Hörgeräte für Gesunde:Wie bitte?

Hörgeräte

Hörhilfen profitieren von der Digitaltechnik - sie werden besser und kleiner.

(Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Die Hörgeräte-Branche möchte auch Gesunde mit ihren Hilfen ausstatten. Dabei ist der Knopf im Ohr selbst für viele Schwerhörige nicht attraktiv. Allein in Deutschland nutzen Millionen Menschen keine Hörhilfe, obwohl sie sie nötig hätten.

Von Helmut Martin-Jung

Das Kind kriegt Gänsehaut, wenn das Messer auf dem Teller quietscht, aber dem Vater fällt gar nichts auf. Draußen pfeifen die Vögel wieder, aber die alte Frau lebt noch in ihrem eigenen Winter. Lange Zeit merken viele Betroffene gar nicht, dass sie immer schlechter hören, denn der Prozess geht schleichend vor sich. Zehn bis 15 Millionen Menschen in Deutschland (die Zahlen variieren bei verschiedenen Studien) haben eine Hörminderung, die man mit einem Hörgerät korrigieren könnte.

Aber wie das schon klingt! Hörgerät. Nach Altenheim klingt das, nach verzweifelten Opas, die gegen das Pfeifen aus den klobigen, fleischfarbenen Apparaten hinter dem Ohr kämpfen. Fiiiiiiiep. Und die dann trotzdem dauernd nachfragen müssen.

Szenenwechsel: Ein Wohnzimmer mit einem Flachbildfernseher. Es läuft eine Sitcom, aber der Ton ist abgedreht. Die junge Frau auf der Couch lacht trotzdem immer wieder mal auf. Erst wer genau hinsieht, bemerkt: An den Fernseher ist ein kleines Kästchen angeschlossen, kleiner als eine Zigarettenschachtel. Und die Frau? Nun, man müsste ihr schon sehr nahe kommen, um die Hörgeräte zu entdecken, sie sind so klein, dass man sie kaum sieht.

Geräte für das Arbeiten in lauter Umgebung

So in etwa stellt die Hörgeräteindustrie sich das vor und zeigte die Neuerungen auch stolz auf der Ifa, der Weltmesse des unterhaltungstechnischen Schneller, Höher, Weiter. Aber bis solche Geräte in unser aller Alltag Einzug halten, ist es noch ein weiter Weg.

Bisher tragen ja noch nicht mal alle Menschen, die es eigentlich nötig hätten, eine Hörhilfe. Und nun will man auch Gesunde dazu bringen, solche Geräte zu verwenden? "Das werden andere Apparate sein als die für Schwerhörige", sagt Hans-Peter Bursig, Präsident des Bundesverbandes der Hörgeräteindustrie. Sie könnten zum Beispiel helfen, wenn man in einer lauten Umgebung arbeiten muss und trotzdem Gespräche gut mitbekommen will.

An den Geräten liegt es jedenfalls nicht, wenn das Geschäft nicht so in Schwung kommt, wie die Industrie sich das wünscht. Seit bei Hörgeräten vor etwa zehn Jahren der Umstieg auf digitale Technik vollzogen wurde, haben sie sich, wie auch Handys oder Computer, rasend schnell verbessert: Sind kleiner und intelligenter geworden, bei höherer Klangqualität. Und die Entwicklung geht immer weiter: "Schon im Vergleich zu Geräten, die drei Jahre oder älter sind, merken Sie den Unterschied deutlich", sagt Bursig.

Im Konzertsaal schwächeln Hörgeräte

Bereits Geräte aus dem mittleren Preissegment - Kassenpatienten müssen dafür etwa 200 bis 500 Euro auf die Kassenleistung draufzahlen - können über Funk Handygespräche auf beide Ohren leiten oder Umgebungsgeräusche herausfiltern, so Bursig. Und die S-Klasse der Hörhilfen? "Damit kann man Sprache in wirklich allen Lebenslagen verstehen". Die teuersten Geräte (etwa 2500 Euro pro Ohr) erkennen automatisch, ob man sich in einem ruhigen Zimmer befindet, auf einer Straße mit viel Verkehrslärm oder in einem Konzertsaal.

Konzertsaal? Nun ja, die Hörhilfen tun ihr Bestes, aber bislang reicht selbst die Qualität der besten Geräte noch nicht aus für echtes Hi-Fi. Das Problem sind vor allem die hohen Töne. Aber die Industrie arbeitet mit viel Aufwand daran, das Frequenzspektrum zu erweitern. Durchschnittliche Geräte machen zurzeit bei etwa 8000 Hertz Schluss. Für Sprache ist das völlig ausreichend, aber die feinen Obertöne etwa einer Geige kann solch ein Gerät noch nicht erfassen.

Es sind aber bereits Geräte in der Entwicklung, die bis zu 12.000 Hertz schaffen, sagt Bursig, "das ist unser wichtigstes Projekt derzeit". Auch das ist Hi-Fi-Freunden natürlich noch zu wenig, die klagen ja schon darüber, dass beim MP3-Format Frequenzen über 20.000 Hertz einfach abgeschnitten werden. "Aber es ist ein Anfang", sagt der Vertreter der Hörgerätehersteller.

Was die kleinen Geräte leisten, ist tatsächlich staunenswert. Ihre Chips sind viel höher verdichtet als etwa die in Handys, bieten pro Quadratmillimeter Chipfläche mehr Rechenleistung als mancher Supercomputer. Die brauchen sie auch, denn sie dürfen keine Zeit verlieren: Wenn sie die aufgenommenen Schallsignale umrechnen, Stimmen verstärken, Umgebungslärm herausfiltern und die Frequenzen verstärken, die der Träger schlechter hört, dann darf eines auf keinen Fall passieren: Dass man einen Zeitversatz bemerkt. Es gibt ihn natürlich, aber die Industrie arbeitet mit vielen Tricks und Kniffen daran, ihn so klein zu halten, dass er unter der Wahrnehmungsschwelle bleibt.

Bei den Herstellern ist man sich natürlich aber auch bewusst, dass die meisten Träger von Hörhilfen ältere Menschen sind. Bei den Zusatzgeräten - etwa dem Funkkästchen für den Fernseher - achtet man daher darauf, dass sie einfach zu bedienen sind. Wenige Knöpfe, klare Beschriftung. Und gekauft werden Hörhilfen ja ohnehin bei einem Akustiker, der auch die Zusatzgeräte anbietet und bei Bedarf erklärt oder sogar zu Hause installiert.

Zum Akustiker muss man ohnehin öfters, denn die Hörgeräte werden über Monate hin immer genauer angepasst, auf Grundlage des Hörprofils, das der HNO-Arzt ermittelt hat, sowie mithilfe eines Abgusses des Gehörgangs. Der Akustiker verfeinert diese Einstellungen dann in mehreren Sitzungen - ein halbes bis ein Jahr kann es schon dauern, bis man sich an das Gerät gewöhnt hat und die Einstellungen optimiert wurden.

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