Hypnose:Trance als Therapie

Hypnose: Wie wirkungsvoll ist Hypnose?

Wie wirkungsvoll ist Hypnose?

Die meisten Menschen halten Hypnose für Bühnenklamauk. Nicht so die Narkoseärztin Marie-Elisabeth Faymonville: Sie forscht seit 25 Jahren an der medizinischen Wirkung der Methode.

Von Astrid Viciano

Marie-Elisabeth Faymonville empfiehlt ihren Patienten gern eine Reise in einem Heißluftballon. Manchmal schickt sie die Erkrankten auch an den Strand, oft auf einen Spaziergang ins Grüne. Oder die Medizinerin lässt die Patienten bei Sonnenaufgang auf einer Wolke Platz nehmen, wie heute zum Beispiel Nicole Mathieu. "Sie fühlen sich sehr geborgen und ganz leicht", sagt Faymonville. Mit sanfter, monotoner Stimme erzählt sie von den ersten Sonnenstrahlen am Morgenhimmel, der frischen Luft des erwachenden Tages, den zarten Farben des Sonnenaufgangs. Und bleibt dabei stets dicht neben der Patientin, die mit geschlossenen Augen in einem schwarzen Ledersessel sitzt, die Füße auf einem gepolsterten Hocker platziert, versunken in tiefer Hypnose.

Routiniert variiert Marie-Elisabeth Faymonville den Ton ihrer Stimme, spricht bald laut und streng, um ihre Patientin aus der Trance zu geleiten. Seit 25 Jahren befasst sich die Medizinerin bereits mit Hypnose, sie gilt weltweit als Grande Dame ihres Fachs. Was andere mit Varieté und Hokuspokus verbinden, nutzt die Anästhesistin, um Menschen zu helfen.

Als erste Ärztin weltweit hat sie im Jahr 1992 an der Uniklinik Lüttich einen Patienten vor einer Operation in Hypnose versetzt, inzwischen wurden dort mehr als 9000 Menschen auf diese Weise operiert. "Mit der Kollegin hat die alte Methode in der Medizin eine Renaissance erlebt", sagt der Psychoonkologe Jochen Hefner von der Uniklinik Würzburg. Vor allem auch, weil die Ärztin die Wirkung der Hypnose in wissenschaftlichen Studien untersucht hat, die Prozesse im Gehirn beobachtet und den Nutzen für die Patienten dokumentiert. Nach Operationen. Bei Übelkeit. Bei Schmerzen. Ein aktueller Übersichtsartikel im Deutschen Ärzteblatt verweist auf gleich mehrere Studien der belgischen Medizinerin.

Früher wurde die Wirkung auf eine Art geistigen Magnetismus zurückgeführt

Heute leitet Faymonville das Schmerzzentrum der Klinik; mehr als zehn Jahre leiden die Patienten im Durchschnitt unter Schmerzen, wenn sie bei ihr Rat suchen. Sie kommen aus Marokko, aus Deutschland, aus Frankreich. Heute ist ein Mann eigens aus Paris angereist, er leidet seit 15 Jahren ganz fürchterlich. Zwei Stunden wird sie mit ihm sprechen. "Wir müssen uns für die Patienten Zeit nehmen, wenn wir ihnen helfen wollen", sagt die 64-Jährige.

Mit ihrer besonnenen Ausstrahlung wirkt sie auf angenehme Weise aus der Zeit gefallen; ihr Erscheinen mit beigem Pullover und heller Hose, randloser Brille und feiner Goldkette bildet einen stillen Kontrast zum schrillen Getöse der Bühnenhypnotiseure. Ihr Büro liegt am Ende eines schmalen Gangs in der zweiten Etage der Uniklinik, vor den Fenstern zum Innenhof verlaufen dicke graue Röhren.

