Runde: Das Ziel lautet nun, die Mehrheit der weltweit Infizierten effektiv zu behandeln. Das ist aber nur mit einer komplett anderen Strategie als bisher möglich.

Von Werner Bartens

Das Ziel ist ambitioniert, doch es könnte eine neue Ära in der Bekämpfung von HIV einläuten: Auf eine kurze Formel gebracht lautet die Mission 90-90-90. Dahinter verstecken sich keine Model-Maße, sondern drei Grundpfeiler des künftigen Kampfes gegen Aids. Bis zum Jahre 2020 sollen demnach 90 Prozent aller Menschen mit HIV wissen, dass sie infiziert sind. Zweitens sollen 90 Prozent dieser nachweislich Infizierten eine anti-retrovirale Kombinationstherapie erhalten. Und drittens sollen die Medikamente das Virus bei 90 Prozent der Behandelten so weit zurückdrängen, dass es mit den üblichen Tests nicht mehr nachweisbar ist.

Ein halbes Jahr, nachdem dieses ehrgeizige 90-90-90-Ziel erstmals von der Aids-Organisation der Vereinten Nationen (UNAIDS) formuliert wurde, bekräftigen die US-Infektiologen Anthony Fauci und Hilary Marston im Fachmagazin Journal of the American Medical Association dieses Ziel nun und rufen zu einem Strategiewechsel auf (Bd. 313, S. 357, 2015). Fauci wird bald 75 Jahre alt, doch der Pionier der Aids-Forschung bleibt einer der einflussreichsten Mediziner weltweit, als Berater der US-Regierung und Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten der nationalen amerikanischen Gesundheitsinstitute.

Die Autoren erinnern in ihrem Artikel unter anderem daran, dass auch das "3 by 5"-Ziel vor mehr als einer Dekade noch als allzu ehrgeizig galt. Bis zum Jahr 2005, so lautete der Plan von 2003, sollten drei Millionen Menschen mit HIV die anti-retrovirale Therapie bekommen. Heute erhalten geschätzte 13,6 Millionen Menschen diese Form der Behandlung, allein im vergangenen Jahr haben eine Million Infizierte mit der Therapie begonnen.

Mit den neuen 90-90-90-Zielen müsse sich nun allerdings auch die Herangehensweise ändern. "Anstelle der breit angelegten, bevölkerungsweiten Aktionen muss man spezifischer und gezielter vorgehen", schreiben Fauci und Marston. "Wir können von erfolgreichen Programmen gegen Pocken und Polio lernen, um dem Ziel einer Welt ohne Aids näherzukommen."

Für Männer, die Sex mit Männern haben, könnte eine Prophylaxe mit Medikamenten sinnvoll sein

Konkret würde dies bedeuten, sich stärker auf jene Regionen der Welt zu konzentrieren, die besonders von HIV heimgesucht werden, Risikogruppen zu bestimmen und dann die spezifischen Risiken und Übertragungsgefahren vor Ort zu verstehen und gezielt einzudämmen.

In den USA sind beispielsweise Männer, die Sex mit Männern haben, am meisten gefährdet, sich anzustecken. Unter den Farbigen in dieser Gruppe ist der Anteil der Infizierten jedoch viermal höher als unter den Weißen (32 gegenüber acht Prozent). Zugleich gelingt die medikamentöse Dezimierung des Virus unter die Nachweisgrenze im Vergleich zu den Weißen bisher bei nur halb so vielen Afroamerikanern (16 gegenüber 34 Prozent). "Wir brauchen für jedes Risikoprofil maßgeschneiderte Programme, beispielsweise die Prä-Expositionsprophylaxe", meinen die Autoren. Es sei in einigen Fällen tatsächlich sinnvoll, Nicht-Infizierte aus Hochrisikogruppen vorsorglich mit Medikamenten zu behandeln. Von einer Routine raten Fauci und Marston jedoch ab, weil die Zahl der Infektionen dadurch mitunter wieder steigt.

In ärmeren Regionen der Welt könnte dafür schon die richtige Zuordnung von Therapie und Prävention viel bewirken. So sind in Kenia 5,6 Prozent der Erwachsenen infiziert, in einigen Gebieten um den Victoria-See jedoch mehr als 15 Prozent. Gezielte Hilfe dort, wo sie besonders nötig ist, würde nach Analysen von UNAIDS mindestens 600 000 Neuinfektionen bis zum Jahre 2030 verhindern. In derselben Ausgabe des Fachmagazins belegt Christopher Murray von der University of Washington, wie gezielte Programme helfen - in einigen Regionen Afrikas sei die Sterblichkeit an Aids auf das Niveau von Industrieländern gesunken (Bd. 313, S. 359).

Allerdings bleibt der Weg mühsam. "Die Zahl der Neuerkrankungen sinkt seit 2005 jedes Jahr um 1,54 Prozent, aber die Ressourcen stagnieren", sagt Murray. "Dabei verbessern sich die Chancen deutlich und mehr Menschen überleben, je gezielter Therapie und Präventionsprogramme angewendet werden."

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