Internetsucht:600 000 Jugendliche gelten als internetabhängig

Jugendschutz im Internet

70 Prozent der befragten Kinder können sich nur maximal zwei Stunden ohne digitale Medien selbst beschäftigen.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) hat eine umfangreiche Studie zu den gesundheitlichen Folgen des modernen Medienkonsums in Auftrag gegeben.
  • Demnach gelten in Deutschland mittlerweile 600 000 Jugendliche und junge Erwachsene als internetabhängig und zweieinhalb Millionen als problematische Internetnutzer.
  • Kinderärzte empfehlen klare Regeln: Fernsehen bis zum sechsten Lebensjahr nur in Begleitung, kein eigenes Handy vor dem zwölften Geburtstag.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Der Bielefelder Kinderarzt Uwe Büsching begegnet dem Anfang allen Übels in seiner eigenen Praxis. Es ist der Vater, der seinem Kind, wenn es Angst vor einer Spritze hat, kein Spielzeug mehr in die Hand gibt - sondern sein Handy und darauf ein Video abspielt. Oder die Mutter, die beim Stillen mit einer Hand ihr Kind hält und mit der anderen ihre E-Mails liest.

Büsching ist im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. 79 seiner Kollegen haben im vergangenen Jahr in 15 Bundesländern 5600 Patienten untersucht und sie mit ihren Eltern gefragt, wie sie Smartphones und Tablets nutzen. Das Ergebnis ist eine erste umfangreiche Studie zu den gesundheitlichen Folgen des modernen Medienkonsums, in Auftrag gegeben von der Bundesdrogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU).

Demnach gelten in Deutschland mittlerweile 600 000 Jugendliche und junge Erwachsene als internetabhängig und zweieinhalb Millionen als problematische Internetnutzer. 70 Prozent der Kinder im Kita-Alter nutzen das Handy der Eltern mehr als eine halbe Stunde täglich, 90 Prozent von ihnen werden dabei nicht weiter kontrolliert. Dabei wirke sich Mutters Smartphone schon bei Kleinkindern auf die Gesundheit aus.

Für einen Zusammenhang zwischen Fütter- und Einschlafstörungen bei Säuglingen und der Nutzung digitaler Medien der Eltern habe der beauftragte Kölner Medizinökonomie-Professor Rainer Riedel "signifikante Hinweise" gefunden. Auch Bindungsstörungen könnten in diesem Alter entstehen. "Wir müssen die gesundheitlichen Risiken der Digitalisierung ernst nehmen", sagte Mortler.

Handyfreies Mittagessen, Fernsehen nur in Begleitung

Bei Kindern zwischen zwei und fünf Jahren bringen die Wissenschaftler Hyperaktivität sowie Konzentrations- und Sprachstörungen mit ihrer Mediennutzung in Verbindung. Die Antworten der Eltern zeigen, dass sich knapp 70 Prozent der Kinder nur maximal zwei Stunden ohne digitale Medien selbst beschäftigen können. Bei den älteren Kindern machten die Forscher zudem auf einen erhöhten Genuss von Süßigkeiten bei der Mediennutzung aufmerksam. Ein nennenswerter Teil der befragten Jugendlichen habe angegeben, "Probleme zu haben, die eigene Internetnutzung selbstbestimmt zu kontrollieren".

Kinderarzt Büsching empfiehlt deshalb klare Regeln: Fernsehen bis zum sechsten Lebensjahr nur in Begleitung, kein eigenes Handy vor dem zwölften Geburtstag. Eltern sollten Geräte mit Zeitabschaltung einführen und handyfreie Mittagessen. Der nationale Drogen- und Suchtrat dringt zudem auf eine "verstärkte Forschung" bei internetbezogenen Störungen. Allerdings wollen derzeit weder Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) noch Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine langfristige Studie finanzieren. Aus dem Familienministerium heißt es, dies müsse man prüfen.

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