Das alles stört die Patientin Nicole Mathieu wenig; fast regungslos liegt sie im schwarzen Ledersessel der Ärztin, so als würde sie schlafen. "Dabei wissen wir inzwischen, dass das Gehirn während der Hypnose hoch aktiv ist", sagt Faymonville. Warum das so ist und was genau bei Hypnose im Gehirn passiert, versuchen Wissenschaftler seit Jahrhunderten zu verstehen. So führte der deutsche Arzt Franz Anton Mesmer die Wirkung der Methode im 18. Jahrhundert auf eine Art geistigen Magnetismus zurück. Sein schottischer Kollege James Braid erklärte das Phänomen dagegen als einen neurologisch bedingten Schlafzustand und prägte den Begriff Hypnose, nach dem altgriechischen Wort hypnos für Schlaf.

Schmerzlinderung durch Hypnose

Heute gehen Faymonville und andere Spezialisten davon aus, dass Hypnose Menschen in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt. "Die Patienten können Abstand nehmen von dem, was um sie herum passiert, können stattdessen auf ihr inneres Erleben fokussieren", sagt die Ärztin. Im Gegensatz zur Meditation, bei der eine Konzentration der Gedanken unerwünscht ist.

Doch selbst moderne, bildgebende Verfahren erlauben es den Forschern nur ansatzweise, die Hirnprozesse unter Hypnose zu verstehen. Immerhin wissen Faymonville und Kollegen bereits, was bei Schmerzpatienten im Gehirn geschieht, wenn ihnen etwa vor einem Eingriff suggeriert wird, dass der Schmerz sie nicht stören wird. Dann nämlich ist die Aktivität im sogenannten dorsalen anterioren cingulären Kortex (dACC) reduziert, einem Bereich der Hirnrinde gleich hinter den Augen. "Der dACC kontrolliert das Gesamtsystem", sagt der Psychologe Wolfgang Miltner von der Uniklinik in Jena.

Wie ein Dirigent über die Instrumente seines Orchesters bestimmt, verändert der dACC das Zusammenspiel verschiedener Hirnbereiche, die am Schmerzerleben beteiligt sind. Ähnliches geschieht, wenn zum Beispiel Patienten unter Hypnose suggeriert wird, dass sie ein Brett vor den Augen haben. Das zeigt eine noch unveröffentlichte Studie Miltners. "Dann verändert der dACC ebenfalls das Zusammenspiel verschiedener Hirnbereiche, aber diesmal mit der Sehrinde", sagt Miltner.

Den Patienten kann Hypnose vor allem dabei helfen, mit ihren Erkrankungen besser zu leben. "Ich habe noch immer Schmerzen, räume ihnen aber viel weniger Raum in meinem Leben ein", wird Nicole Mathieu, die Dame auf dem schwarzen Ledersessel, später berichten. Vor 16 Jahren begannen die Schmerzen, erst im Rücken, dann in den Gelenken; sie hatte einen Bandscheibenvorfall erlitten, war an Fibromyalgie erkrankt. Die Ärzte verschrieben ihr Schmerzmedikamente, erhöhten die Dosis, wechselten zu immer potenteren Arzneien. Bis sie schließlich unter Morphin-ähnlichen Substanzen die Umwelt so wahrnahm, als hätte man sie in Watte gehüllt. Vor fünf Jahren wollte sie ihrem Leben ein Ende setzen.

Heute arbeitet die 59-Jährige mit dem runden, rosigen Gesicht als Bürokraft im gleichen Stockwerk wie Faymonville. Sie kümmert sich um Patientenakten, organisiert die OP-Kleidung, und immer zur Mittagszeit schließt sie für eine halbe Stunde die Tür ihres Büros. "Dann setze ich mich in meinem Bürostuhl und beginne selbst mit der Hypnose", berichtet Mathieu.

