Grippeimpfung:Wie die Grippespritze zur Schlafkrankheit führt

Massenimpfung gegen Schweinegrippe gestartet

2009 wurde viele Menschen mit Pandemrix geimpft. Mittlerweile wird der Impfstoff nicht mehr verwendet.

(Foto: dpa)

Die massenhafte Impfung gegen Schweinegrippe hat in Skandinavien zu gehäuften Fällen von Narkolepsie geführt. Nun haben Wissenschaftler den Mechanismus entschlüsselt.

Von Patrick Illinger

Grippeviren und Grippeimpfstoffe können im Körper offenbar eine gefährliche Immunreaktion auslösen, die zur Schlafkrankheit Narkolepsie führt. Diesen Effekt hat eine Forschergruppe um Emmanuel Mignot von der kalifornischen Stanford University entdeckt.

Die Experten fanden einen molekularen Mechanismus, der unter anderem erklärt, wieso im Jahr 2009 vor allem in Skandinavien nach Reihenimpfungen gegen die Schweinegrippe eine erhöhte Zahl von Menschen die unheilbare Narkolepsie entwickeln. Ein Leben lang leiden sie unter unkontrollierbaren Schlafattacken, hartnäckiger Müdigkeit und Muskelschwäche.

Den Stanford-Forschern zufolge ähneln Teile des Grippe-Erregers H1N1 einem Protein namens Orexin (auch Hypocretin genannt), das im menschlichen Gehirn für das Essverhalten und den Schlafrhythmus zuständig ist. Die Bestandteile des Virus stacheln bei manchen genetisch dafür besonders anfälligen Menschen das Immunsystem an. Es bekämpft nicht nur den Eindringling, sondern auch die Hirnzellen, die das Hormon Orexin produzieren, und löst so Narkolepsie aus (Science Translational Medicine, Bd. 5, Nr. 216ra176, 2013).

Weil Grippe-Impfstoffe molekulare Bestandteile des Influenza-Erregers enthalten, können auch diese eine Autoimmunreaktion samt Narkolepsie auslösen. Dadurch ist nun biochemisch erklärbar, wie der seinerzeit als Schutz vor der H1N1-Grippe eingesetzte Impfstoff "Pandemrix" zu einer kleinen, aber statistisch signifikant erhöhten Zahl von Narkolepsie-Fällen führen konnte.

Insgesamt ist das Risiko zu erkranken gering. Epidemiologen haben im Zusammenhang mit den Schutzimpfungen gegen die Schweinegrippe im Jahr 2009 weltweit nur rund 160 zusätzliche Narkolepsie-Erkrankungen ermittelt. Weniger als einer von 16.000 geimpften Menschen war von Narkolepsie betroffen. Die meisten der Fälle traten in Finnland und Schweden auf, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung geimpft wurde.

Warum hatte nur Pandemrix den Effekt?

Frei von Rätseln ist die Statistik auch hier nicht: So trat die Autoimmunreaktion in Finnland häufiger auf als in Schweden, wofür es bislang keine Erklärung gibt. Ebenso fraglich ist, wieso "Pandemrix" diesen Effekt hatte, andere Impfstoffe nach bisherigen Erkenntnissen aber nicht.

"Vermutlich lag es daran, dass es ein stärkerer Impfstoff war, aufgrund eines beigemischten Verstärkers", sagt der Stanford-Mediziner und Studienautor Emmanuel Mignot. Inzwischen wird "Pandemrix" nicht mehr eingesetzt.

Aus Forscherkreisen ist zu hören, dass die Redaktion des Fachjournals Science ebenso wie die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA infolge der Veröffentlichung eine verstärkte Impfskepsis in der Bevölkerung befürchten.

In der Pressemitteilung zu der Stanford-Veröffentlichung wird denn auch vor allem die Erkenntnis betont, dass Narkolepsie eine Autoimmunerkrankung sei. Der Zusammenhang mit Grippe und Grippeimpfstoffen taucht nur versteckt auf.

Die Wissenschaftler um Mignot mussten zudem offenbar vor der Publikation mehrmals bei der Arzneimittelaufsicht vorsprechen. Mignot betont denn auch die geringe Gefahr für Narkolepsie durch die Schweinegrippe-Impfung: "Das Risiko ist sehr klein, und Impfstoffe retten Millionen von Leben."

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