Hirntrauma:Kurzer Kopfstoß - langes Leid

Bayern Münchens van Buyten beim Kopfball

Bayern Münchens van Buyten springt nach dem Ball. Kopfbälle können der Gesundheit von Fußballern schaden.

(Foto: REUTERS)

Auch leichte Kopfverletzungen können weitreichende Folgen haben. Schädel-Aufnahmen deuten darauf hin, dass schon eine einzige Gehirnerschütterung wichtige Regionen des Gehirns schrumpfen lässt.

Von Katrin Blawat

Es knallt, und die Welt verschwindet. Für Stefan Ustorf ist sie bis heute nicht wieder so aufgetaucht, wie der Sportler sie bis zu diesem Moment kannte. Vergangene Woche erklärte Ustorf seinen Rücktritt als Eishockeyprofi - 15 Monate, nachdem sein Kopf bei einem Spiel auf den Boden aufgeschlagen war. Seitdem plagt sich der heute 39-Jährige mit den Folgen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas. Er fühle, wie sein Körper nach und nach auseinanderfalle, sagte der Ex-Profi kürzlich.

Ustorfs Geschichte ist kein Einzelfall. Etwa 200.000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr ein Schädel-Hirn-Trauma. Zwar erwischt es die wenigsten von ihnen so heftig wie den Eishockeyspieler. Die meisten Fälle stufen Ärzte als ein Trauma ersten Grades ein: als Gehirnerschütterung. Die mag auf den ersten Blick zwar kaum bedrohlich wirken. Schließlich machen viele Menschen sie irgendwann im Leben einmal durch, ohne sich noch Jahre später möglicher Folgen bewusst zu sein. Doch zunehmend zeigt sich, welch belastende und lang anhaltende Folgen auch leichte Hirntraumata haben können.

Offenbar kann sogar bereits eine einzige Gehirnerschütterung wichtige Regionen des Organs schrumpfen lassen. Diese sogenannte Atrophie ist bislang als Folge schwererer Verletzungen bekannt. Mit Hilfe einer speziellen Variante der Magnetresonanztomographie (MRT) wiesen Forscher um die Neuroradiologin Yvonne Lui von der Langone School of Medicine der New York University die strukturellen Veränderungen nun auch bei Patienten nach, die ein Jahr zuvor lediglich eine leichte traumatische Hirnverletzung erlitten hatten (Radiology, online). Betroffen waren unter anderem zwei Regionen, die die Stimmung regulieren und an komplexen Denkvorgängen beteiligt sind. Bei Kontrollprobanden schrumpfte das Volumen dieser Regionen im Verlauf eines Jahres nicht. Allerdings betont Lui, andere Forscher müssten die Ergebnisse erst bestätigen, ehe man sie verallgemeinern könne.

Doch die Hirnveränderungen, die auf Luis Tomographie-Aufnahmen zu sehen waren, passten auch mit den Berichten ihrer Patienten und deren Abschneiden in kognitiven Tests zusammen. Die Betroffenen taten sich schwerer, Neues zu lernen, sich zu konzentrieren und sie litten unter depressiven Verstimmungen. All das sind bekannte Spätfolgen einer Gehirnerschütterung, die sich mitunter noch sechs Jahre nach dem Unfall zeigen können, wie der Marburger Neurologe Carsten Konrad vor zwei Jahren berichtete.

Viele Menschen verbinden eine Gehirnerschütterung vor allem mit kurzzeitiger Ohnmacht. Doch nur einer von zehn Betroffenen verliert das Bewusstsein. Die meisten fühlen sich zumindest kurze Zeit benommen, haben Kopfschmerzen, häufig ist ihnen auch übel und sie müssen erbrechen. In gut 80 Prozent der Fälle verschwinden diese Symptome nach etwa einer Woche wieder, ohne dass der Patient mehr tun muss als sich körperlich und geistig zu schonen.

Doch auch wenn die akuten Beschwerden vorbei sind, kann die Verletzung Nachwirkungen haben. So legt eine kalifornische Studie nahe, dass Gehirnverletzungen das Risiko für eine Demenz erhöhen. Und wer häufiger mit dem Kopf gegen Hartes knallt - eine Erfahrung vieler Eishockeyspieler, Fußballer und anderer Sportler - bei dem addieren sich die Schäden vermutlich mit jedem Mal.

