Haustiere:Die Seuchen und das Streichelhuhn

Unglert-Hof

Zwerghühner sind bei vielen Hobbyhaltern beliebt.

(Foto: Günther Reger)

Das Rassehuhn ist das neue Haustier: In bester Absicht wird es geliebt und geherzt. Das kann allerdings gefährlich werden.

Von Berit Uhlmann

Diva saß wie eine Asketin im Stall. Sie aß nicht, sie trank nicht, sie interessierte sich nicht für den Rest der gackernden Schar. Die Besitzerfamilie rief den Tierarzt an, der schon Katze und Kaninchen behandelt hatte. Aber Hühner? Nicht im Programm. Das Haushuhn erwies sich als Fall für den Exoten-Veterinär. Als das Tier dort nach den Falken an die Reihe kam, war es derart aufgebracht, dass es der Tierärztin die ungeschützten Arme blutig kratzte. Es kam zu einem kleinen Tumult, aber nicht zur endgültigen Klärung, was der Zwerghenne denn nun fehlte.

Veterinäre sind derzeit ebenso wie Geflügelzüchter mit einer unerwarteten Entwicklung konfrontiert: Die Wiederentdeckung des Huhns als Haustier. "Immer mehr Menschen wenden sich neuerdings der Hühnerhaltung zu und wollen ihr Ei aus dem eigenen Stall", berichtet der Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter. Das Huhn, das neuerdings durch deutsche Gärten stakst, hat mit dem banalen braunen Federvieh von früher oft nur noch wenig gemeinsam. Es gibt schlanke Vögel mit einem fein ziselierten Muster aus schwarz und weiß. Zwerghennen, die mit schneeweißen Puschel-Federn an Angora-Kaninchen erinnern. An manche Problemzone wurde ausladender Federschmuck gezüchtet: Flaum zieht sich wie ein Fransenstiefel über dürre Beine; Gefieder wölbt sich imposant über Miniaturhirnen.

"Viele neue Halter stellen ihre Hühnerschar aus unterschiedlichen Rassen zusammen", beobachtet der Züchterverband. Die Tiere sehen distinguiert aus und bekommen oft sogar Namen. Sie werden zu Familienmitgliedern - gehalten aus noblen Sehnsüchten nach einem naturverbundenen Leben. Nur leider - so sagen Experten - kann man mit Hühnern auch ziemlich viel falsch machen.

Seit in den USA die große Liebe zum Huhn ausgebrochen ist, gibt es dort öfter Salmonellen-Alarm

Der aktuelle Vogelgrippe-Ausbruch zeigt, wie gefährdet Hühner sind. In mindestens sieben europäischen Ländern verbreiten derzeit Wildvögel den hochpathogenen Erreger H5N8. In drei Höfe in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben sie ihn bereits eingeschleppt. In der Nähe von Schleswig müssen gerade 30 000 Hühner in einer Massentierhaltung getötet werden. Auch die liebevoll versorgten Hühner aus dem privaten Hinterhof sind vor einem solchen Schicksal nicht gefeit.

Mehr noch: "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Ausbrüche von Geflügelkrankheiten nur von großen industriellen Haltungen ausgehen", sagt Timm Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut. Der Leiter des Referenzlabors für Aviäre Influenza erinnert sich an einen Vogelgrippe-Ausbruch, der in der ländlichen Idylle Brandenburgs begann. Private Halter hatten Geflügelabfälle auf einen Komposthaufen geworfen, die freilaufenden Hühner hatten sie gefressen und sich so mit der Influenza infiziert. Der sorglose Petterson-und-Findus-Charme kann verheerend enden: Mehrere Erregertypen der Vogelgrippe können in kurzer Zeit ganze Bestände dahinraffen.

Das gilt auch für die Newcastle-Krankheit. Ihr kann, anders als der Vogelgrippe, durch eine Impfung vorgebeugt werden. Auch Familien, die nur zwei oder drei Hühner im Garten halten, sind daher verpflichtet, ihre Tiere dem Veterinäramt zu melden und immunisieren zu lassen. Nur: "Wir erleben immer wieder, dass private Halter diese Pflichten nicht kennen", sagt Harder.

Auch Menschen können durch den Kontakt erkranken

Seidenhuhn

Seidenhühner wirken besonders kuschelig.

(Foto: Picasa 2.7; CC by 2.0)

Dabei können Hühner prinzipiell auch Menschen anstecken. Zwar ist bislang nicht bekannt, dass sich jemand mit dem aktuell grassierenden H5N8-Virus infiziert hätte. Ausschließen können die Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler-Instituts diese Gefahr jedoch nicht. Und auch andere Infektionen drohen durch den engen Kontakt zu Geflügel, wie die US-Gesundheitsbehörde CDC vor kurzem zeigte.

Auch in den USA ist die große Liebe zum Huhn ausgebrochen. Seither beobachten die Seuchenschützer eine Zunahme der Salmonellen-Infektionen. Bis zum Jahr 2005 wurde lediglich ein größerer Ausbruch pro Jahr dokumentiert, der auf direkten Kontakt mit Geflügel zurückging. Danach stieg die Zahl auf durchschnittlich vier Salmonellen-Ausbrüche jährlich an. Als die CDC den Ursachen nachging, stieß sie auf überbordende Tierliebe: Während einer Befragung von 400 Erkrankten gab die Hälfte zu, mit Küken gekuschelt zu haben. 13 Prozent hatten die Flaumtierchen sogar geküsst. Die Hälfte aller Infizierten hatte Hühner mit ins Haus genommen. Von Schlafzimmer bis Küche blieb kein Raum vogelfrei.

Halter können verpflichtet werden, die Tiere nachts schalldicht unterzubringen

Solch enger Kontakt begünstigt Schmierinfektionen mit Salmonellen ebenso wie mit Campylobacter-Bakterien. Beide Darmkeime verursachen beim Menschen starke Magen-Darm-Beschwerden. Wenn es Komplikationen gibt, können Kinder und Ältere an diesen Infektionen sogar sterben. Für Deutschland gibt das Robert Koch-Institut allerdings vorerst Entwarnung. Bisher bewegt sich die Zahl der Salmonellen-Infektionen im Rahmen des Üblichen.

Und auch dieses Problem dürfte nicht allen neuen Geflügelhaltern bewusst sein: Hähne sind schon mehrfach ein Fall für den Richter geworden. Anwälte stritten über "abgehackte und unregelmäßig immer wiederkehrenden Kreischlaute"; Gutachter attestierten den Vögeln Schallpegel von bis zu 75 Dezibel. "Es gibt zahlreiche Urteile, die den Hühnerhalter verpflichten, dafür zu sorgen, dass seine Tiere von 19 Uhr bis 8 Uhr schalldicht untergebracht sind", warnt der Deutsche Tierschutzbund.

Grundsätzlich hat die Organisation aber nichts gegen den neuen Trend zur Hühnerhaltung einzuwenden, sofern die Tiere mit Sachkunde versorgt werden. Zwar sind Hühner auch aus Sicht der Tierschützer "nicht unbedingt Streicheltiere". Eine Gewöhnung an Berührungen sei dennoch wünschenswert. Denn ein Tier, das sich anpacken lässt, kann besser untersucht werden. So weit war die Zwerghenne Diva noch nicht. Am Ende stellte sich dann aber doch heraus, was ihr fehlte: ein Ei zum Ausbrüten. Die Familie gab sie schließlich an einen Züchter ab, der ihr diesen Wunsch erfüllen konnte.

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