Glutenunverträglichkeit bei Kindern:"Jetzt kommt wieder die Extrawurst"

Glutenunverträglichkeit bei Kindern: Mit guter Planung werden Zöliakie-Patienten beim gemeinsamen Essen nicht ausgegrenzt.

Mit guter Planung werden Zöliakie-Patienten beim gemeinsamen Essen nicht ausgegrenzt.

Kinder mit Zöliakie brauchen das Verständnis ihrer Umgebung. Andere Kinder haben damit kein Problem - Erwachsene manchmal schon. Erfahrungen einer Mutter.

Von Katja Schnitzler

Unsere Tochter aß mit vier Jahren und vier Monaten ihre letzte Brezel vom Bäcker nebenan. Minuten nach dieser Mahlzeit hatte die Kinderärztin gejubelt, dass sie nun wisse, weshalb unsere Tochter seit einem halben Jahr mit wiederkehrenden Mittelohrentzündungen halbtaub und schlapp auf dem Sofa herumhing. In den Jahren zuvor war die kindliche Energie kaum aufzubrauchen gewesen: Unsere Tochter sprang, hüpfte, rannte und redete, redete, redete. Doch seit ein paar Monaten saß sie und schwieg. Wir hatten erst vermutet, dass Bauchschmerzen und Verdauungsstörungen, die sie zusätzlich peinigten, auf ein Antibiotikum zurückzuführen seien. Doch die Symptome quälten das Kind auch nach dem Absetzen weiter.

Wir schlugen vor, das Blut auf Entzündungen zu untersuchen. Und die Ärztin jauchzte beim nächsten Termin: "Ihre Tochter hat Zöliakie, eindeutiger geht es kaum!" Ihre Fröhlichkeit fand ich nicht angemessen. Wie sollte ich mein Kind nur ernähren?

Die gute Nachricht war: Unsere Tochter muss keine Medikamente nehmen, um gesund zu werden. Sie muss nur alles vermeiden, was das Klebereiweiß Gluten enthält. Das bedeute, erklärte die Kinderärztin recht allgemein: kein Brot, keine Nudeln, kein Kuchen, keine Süßigkeiten, keine Soßen, kein Essengehen - kein Spaß, fanden wir. Immerhin seien Obst, Gemüse, Kartoffeln und Reis frei von Gluten. Wir sollten uns bei einer Ernährungsberaterin informieren.

Die half nicht wirklich weiter: Weil Gluten so gute Klebereigenschaften habe, werde es oft dort beigemischt, wo man es nicht vermute - etwa in Joghurts oder Tiefkühlgemüse. Also dürften wir auch nichts kaufen, wenn bei den Zutaten "Aroma" aufgeführt sei. Ob sie scherze, fragten wir. Sie scherzte nicht.

Wie sich herausstellte, hatte die Frau schlicht keine Ahnung. Während wir zwei lange Tage verzweifelt überlegten, wie wir unser Kind mit Reis und Kartoffeln großziehen sollten, kam die Rettung per Post. Die Deutsche Zöliakiegesellschaft hatte ein Verzeichnis geschickt, dick wie die Bibel und mit ebenso dünnen Seiten: Darin sind Produkte aufgelistet, die glutenfrei sind, auch wenn Aroma draufsteht - vom geliebten Schokoriegel bis zu Tiefkühlerbsen. Inzwischen müssen auf Zutatenlisten alle Allergene vermerkt werden, sodass das Einkaufen leichter ist. Aber vor knapp sechs Jahren war diese Produkte-Bibel unsere einzige Chance, die Entbehrungen für unser Kind so gering wie möglich zu halten. Zumindest, wenn es daheim aß.

Die Probleme begannen, sobald wir das Haus verließen. Wir merkten, wie oft Kindern unterwegs etwas zum Naschen angeboten wird, und zwar nicht von uns: im Laden, auf Festen, später auch in der Schule. Etwa zwei Wochen nach der Diagnose führte die Kirche ein Krippenspiel am Weihnachtsmarkt auf. "Und jetzt dürfen alle Kinder vorkommen und sich einen Lebkuchen abholen", sagte die Spielleiterin. Unsere Tochter saß in der ersten Reihe, ich stand ganz hinten. Bis ich bei ihr war, hatte sie vom Lebkuchen gekostet. Einen Bissen schluckte sie. Um drei Uhr nachts schrie und weinte sie, so sehr schmerzte ihr Bauch.

