Vermeintlicher Gesundheitsskandal:Glyphosat - zu viel Lärm ums Stillen

Neue Heimat Mutter stillt Baby

Ob Glyphosat in die Muttermilch gelangen kann, ist umstritten.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)
  • Bei einem Test von Muttermilch wurden erhöhte Werte des Pflanzengifts Glyphosat gefunden. Die Prüfmethode ist allerdings umstritten. Der sogenannte Elisa-Test ist sehr empfindlich.
  • Bei einer erneuten Untersuchung wurde kein Glyphosat mehr in der Milch gefunden. Ganz ausschließen können die Forscher eine Ansammlung des Gifts aber nicht.
  • Glyphosat ist auch in der Nahrung enthalten. Das Umweltbundesamt wies im Urin Konzentrationen von bis zu 2,8 Nanogramm pro Milliliter nach.

Von Hanno Charisius

Sie hätten "lange überlegt", ob sie "Muttermilch auf Glyphosat testen und in Kauf nehmen sollen, damit stillende Mütter möglicherweise zu verunsichern", schrieben die Mitglieder der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Juni letzten Jahres auf ihrer Webseite. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist inzwischen bekannt. "Wahrscheinlich krebserregendes Pflanzengift - Glyphosat in Muttermilch", steht nun über der Mitteilung.

Die Fraktion hatte das Leipziger Unternehmen Biocheck beauftragt, die Milch von 16 Müttern auf das weitverbreitete Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat hin zu analysieren. Laut Test waren in jeder Probe zwischen 0,2 und 0,4 Nanogramm des Pestizids pro Milliliter Milch gelöst. Was die Veröffentlichung nicht verriet: Die eingesetzte Methode zur Messung der Glyphosatmenge war gar nicht zu diesem Zweck geeignet, und auch nicht durch ein unabhängiges Labor überprüft worden.

Biocheck verwendete einen Fertigtest von Abraxis, einem auf Analysen spezialisierten Unternehmen mit Sitz in Warminster im US-Bundesstaat Pennsylvania. Abraxis erklärt auf Anfrage, dass erstens ihre Methode nicht für Muttermilch getestet wurde, sondern nur für Kuhmilch. Zweitens liege die Empfindlichkeit des Tests für in Wasser gelöstes Glyphosat bei 0,05 Nanogramm pro Milliliter, erklärt ein Mitarbeiter, für Milch sei sie deutlich schlechter. Bei Kuhmilch liegt die von Abraxis bestätigte nachweisbare Glyphosat-Konzentration bei 75 Nanogramm pro Milliliter und damit mindestens 180-fach über der Menge, die das Leipziger Labor mit diesem Test gemessen haben will.

Die Methode ist sehr empfindlich

Dass der Test in Wasser gelöste Mengen präziser erfasst und in Fettemulsionen wie Milch Probleme bereitet, liegt an der eingesetzten Methode, dem sogenannten Elisa-Test. Das Verfahren ist sehr empfindlich, springt aber mitunter auch auf Stoffe an, die gar nicht gemessen werden sollen. In Milch könnte das Fett sein oder Eiweiß oder auch ganz etwas anderes.

Biocheck-Geschäftsführerin Andrea Lindner erklärt, ihr Labor habe das Problem gelöst, indem man das Pestizid vor der Messung aus den Milchproben herausgefiltert habe. Daher sei nicht damit zu rechnen, dass der Test auf etwas anderes als Glyphosat angesprochen habe. Das sei zudem durch ein unabhängiges Labor bestätigt worden, nämlich vom bakteriologischen Institut der Universität Leipzig, von der Arbeitsgruppe der inzwischen emeritierten Professorin Monika Krüger, die Biocheck mitgegründet hat.

Auf Anfrage sagt Krüger, die Funktion des Tests sei nicht in ihrem Uni-Labor überprüft worden, sondern vom Dienstleister "Medizinisches Labor" in Bremen. Hans-Wolfgang Hoppe sei dort der Ansprechpartner, der das bestätigen könne. Hoppe bestätigt nur, einen Elisa-Test auf Glyphosat in Urin überprüft zu haben, nicht aber für Muttermilch. Er habe zwar vor längerer Zeit ein paar Milchproben bekommen. Die Funktion des Elisa-Tests für Milch habe er aber nie bestätigt, dies sei auch schwierig. Weder Monika Krüger noch Andrea Lindner nahmen auf Anfrage dazu Stellung.

Neuer Test, anderes Ergebnis

Aufgeschreckt von dem Bericht der Grünen hatte das Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung BfR 2015 seinerseits zwei Labore damit beauftragt, Messsysteme zu entwickeln, mit denen sich Glyphosat in Muttermilch zuverlässig nachweisen lässt. Seit der vergangenen Woche liegen die Ergebnisse aus 114 Proben vor: Die Laboranten konnten kein Glyphosat finden. Die Messempfindlichkeit der einen Methode reichte hinunter bis zu einer Konzentration von einem Nanogramm pro Milliliter, die andere konnte sogar ein halbes Nanogramm pro Milliliter nachweisen.

Nun können auch die Messungen im Auftrag des BfR nicht garantieren, dass Muttermilch keinerlei Glyphosat enthält. Es ist nur sehr unwahrscheinlich. In Tierversuchen hat sich bislang nicht zeigen lassen, dass Glyphosat in Milch auftaucht. Das Pestizid löst sich generell in Wasser, aber nicht in Fett, weshalb es wahrscheinlich mit dem Urin aus dem Körper gespült wird und sich nicht in den Fettdepots einlagert.

BfR und die Nationale Stillkommission betonen, Muttermilch sei die beste Nahrung für Säuglinge, und die Messungen böten keinen Anlass zur Besorgnis. Hinzu kommt: Selbst wenn die ursprünglich von den Grünen veröffentlichten Glyphosat-Konzentrationen der Realität entsprechen sollten, könnte ein Säugling mehr als 100 Liter Muttermilch pro Tag trinken, ohne dass es nach bisherigem Wissen zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung durch das Glyphosat kommen würde.

Glyphosatreste in der Nahrung

Unbestritten ist, dass der Mensch mit der täglichen Nahrung Glyphosatreste aufnimmt. Das zeigte auch zuletzt eine Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) im Januar. In 400 Urinproben, die im Verlauf der vergangenen 15 Jahre in Deutschland gesammelt wurden, wiesen die Prüfer Glyphosatkonzentrationen von bis zu 2,8 Nanogramm pro Milliliter nach. Da nicht klar sei, welches Risiko für den Menschen von Glyphosat ausgehe, forderte das UBA die Politik auf, dafür zu sorgen, dass die Aufnahmemengen sinken.

Angesichts der BfR-Veröffentlichung erklärte die Grünen-Fraktion am Montag in einer Mitteilung, ihre Studie habe immerhin die Entwicklung einer zuverlässigen Messmethode angestoßen. Ein Sprecher betonte, man habe nie vor dem Stillen gewarnt, und dies in Schreiben an die Presse auch deutlich gemacht - nur auf der Webseite wurde diese Entwarnung nicht veröffentlicht.

Vor Vergabe des Auftrags habe Biocheck schriftlich zugesichert, dass die Nachweisgrenze in Milch bei 0,075 Nanogramm pro Milliliter liege. Eine Bestimmungsgrenze, also der niedrigste Wert, der sich zuverlässig messen lässt, sei nicht angegeben worden.

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