Wie gut schützen Helme?

Dies ist umso bedeutsamer, da es offenbar nicht einmal eine richtige Gehirnerschütterung braucht, um Schäden in dem Organ hervorzurufen. Schon die Kopfbälle eines Fußballers könnten ausreichen, um die geistigen Fähigkeiten des Sportler ein wenig zu mindern. Das zumindest folgert Anne Sereno von der University of Texas aus ihrer kürzlich veröffentlichten Studie, für die sie ein Dutzend Highschool-Fußballerinnen nach Kopfbällen und harmlosen Zusammenstößen testete.

Wenige Wochen zuvor hatte sich Inga Katharina Koerte von der Universität München die Gehirne von zwölf Profifußballern mit einer speziellen Bildgebungsmethode angeschaut, die bislang alle von einer Gehirnerschütterung verschont geblieben waren. Ihre kickenden Probanden verglich Koerte mit Profi-Schwimmern, in deren Disziplin Kopfverletzungen unwahrscheinlich sind.

In den Gehirnen der als unverletzt geltenden Fußballern entdeckte Koerte "Veränderungen, wie sie von Patienten mit Gehirnerschütterung bekannt sind, nur in leichterer Form". Betroffen war die sogenannte Weiße Substanz in Regionen, die für die Aufmerksamkeitskontrolle, die Verarbeitung optischer Reize und das Erinnerungsvermögen zuständig sind. Die Weiße Substanz ermöglicht die Kommunikation innerhalb des Gehirns - Schädigungen an dieser Stelle sind daher keine Kleinigkeit.

Wie viele Studien in diesem Bereich umfasste auch Koertes nur wenige Teilnehmer, und ihre Schlussfolgerungen formuliert die Forscherin im Fachmagazin Jama sehr vorsichtig. Dennoch machen Untersuchungen wie ihre eine Frage immer drängender: Wie lassen sich Gehirnerschütterungen vermeiden? Das beschäftigt vor allem Sportmediziner zunehmend, wie auch die nun veröffentlichte, aktualisierte Fassung der Leitlinien zum Umgang mit Gehirnerschütterungen zeigt (British Journal of Sports Medicine, Bd. 47, S. 250, 2013).

Zur nächstliegenden Methode, nämlich Helmen und ähnlicher Schutzkleidung, äußern sich die Experten dabei auffallend zurückhaltend. Snowboarder, Ski- und Radfahrer könne ein Helm unbestritten vor Kopfverletzungen schützen - wenn auch unklar ist, ob sie speziell das Risiko für Gehirnerschütterungen senken können. Die machen einer Studie zufolge etwa 70 Prozent aller Kopfverletzungen von Ski- und Snowboardfahrern aus. Das Gegenargument, wonach ein Helm den sich in Sicherheit wähnenden Sportler erst recht zu unvorsichtigem Verhalten verleite, können die Autoren nicht eindeutig entkräften, halten es offenkundig aber auch nicht für gewichtig. Allenfalls bei Kindern müsse man diesen Faktor einbeziehen.

Verallgemeinernd stellen die Autoren allerdings fest: "Es gibt gegenwärtig keinen guten Beleg dafür, dass die derzeit verfügbare Ausrüstung Gehirnerschütterungen verhindert."

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2009, die 51 einzelne Studien zu verschiedenen Sportarten berücksichtigte. Deren Autoren bemängeln vor allem die schlechte Übertragbarkeit vieler Untersuchungen: Nicht alles, was sich in biomechanischen Laboranalysen als effektiver Schutz erweist, hilft dem Sportler auch tatsächlich auf dem Spielfeld.

Und selbst wenn sich eine Ausrüstung als wirksam erweist, bleibt immer noch der Faktor Eitelkeit. So mindert ein vollständiger Gesichtsschutz statistisch gesehen zumindest die Folgen einer Gehirnerschütterung bei Eishockeyspielern, zeigt die Übersichtsarbeit. Doch sie zitiert auch die Bedenken der Sportler - und die fürchten unter anderem, ein voller Gesichtsschutz würde sie ihrer starken und männlichen Ausstrahlung berauben.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: