Gesundheitspolitik:Gesundheitsminister Gröhe plant Pflegereform in Milliardenhöhe

  • Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) plant eine umfassende Reform der Pflegeversicherung.
  • Geplant ist, das bisherige System der drei Pflegestufen abzuschaffen und durch fünf neue Pflegegrade zu ersetzen.
  • Profitieren sollen vor allem Demenzkranke.
  • Menschen mit der bisherigen Pflegestufe 1 sollen in den neuen Pflegegrad 2 eingruppiert werden.

Von Kim Björn Becker

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) plant eine umfassende Reform der Pflegeversicherung, in deren Mittelpunkt ein neues Begutachtungsverfahren steht. So soll festgestellt werden, ob eine Person pflegebedürftig ist und welche Leistungen sie demnach aus der Pflegeversicherung erhält. Vom 1. Januar 2017 an soll ein neues Verfahren bei der Einstufung dazu führen, dass in den nächsten Jahren bis zu eine halbe Million Menschen mehr als bislang Hilfe erhalten können.

Geplant ist, das bisherige System der drei Pflegestufen abzuschaffen und durch fünf neue Pflegegrade zu ersetzen. Die Idee: Körperlichen Gebrechen eines Menschen stehen in der Begutachtung nicht mehr so sehr im Vordergrund. Stattdessen prüfen die Gutachter verstärkt, welche Fähigkeiten die Patienten noch haben.

Überleitungsregelungen für 2,8 Millionen Menschen

Profitieren sollen vor allem Demenzkranke, die oftmals keine körperlichen Beschwerden haben, ihren Alltag dennoch nicht allein bewältigen können. Das geht aus dem Referentenentwurf des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes hervor, der in Koalitionskreisen kursiert. Das Dokument liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Es soll im August vom Kabinett beschlossen werden.

Für die geschätzt 2,8 Millionen Menschen, die bereits jetzt pflegebedürftig sind oder bis zum Ende des kommenden Jahres voraussichtlich pflegebedürftig werden, sollen nach dem Willen Gröhes Überleitungsregelungen getroffen werden. Damit soll sichergestellt sein, dass Alte und Kranke nicht erneut von einem Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) eingestuft werden müssen, nur weil die Politik die Spielregeln ändert.

Pflegestufe 1 wird zu Pflegegrad 2

Daher plant das Gesundheitsministerium, die bestehenden Einstufungen nach einer festgelegten Formel in das neue System der Pflegegerade zu überführen. Ein Bestandsschutz garantiert, dass hierbei niemand schlechter gestellt wird als bislang.

Im Detail sieht der Entwurf vor, dass Menschen mit der bisherigen Pflegestufe 1 in den neuen Pflegegrad 2 eingruppiert werden. Stufe 1 war bislang beispielsweise mit Geldleistungen für die ambulante Pflege zu Hause in Höhe von 244 Euro monatlich verbunden. In Zukunft soll es mit Grad 2 pro Monat 316 Euro geben.

Leistungen sinken bei einigen Patienten, die im Pflegeheim versorgt werden

Liegt zusätzlich eine Demenz oder eine psychische Erkrankung vor, die vom Gesetzgeber als "eingeschränkte Alltagskompetenz" beschrieben wird, rutschen Patienten aus der zurzeit leicht angehobenen Stufe 1 automatisch in den neuen Grad 3. Dies entspräche in der Modellrechnung einem Sprung von 316 auf 545 Euro monatlich. Mit dem neuen Pflegegrad 1 für vergleichsweise leichte Fälle soll es 125 Euro pro Monat geben.

Demgegenüber sinken die Leistungen bei einigen Patienten, die stationär in einem Pflegeheim versorgt werden. Personen mit der alten Pflegestufe 2 erhalten beispielsweise bislang 1330 Euro pro Monat, im neuen Pflegegrad 3 wären es nur 1262 Euro. An dieser Stelle würde der geplante Bestandsschutz greifen. Mit den geringeren Leistungen müssten nur jene auskommen, die erstmals nach der Einführung des neuen Systems zum Pflegefall werden.