Von da an brauchten wir ihr nicht mehr erklären, weshalb sie auf Lebensmittel mit Gluten verzichten muss. Sie achtete noch mehr darauf als wir selbst. Das Eis des Bruders aufessen, das er nicht mehr schaffte? Nein, er hatte doch die bröselige Waffel darüber geknuspert.

Probleme beim Mittagessen im Kindergarten

Wir lernten viel dazu in dieser Zeit, und wir klärten viel auf: Verwandte, Freunde, Nachbarn - darüber, weshalb unsere Tochter nun eine eigene Butter hat und Kochlöffel, die nur glutenfreie Nudeln rühren dürfen, denn schon geringste Spuren von Gluten entzünden die Darmschleimhaut. Und andere Kinder, die wissen wollten, warum unsere Tochter nicht von den Salzstangen essen durfte, und auch nicht vom Geburtstagskuchen.

Das war mit unsere größte Sorge: Dass Kinder unsere Tochter ausgrenzen würden, weil sie nicht das Brot mit den anderen brechen kann, sondern gezwungenermaßen zum "Eigenbrötler" wurde. Unsere Sorge war unbegründet, Kinder sind doch nicht so grausam wie ihr Ruf.

Sobald die anderen Kinder genug gefragt hatten und wussten, was unsere Tochter essen darf und dass ihr falsches Essen quälende Bauchschmerzen bereitet, sie deshalb aber nicht tot umfällt, waren sie zufrieden. Und als später in der Klasse zu Geburtstagen Kuchen mitgebracht wurden, hatte unsere Tochter stets einen Süßigkeitenvorrat im Klassenzimmer, um nicht zusehen zu müssen, wie die anderen Brownies oder Schokotörtchen verschlangen.

Einige Kinder drängten ihre Eltern sogar, glutenfreie Süßigkeit zu kaufen: "Ich schenke allen Kindern etwas, da will ich niemanden auslassen!" Die Lehrerin schleppte für die Woche Schullandheim eine von uns gut gefüllte Vorratstasche mit. Und auf Geburtstagsfeiern bestanden einige Eltern darauf, selbst glutenfreie Kuchen zu backen, obwohl ich einen mitgegeben hätte. Als eine Nachbarin neben den glutenfreien Brownies unbedacht das Mehlsieb ausklopfte, fror sie die kontaminierten Brownies ein und fing nochmal von vorne an.

Diesen Kindern und Erwachsenen sind wir dankbar für ihr Wohlwollen und ihre Mühe, die für unsere Tochter ein normaleres Leben bedeuten. Sie kommt oft genug in Situationen, in denen sie verzichten muss, während andere genießen. Aber es gibt auch einige wenige, die ihr das Leben unnötig schwer machen. Keine Kinder, sondern Erwachsene.

In ihrem Kindergarten war gemeinsames Mittagessen Pflicht, also kochten wir für unser Kind vor. Das Essen wurde in der Mikrowelle im Gruppenraum erwärmt. "Kein Problem für uns", säuselte die Erzieherin, "das machen wir doch gerne." Leider hatte sie gelogen.

Wie es mittags wirklich zuging, erzählte unsere Tochter erst, als sie in die Schule ging: So tief hatte es sie getroffen, dass die Erzieherin genervt sagte, "jetzt kommt wieder die Extrawurst", wenn unsere Tochter mit dem kalten Essen vor ihr stand. Und dass die Kleine mit ihrer Vorratsdose immer wieder vor der Mikrowelle stehengelassen worden war, weil die Erwachsenen erst mal Kaffee trinken gingen. Dann war die Essenszeit um, statt im Bauch landete die Mahlzeit im Müll. Zum Glück war diese Person eine Ausnahme.

Wenn unsere Tochter älter ist und Pommes mit Ketchup nicht mehr der kulinarische Gipfel, wird es hoffentlich mehr Restaurants wie die Pizzeria in unserer Nähe geben: Diese bietet Holzofenpizza an, auch ohne Gluten. Oder Konditoren wie den Meister in Haunstetten, einem Vorort von Augsburg: Er fand es ungerecht, dass nicht alle Gäste seine Kuchen essen können, und feilte so lange an den Rezepten, bis die Torten so gut schmeckten wie zuvor - und nicht trocken und bröselig, weil das Klebereiweiß fehlt. Da fängt der Hochgenuss für unsere Tochter schon bei der Auswahl an - sonst hat sie selten eine.

Und einen Versand für glutenfreie Brezeln, die ungefähr so schmecken, wie es bayerische Brezen sollten, haben wir inzwischen auch entdeckt.

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