Gesundheitspolitik:Medizinischer Einsatz von Cannabis läuft an

  • Cannabis darf künftig medizinisch eingesetzt werden. Das entsprechende Gesetz ist verabschiedet, aber noch nicht in Kraft getreten.
  • Die Cannabisagentur des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll den Anbau der Pflanzen überwachen und die pharmazeutische Qualität der Cannabis-Arzneimittel sicherstellen.
  • Vor allem schwerkranken Menschen soll eine Therapie mit medizinischem Cannabis helfen. Die Wirkstoffe können chronische Schmerzen lindern und den Appetit anregen.

Von Antonie Rietzschel, Berlin, und Christoph Behrens

Gleich zu Beginn will Lutz Stroppe etwas klarstellen. "Es geht hier nicht um das Kiffen oder den Joint auf Rezept", sagt der Staatsekretär des Bundesgesundheitsministeriums. Am 19. Januar hat der Bundestag ein neues Gesetz verabschiedet, das schwer kranken Patienten den Zugang zu Cannabis erleichtert. Als die dafür eingerichtete Cannabisagentur jüngst Mitarbeiter suchte, häuften sich die Kiffer-Witze.

Das Gesetz ist bislang noch nicht in Kraft getreten, die Unterschrift des Bundespräsidenten und eine Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt stehen noch aus. Die Cannabisagentur nimmt aber bereits offiziell ihre Arbeit auf. Für den medizinischen Einsatz von Cannabis in Deutschland ist die Behörde äußerst wichtig, wie Stroppe auf einer Pressekonferenz erklärt. Denn das medizinische Cannabis muss schließlich irgendwo herkommen. Die Cannbisagentur überwacht künftig Anbau und Vertrieb von Cannabis. Über eine europaweite Ausschreibung sucht sie Hersteller, die die Pflanzen mit staatlicher Finanzierung anbauen, ernten und die Hanfprodukte an Apotheken schicken. Über potenzielle Kandidaten will Stroppe nur so viel sagen: Man sei offen.

Bisher 1000 Menschen mit Sondergenehmigung

Bisher musste Deutschland Cannabis für den medizinischen Gebrauch aus dem Ausland importieren, unter anderem aus Kanada oder den Niederlanden. Doch das Ziel heißt Autarkie. Bis 2019 sollen Cannabis-Arzneimittel komplett aus deutscher Eigenproduktion stammen. Zu den Mengen gibt es bisher keine Angaben. Über eine Sondergenehmigung beziehen bislang 1000 Patienten Cannabis zu medizinischen Zwecken. Zwei Drittel davon sind Schmerzpatienten. Ihr Tagesbedarf liegt bei einem Gramm täglich. Pro Jahr würden also allein für diese Menschen 365 Kilogramm und dafür 10 000 Pflanzen benötigt. Die Menge hängt von der Zahl der künftigen Patienten ab. Über die Entwicklung von Verschreibungszahlen will die Cannabisagentur nicht spekulieren. Die Zahl der bedürftigen Patienten dürfte aber höher liegen als die der bisherigen Konsumenten mit Sondergenehmigung.

Gemäß dem neuen Gesetz dürfen Ärzte Cannabis auf Rezept verschreiben, sofern sie zu der Einschätzung gelangen, dass die Mittel den Krankheitsverlauf spürbar positiv beeinflussen oder Symptome lindern. Belegt sind positive Wirkungen von Cannabis in der Schmerztherapie, bei chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS) und schwerer Appetitlosigkeit und Übelkeit etwa von Aids- oder Krebspatienten.

Eine Hanfpflanze enthält etwa 60 verschiedene Inhaltsstoffe, sogenannte Cannabinoide. Allgemein gilt, dass diese Wirkstoffe eine Erkrankung nicht heilen, sondern höchstens deren Symptome lindern können.

Das Gesetz verzichtet jedoch ausdrücklich darauf, einzelne Indikationen aufzuführen. Damit entscheidet der Arzt, wann eine Therapie mit Cannabis sinnvoll ist. Er kann Cannabis dann verordnen, wenn "eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht". Oder falls diese Leistung nach Ermessen des Arztes nicht angewendet werden sollte - falls der Arzt also beispielsweise andere Schmerzmittel im Einzelfall für ungeeignet hält.

Unsicherheit bei den Ärzten

Unter den Ärzten herrscht nach der neuen Gesetzesregelung Unsicherheit über die Therapiemöglichkeiten. Es gebe immer wieder Nachfragen über den Einsatz, sagt der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Karl Broich. Bei dem Bundesinstitut ist auch die Cannabisagentur angegliedert. Entsprechende Weiterbildungen für Ärzte sollen helfen, den Missbrauch des neuen Gesetzes zu verhindern. Die Verantwortung dafür liegt bei den Ärzten.

Das BfArM will außerdem die genaue Wirkung von Cannabis-Arzneimitteln begleitend untersuchen. Vor allem zur Anwendung von Cannabisblüten fehlen bislang wissenschaftliche Daten. Ärzte sollen daher Krankheits- und Therapieverläufe anonymisiert dokumentieren, diese Daten will das BfArM wissenschaftlich auswerten.

Anmerkung, Stand 6.03.2017: Das Gesetz zum medizinischen Einsatz von Cannabis ist bislang noch nicht in Kraft getreten, da die Unterschrift des Bundespräsidenten noch fehlt. Wir haben den Artikel dahingehend richtig gestellt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: