Kabinett der Kalamitäten:Krampfzone Bett

Illu für Gesundheitsserie: Wadenkrampf

Im Sommerhalbjahr sind nächtliche Wadenkrämpfe häufiger.

(Foto: Illustration: Dalila Keller)

Der Körper ist ein Wunderwerk - und verwundert uns täglich aufs Neue. Er produziert seltsame Geräusche, Gerüche, Ticks, Besessenheiten und Beschwerden. Hält sich aber gerne bedeckt, wenn man fragt: Wo kommt das her? Und vor allem: Wie geht das wieder weg? Eine Serie über Alltags-Misslichkeiten. Teil 5: Wadenkrämpfe.

Von Berit Uhlmann

Sechs mal täglich ausgiebige Fußgymnastik. Jede Stunde fünf Minuten lang die Beine hochlegen. Zweimal pro Tag ein warmes Entspannungsbad. Und ganz oben der Tipp: "Das Essen sollte langsam gegessen und gründlich gekaut werden." Dies ist die Kur, die eine kalifornische Medizinzeitschrift 1960 gegen nächtliche Wadenkrämpfe liebevoll beschrieb. Man kann es den Ärzten kaum verübeln. Sie wussten einfach vor 50 Jahren noch nicht, was die Wade so in Wallung bringt. Und jetzt kommt die schlechte Nachricht: Auch heute wissen es Mediziner nicht wirklich.

Dass sich ein Bastian Schweinsteiger nach 100 Minuten Hochleistung mit einem Wadenkrampf am Boden wälzt, kann man ja nachvollziehen. Aber neun Minuten lange Kontraktionen mitten in der Nacht, nach stundenlanger Entspannung - ist das normal? Absolut. So sieht der Durchschnittskrampf aus, den mindestens die Hälfte aller Erwachsenen gelegentlich erlebt.

Die meisten von ihnen bekommen die Kontraktionen schnell wieder gelöst, indem sie das Bein ausstrecken und die heftig zusammengezogenen Muskeln vorsichtig wieder dehnen. Dafür ziehen sie beim durchgestreckten Bein die Zehen Richtung Knie und treten mit der Ferse nach vorne. Aber wenn die Geplagten nun fragen, wie sie das schmerzhafte Erwachen künftig verhindern können, wird es schwierig.

Das einzige nachweislich hilfreiche Medikament kann Nebenwirkungen haben, die den Menschen viel stärker um den Schlaf bringen als die krampfenden Waden, darunter: Blutungen, Hautauschlag, Ohrgeräusche, Hör- oder Sehstörungen und Herzrhythmusstörungen, die bis zur Ohnmacht führen können. Chininsulfat, so der Name, ist daher seit Frühjahr diesen Jahres nicht mehr frei verkäuflich. Es soll nun nur noch bei sehr schweren Beschwerden verschrieben werden.

Zweifel am Magnesium

Doch wahrscheinlich greifen die meisten Betroffenen ohnehin zu Magnesium, schließlich wird es gerne als Entspannungskur für die Muskeln beworben. Die Wirkung allerdings ist längst nicht so klar bewiesen wie suggeriert. Als Schweizer Forscher im vergangenen Jahr die Fachliteratur durchschauten, fanden sie nur ein paar kleinere Untersuchungen. Darin waren die Patienten, die Magnesium nahmen, kaum besser geschützt als eine Placebogruppe: Im Durchschnitt hatten die Patienten alle drei Wochen einen Krampf weniger. Zu wenig, um von einer echten Wirkung zu sprechen, meinen die Forscher.

Etwas hoffnungsvoller ist die Lage für Schwangere. Werdende Mütter leiden besonders häufig unter Krämpfen, Magnesium erspart ihnen durchschnittlich fast einen Krampf pro Woche. Wer Pech hat, muss für diese Erleichterung allerdings mit Nebenwirkungen bezahlen: Magen-Darm-Probleme können vorkommen. Über all die anderen Mittelchen und Vitamine auf dem Markt gibt es weniger Erkenntnisse.

Empfohlen werden daher vor allem regelmäßige Dehnübungen und Massagen vor dem Zubettgehen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es sich mit ihnen ähnlich verhält, wie mit den Tipps der kalifornischen Ärzte. Einen Nachweis sind sie bis heute schuldig, aber sie schaden zumindest nicht. Und kosten nichts. Und überbrücken die Zeit, bis sich das Problem von allein löst. Denn die Phasen wiederkehrender Kontraktionen ebben meist nach einiger Zeit wieder ab. Wer gerade jetzt häufig nächtliche Wadenkrämpfe hat, darf sich auf das Winterhalbjahr freuen. Dann kommen die Beschwerden seltener vor.

Hinweis: In dieser Serie beschäftigen wir uns mit Phänomenen, die im Alltag als sehr störend erlebt werden, in den meisten Fällen jedoch nicht aufwändig diagnostiziert und behandelt werden müssen. Wadenkrämpfe fallen überwiegend in diese Kategorie. Allerdings können sie mitunter ein Symptom von Gefäß- oder anderen Erkrankungen sein oder als Nebenwirkung von Medikamenten auftreten. Wer diesen Verdacht hat, sollte sich professionellen Rat holen.

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