Herz-Kreislauf-Erkrankungen:Die gesündesten Blutgefäße der Welt

Tsimane

Eine Tsimane-Familie beim Fischen.

(Foto: Piotr Strycharz/Photo RNW.org)

Im Amazonas haben Forscher ein Volk mit erstaunlich fitten Herzen entdeckt. Ein Vorbild für die westliche Welt?

Von Berit Uhlmann

Die Menschen mit den gesündesten Arterien der Welt leben in strohgedeckten Hütten in Nordbolivien. Im Amazonas-Volk der Tsimane haben 85 Prozent der Älteren keinerlei Spuren von Verkalkungen in den Herzkranzgefäßen. Ein solcher Befund sei nie zuvor dokumentiert worden, schreibt ein internationales Team aus Medizinern und Anthropologen im Fachblatt Lancet. Ein 80-jähriger Tsimane hat demnach ebenso geschmeidige Blutgefäße wie ein US-Amerikaner in seinen 50ern. Die Wissenschafter haben mehr als 700 der bolivianischen Ureinwohner im Alter von 40 bis 94 Jahren untersucht und dabei Computertomografien des Herzens angefertigt sowie Blutdruck, Cholesterin und den Blutzucker gemessen. Alle Werte waren hervorragend.

"Die Studie legt nahe, dass eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße verhindert werden könnte, wenn Menschen aus Industrienationen einige Elemente des Tsimane-Lebensstils übernehmen würden", sagt Studienautor Gregory Thomas. Leicht dürfte dies nicht sein. Die Tsimane sitzen maximal zehn Prozent ihres Tages. Die meiste Zeit verbringen sie mit Jagen, Fischen, Früchtesammeln oder Arbeit auf ihren Reis-, Mais- und Maniokfeldern.

Während Menschen aus Industrienationen verzweifelt auf die Schrittzähler ihrer Smartphones schauen, weil sie mal wieder weit von den empfohlenen sieben Kilometern am Tag entfernt sind, legen die Tsimane täglich 18 Kilometer zurück. Ihre Nahrung besteht überwiegend aus unverarbeiteten Kohlehydraten. Nur 14 Prozent der täglichen Kalorienmenge speist sich aus Fetten; der Großteil davon ist ungesättigt. 30 Prozent der Erwachsenen rauchen - allerdings im Schnitt nur eine halbe Schachtel pro Monat.

Dass genetische Faktoren die Gefäße der Tsimane jung halten, scheint eher unwahrscheinlich zu sein. Die Wissenschaftler haben beobachtet, dass sich die Cholesterinwerte der Ureinwohner seit 2011 kontinuierlich verschlechterten. Seit dieser Zeit haben sie Motoren an ihren Booten und fahren häufiger zum Markt in die Stadt. Zurück kommen sie zunehmend mit industriell gefertigter Nahrung.

Muss man den leichteren Zugang zur modernen Welt also bedauern? Eher nicht. Zum einen sind die blitzblanken Herzkranzgefäße lediglich ein interessanter Befund. Wie sich dieser auf die Lebenserwartung der Tsimane auswirkt, wissen die Forscher nicht. Zum anderen leiden die vorindustriell lebenden Menschen erheblich unter Infektionskrankheiten. Frühere Studien haben gezeigt, dass deshalb auch die Kindersterblichkeit sehr hoch ist. Sanitäranlagen und eine bessere medizinische Versorgung könnten die Situation der Tsimane höchstwahrscheinlich deutlich verbessern.

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