Berechnungssystem noch komplizierter

Ein anderes Bild zeigt sich auf der höheren Pflegestufe 3, dort würden die Bezüge für die Unterbringung im Heim aufgrund der Neugruppierung in Pflegegrad 4 von derzeit 1612 auf dann 1775 Euro steigen.

Darüber hinaus will Hermann Gröhe an einer weiteren Stellschraube drehen, die das Berechnungssystem noch einmal komplizierter macht. Mit Eigenanteilen müssten sich Patienten - beziehungsweise ihre Angehörige - vielfach an den Kosten der Versorgung beteiligen. Bislang steigen die durchschnittlichen Eigenanteile parallel zur Pflegestufe, die Spanne liegt derzeit zwischen 400 und 900 Euro pro Monat.

3,7 Milliarden Euro Kosten

Im neuen System soll der durchschnittliche Eigenanteil konstant 580 Euro betragen, unabhängig von der Schwere der Beeinträchtigung. Somit würden Patienten der bisherigen Pflegestufe 1 (also dem neuen Pflegegrad 2) durch die veränderten Eigenanteile stärker belastet, alle anderen jedoch entlastet. Auch dies gilt nur für Neueinstufungen, Stichwort Bestandsschutz.

Nach Berechnungen des Ministeriums soll die zweite Stufe der Pflegereform - die erste trat bereits am 1. Januar dieses Jahres in Kraft, sie beinhaltete vor allem höhere Pflegesätze - im Jahr ihrer Einführung etwa 3,7 Milliarden Euro kosten. Geplant ist, in den Folgejahren die Kassen mit etwa 2,5 Milliarden Euro jährlich zusätzlich zu belasten. Die Umstellung des Begutachtungssystems soll zudem einmalig mit weiteren 4,4 Milliarden Euro in den Jahren 2017 bis 2020 zu Buche schlagen.

Spitzennote "sehr gut" - auch für unhaltbare Heime

Um das Vorhaben zu finanzieren, würde der Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum 1. Januar 2017 um 0,2 Prozentpunkte steigen. Das war bereits im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Die Erhöhung könnte den Kassen im ersten Jahr der Umsetzung Mehreinnahmen in Höhe von etwa 2,5 Milliarden Euro bringen.

Unterdessen ist in der Koalition ein Streit über den sogenannten Pflege-TÜV entbrannt. Damit ist die umstrittene Bewertung von Pflegeheimen und ambulanten Hilfsdiensten gemeint. Im Schnitt erhielten in der Vergangenheit alle Einrichtungen die Spitzennote "sehr gut" - darunter waren auch etwa Heime, die aufgrund unhaltbarer Zustände geschlossen werden mussten. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), kündigte daraufhin an, die offenkundig wenig aussagekräftige Bewertung umfassend zu reformieren.

"Tricksen, Tarnen und Täuschen"

In der Zwischenzeit sollte die Beurteilung der Einrichtungen zwar fortgesetzt, die Notenvergabe nach dem Willen Laumanns aber ausgesetzt werden. Widerspruch kam prompt vom Koalitionspartner SPD. Dort befürchtete man, dass die bloße Veröffentlichung der Qualitätsberichte für Bürger nicht verständlich und der Pflege-TÜV somit de facto gescheitert sei.

Dem Vernehmen nach haben sich die Sozialdemokraten nun bei einer koalitionsinternen Besprechung am vergangenen Freitag durchgesetzt. In dem Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums zur Pflegereform heißt es zum Thema Qualität: "Bestehende Vereinbarungen gelten bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung fort". Mit anderen Worten: Die Noten bleiben vorerst bestehen.

"Jeder, der an den Noten festhält, macht sich zum Fürsprecher von Tricksen, Tarnen und Täuschen", kritisierte Laumann und betonte, die Verhandlungen seien noch nicht beendet. "Hier werde ich in den nächsten Wochen weiterhin versuchen, bei der SPD Überzeugungsarbeit zu leisten."

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