Ein Löwe hatte zugebissen, doch die Verletzte versicherte, sie habe keine Schmerzen

Genau das möchte Faymonville bei ihren Patienten erreichen - dass sie lernen, sich selbst zu hypnotisieren. "Wir zeigen ihnen nur, wie es geht", sagt die Ärztin. Die Gabe, sich selbst in Trance zu versetzen, besäße schließlich jeder. Wobei sich manche Menschen damit leichter tun als andere. Etwa zehn Prozent geraten sehr schnell in Trance - solche zum Beispiel, die sich beim Lesen eines Buchs so darin vertiefen, dass sie das Telefonklingeln überhören. Einem ebenso großen Anteil der Bevölkerung fällt es dagegen sehr schwer, sich darauf einzulassen, schätzen Experten. Die sollten sich eher auf andere Therapien konzentrieren, ebenso wie auch Patienten mit akuten Psychosen oder schweren Persönlichkeitsstörungen. "Die übrigen können die Technik mit etwas Übung lernen", sagt Faymonville. Und damit aus den Ressourcen des eigenen Körpers schöpfen, um gegen ihre Erkrankung anzugehen.

Oder auch, um lebensgefährliche Situationen zu überstehen, wie jene Frau mit der blutenden Bisswunde, über die Faymonville gern berichtet. Bei einem Zoobesuch war ein Steg unter der Dame zusammengebrochen. Sie fand sich plötzlich im Raubtiergehege wieder, ein Löwe riss ihr eine Fleischwunde in den Oberschenkel. Sie habe keine Schmerzen, versicherte die Verletzte der Ärztin, als sie in der Notaufnahme der Uniklinik Lüttich eintraf. "In solchen Extremsituationen können sich Menschen sehr schnell in Trance versetzen, um zu überleben", sagt Faymonville.

Wie Hypnose Gesunden und Kranken helfen kann, wird die Medizinerin an diesem Abend auf der Bühne des Festsaals der Krankenpflegeschule in Lüttich erklären. In hellblauen, dunkelblauen und weißen Tabellen wirft die Ärztin die Ergebnisse einer Studie aus dem vergangenen Jahr an die Wand. An mehr als 500 Schmerzpatienten konnte Faymonville beobachten, dass ihnen die Selbsthypnose mehr half als etwa eine Physiotherapie oder Psychoedukation.

Die Lebensqualität stieg stärker an als in den Vergleichsgruppen, Ängste, Depressionen sowie Schmerzen nahmen dagegen ab, so die Ergebnisse im European Journal of Pain. Auch der jüngst erschienene Übersichtsartikel im Deutschen Ärzteblatt bestätigt diese Resultate.

Operation ohne Vollnarkose

Ebenso als nachgewiesen gilt der Erfolg beim Reizdarmsyndrom, die Methode fand bereits vor fünf Jahren den Weg in die Therapie-Leitlinien, zur Raucherentwöhnung und zum Methadonentzug empfahl sie der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie schon im Jahr 2003. Und sie kommt in der Psychotherapie von Angsterkrankungen und Depressionen zum Einsatz, wobei hier hochwertige Studien fehlen. "Die Hypnose ist in der Medizin in Deutschland ein Randphänomen", klagt der Psychoonkologe Hefner.

In Lüttich hingegen begleiten mittlerweile 14 Anästhesisten Operationen unter Hypnose, Medizinstudenten müssen Veranstaltungen zum Thema besuchen, den Assistenzärzten bietet Faymonville eine Weiterbildung an. In Deutschland setzt der Anästhesist Ernil Hansen von der Uniklinik Regensburg Hypnose in der Gesprächsführung ein - vor, während und nach Operationen am Gehirn. Und tauscht sich regelmäßig mit Faymonville aus. "Die Kenntnis der Hypnose ist für den Umgang mit den Patienten enorm wichtig", sagt Hansen.

Im zweiten Untergeschoss der Uniklinik Lüttich zeigt Faymonville auf die silbernen Schwingtüren eines OP-Saals, die Nummer 8 prangt in roter Farbe darauf. Hier begleitete die Narkoseärztin im Jahr 1992 zum ersten Mal einen Patienten unter Hypnose durch eine Operation. "Das war nur ein kleiner Eingriff. Der Patient bekam ein Medikament unter die Bauchhaut verpflanzt", sagt sie. Doch hatte der Mann große Angst davor. Und die konnte sie ihm unter Hypnose nehmen.

