Hebammen:Abwarten statt herumdoktern

Ärzte sehen in einer Schwangeren eine Patientin, für Hebammen steht die Frau im Mittelpunkt. Auch wenn es heute altmodisch wirkt, nicht immer sofort medizinisch einzugreifen - Hebammen sind unersetzlich und müssen von der Politik gerettet werden.

Ein Kommentar von Nina von Hardenberg

Man muss sehr viel wissen, um nichts zu tun, lautet ein Leitsatz der Hebammen. Wer abwarten will, muss sich seiner Sache sicher sein, das wissen auch die Mediziner. Auch sie kennen das Gebot der klugen Zurückhaltung, den Auftrag, stets zum Wohle der Patienten zu arbeiten und nicht unnötig an ihnen herumzudoktern; so gab es ihnen schon der Urvater der Ärzte, Hippokrates, auf. Im Alltag der Kliniken aber ist diese Weisheit fast verloren gegangen.

Nur Masse macht Klasse, heißt dort der wahre Leitsatz. Noch nie wurde in Deutschland so viel am Menschen herumgeschnitten wie heute. Bei den Hüft- und Knieoperationen sind die Deutschen zusammen mit der Schweiz Europameister. In keinem unserer Nachbarländer werden derart viele künstliche Gelenke verpflanzt. Die vielen Eingriffe nützen längst nicht immer den Patienten; sie nützen vor allem den Kliniken, sie folgen einer Logik, die nicht Qualität, sondern schiere Menge belohnt. Für den Gewinn eines Krankenhauses zählt, wie viele künstliche Hüftgelenke ein Operateur einsetzt, wie viele schmerzende Wirbelsäulen er versteift - nicht, ob es dem Patienten hinterher besser geht.

In einer derart auf Aktionismus getrimmten Medizinwelt stehen die Hebammen für scheinbar altmodische Tugenden: für Abwarten und Hoffen. Für Ärzte sind Menschen zunächst einmal Kranke, Patienten eben, die sie heilen und behandeln sollen. Hebammen dagegen sehen zuerst die gesunde Frau und ihre Fähigkeit zu einer natürlichen Geburt. Sie bestärken die Frauen auf diesem Weg mit psychologischer Kompetenz und Hinwendung. Das macht die Ärzte nicht überflüssig. Sie sind unersetzlich, auch in der Geburtshilfe. Aber die Hebammen sind es eben auch - heute mehr denn je.

Es ist darum klug und richtig, dass die Politik den Hebammen helfen will. Am Donnerstag haben die Grünen dies erneut gefordert, auch die Kanzlerin hatte mit feinem Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung bereits im Wahlkampf Unterstützung versprochen.

Die Hebammen leiden seit Jahren unter steigenden Haftpflichtprämien, denn Gerichte sprechen Kindern, die bei der Geburt zu Schaden kommen, immer mehr Geld zu. Im Grunde ist das positiv, es hat aber böse Folgen. Das ganze System ächzt unter den hohen Haftpflichtprämien, auch Ärzte und Kliniken sind davon betroffen. Für die freiberuflichen Hebammen aber sind Beiträge von bald 5000 Euro jährlich kaum noch zu stemmen. Wenn sie aufgeben, ist das nicht nur das Ende der Hausgeburten in Deutschland. Denn die Freiberuflerinnen arbeiten auch in den Kliniken. In Bayern betreuen sie mehr als die Hälfte aller Geburten überhaupt. So ist die Geburtshilfe insgesamt in Gefahr.

Auch Patienten können von den Hebammen lernen

Hebammen können Ärzte nicht ersetzen. Die meisten Frauen in Deutschland gebären ihre Kinder aus gutem Grund in Kliniken. Sie sind gottfroh, dass, wenn ein Baby plötzlich zu wenig Sauerstoff hat, es ein Ärzteteam in sieben Minuten per Kaiserschnitt holt. Viele Frauen nutzen auch dankbar die medizinische Schmerzlinderung. "Unter Schmerzen sollst du gebären", sagt der strafende Gott bei der Vertreibung aus dem Paradies. Dank der modernen Medizin geht es heute anders.

Doch wo Hebammen fehlen, geht ein Wissen verloren. Das zeigen Berichte aus den USA, wo das Hebammenwesen in den 1960er-Jahren fast ausgestorben war, und plötzlich zwei Drittel aller Kinder per Zangengeburt zur Welt kamen. Ärzte greifen häufiger in den Geburtsprozess ein, auch in Deutschland. In hebammengeführten Kreißsälen kommt es nachweislich seltener zu Kaiserschnitten - bei gleicher Gesundheit von Mutter und Kind. Es geht also nicht um ein Gegeneinander von Hebammen und Schulmedizin, es geht um ein Miteinander. Die Geburtshilfe braucht die Hebammen, und die Medizin insgesamt kann von ihnen lernen.

Man muss den medizinischen Fortschritt nicht verteufeln. Die vielen künstlichen Hüften sind ein Glück für alle, die wieder schmerzfrei laufen können. Dies beantwortet aber nicht die Frage, wie viel Therapie den Kranken wirklich dient - und wo Aktionismus das Eingeständnis der eigenen Ohnmacht verdrängt. Bei sterbenskranken Menschen wird dies besonders deutlich. Auch Patienten können sich da etwas von den Hebammen abgucken. Denn manchmal sind es die Kranken selbst, die auf weitere Behandlung drängen. Gehörten früher Schmerzen zum Alter dazu, kann heute manch ein 80-Jähriger kaum hinnehmen, dass er das Skifahren aufgeben muss.

Was man von den Hebammen lernen kann: Nicht alles, was medizinisch machbar ist, ist auch gut für den Menschen. Das gilt in allen Phasen eines Lebens, von der Geburt bis zum Alter.

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