Bald wagte sie sich an größere Eingriffe heran, führte Operationen, die normalerweise unter Vollnarkose stattfinden, unter örtlicher Betäubung durch. Zum Beispiel bei der inzwischen verstorbenen belgischen Königin Fabiola, die sich von ihr unter Hypnose die Schilddrüse entfernen ließ. Ein Foto der Monarchin mit Faymonville hängt im Büro der Ärztin.

Die Ärztin misst die Hirnströme von Menschen, die eine Nahtoderfahrung erlebt haben

Bei den Operationen können sich die Patienten dann an einen angenehmen Ort versetzen. In normalem Bewusstseinszustand würde vor allem der rechte Temporallappen aktiv - als Teil des autobiografischen Gedächtnis. Unter Hypnose hingegen fährt die Sehrinde hoch - so als würden die Hypnotisierten die Reise tatsächlich sehen. "Es ist, als ob sie den Urlaub nochmals durchleben", sagt Faymonville.

Das will die Medizinerin nutzen, um Erkrankungen und Bewusstseinszustände zu erforschen. Sie deutet auf ein Video eines Probanden, der eine Art Badekappe mit unzähligen Elektroden auf dem Kopf trägt. In einer Studie misst Faymonville derzeit die Hirnströme von Patienten, die eine Nahtoderfahrung durchlebt haben. Um zu sehen, ob die Betroffenen diese Extremsituation unter Hypnose wieder erleben können, ähnlich wie den Urlaub. Um diesen Zustand dann besser zu ergründen.

Schon als Kind suchte Faymonville stets das Besondere, fiel schon als Schülerin mit ausgefallenen Fragen auf. Als Angehörige einer deutschen Minderheit kannte sie deutsche Schlager statt französischer Chansons, wechselt sie heute mühelos zwischen Deutsch und Französisch hin und her; kürzlich hielt sie einen Vortrag bei einem Kongress in Bad Kissingen.

Bei Veranstaltungen warnt sie stets davor, sich in die Hände irgendeines Hypnotiseurs zu begeben. Und erinnert dabei an das Experiment eines kanadischen Kollegen. Der hatte die Geburtstagsparty einer Studentin gefilmt und die junge Frau dann unter Hypnose die Feier neu durchleben lassen. Dabei suggerierte ihr der Kollege allerdings, dass ihr Vater unter den Gästen gewesen war. Tatsächlich hatte der am Fest nicht teilgenommen. Nach der Hypnose war die Studentin dennoch fest davon überzeugt, dass ihr Vater mit ihr gefeiert hatte. "Wir müssen vorsichtig sein, was wir den Patienten unter Hypnose suggerieren", warnt Faymonville. Unter Pariser Gymnasiasten zum Beispiel ist es gerade en vogue, fremde Passanten auf der Straße mit im Internet aufgeschnappten Methoden zu hypnotisieren. "Bei besonders anfälligen Menschen funktioniert das", berichtet die Ärztin.

Für Faymonville gehört die Hypnose längst zum Alltag. Die Technik hilft ihr, im Beruf entspannt zu bleiben; bei ihren drei Söhnen hat sie Hypnose bei Ängsten eingesetzt oder wenn sie nachts an Bauchschmerzen litten. Sogar die Weisheitszähne wurden ihnen unter Hypnose gezogen. "Meine Kinder sind damit aufgewachsen", sagt Faymonville. Sie hofft, dass sich die Hypnose auch nach ihrer Zeit in der Medizin weiter durchsetzen wird. Plötzlich stürmt ein schmaler Mann in schwarzer Lederjacke in ihr Büro. Er macht derzeit eine Ausbildung zum Narkosearzt, möchte sich möglichst bald auch der Hypnose widmen. Und ist der Sohn von Marie-Elisabeth Faymonville.

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