Gesundheits-Kampagnen:Willkommen im Reizdarm-Monat

Gesundheits-Kampagnen: Die pinke Schleife ist im Brustkrebsmonat Oktober in vielen Ländern der Welt zu sehen - so auch hier in Libyen.

Die pinke Schleife ist im Brustkrebsmonat Oktober in vielen Ländern der Welt zu sehen - so auch hier in Libyen.

(Foto: AFP)

Von Schilddrüsen-Woche bis Tai-Chi-Tag: Immer mehr Aktionstage für die Gesundheit füllen die Kalender. Nun haben Forscher erstmals die Frage gestellt: Was nützt das alles?

Von Berit Uhlmann

Diese Woche verlangt Gesundheitsbewussten wieder einiges ab. Seit Montag läuft die nationale "Schilddrüsen-Gesundheitswoche", parallel zur "Europäischen Impfwoche". Am Samstag kommen der "deutsche Venentag", der "Welt-Tai-Chi-und-Qigong-Tag" und der "Welt-Malaria-Tag" hinzu. Sie gehören zu den etwa 100 Tagen, Wochen und Monaten, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für das laufende Jahr propagiert.

In den USA ist der Kalender der Medizinthemen noch voller. Fast 200 Daten standen im Jahr 2014 offiziell im Zeichen der Gesundheit. Dabei geben sich viele Veranstalter längst nicht mehr mit einem Tag zufrieden. Allein 14 verschiedene Anliegen - vom Reizdarm bis zur Augengesundheit von Frauen - beanspruchen den gesamten April für sich.

Gesundheitswissenschaftler der Drexel University in Philadelphia stellten nun die naheliegende Frage: Was bringen all die Aktionen? Die Antwort: Es interessiert offenbar niemanden. Die beiden Forscher fanden genau fünf wissenschaftliche Studien, die den Effekt der Gesundheitstage analysierten - und die erwiesen sich größtenteils als ähnlich speziell wie viele der Kampagnen.

So war das Ergebnis des saudi-arabischen Venentags, dass medizinische Angestellte ihr Wissen über die Thrombose um durchschnittlich sieben Prozent vergrößerten. Etwas aufschlussreicher war die Untersuchung einer Reihe von britischen Nichtrauchertagen: Sie animierten bis zu 18 Prozent der Nikotinsüchtigen, die Zigaretten beiseitezulegen. Wie groß ihr Erfolg langfristig war, ist allerdings nicht bekannt.

"Pinkwashing" heißt es in den USA, wenn Firmen mit ihrem Einsatz gegen Brustkrebs werben

Die Wissenschaftler aus Philadelphia wollen in ihrem Aufsatz für das American Journal of Public Health weder die guten Absichten hinter den Gesundheitstagen infrage stellen, noch die Arbeit der oft freiwilligen Helfer kritisieren. Sie bemängeln aber die Beliebigkeit der Aktionen. Bei den meisten dieser Kampagnen ist nicht einmal klar, was genau sie bezwecken sollen. Mehr als ein vages "Bewusstsein schärfen" wird als Ziel nicht genannt. "Ein geschärftes Bewusstsein ist nichts Schlechtes", sagt Autor Jonathan Purtle: "Es ist nur alles andere als ausreichend, um die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern."

Die Veranstalter der Gesundheitstage gehen von der simplen Prämisse aus, dass medizinische Probleme lediglich eine Frage fehlender Informationen und Anregungen seien. Aus der Präventionsforschung weiß man allerdings, dass Appelle an den Einzelnen nur wenig Effekt haben, solange soziale und Umweltfaktoren unberücksichtigt bleiben. Zum Beispiel verpufft die Aufforderung, mehr Sport zu treiben, wenn es keine geeigneten Trainingsangebote in der Umgebung gibt. Die Wissenschaftler fordern daher, die Aktionen auch dazu zu nutzen, politischen Einfluss auszuüben.

Bislang aber dürfte noch nicht einmal das Minimalziel - Aufmerksamkeit zu erregen - erreicht werden. Die schiere Menge an Warnungen und Appellen rüttelt wahrscheinlich irgendwann nicht mehr auf, sondern lähmt, schreiben die Autoren.

Zugleich können Aktionen an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie allzu sehr in die Öffentlichkeit gedrängt werden und kommerzielle Anbieter anziehen. In den USA gibt es bereits den Begriff "pinkwashing": Er steht für Unternehmen, die Brustkrebskampagnen unterstützen, das Logo mit der rosa Schleife aber vor allem nutzen, um ihr lädiertes Image aufzuwerten. Die pinke Welle schwappt den ganzen Oktober lang über das Land. Auch sie hat viele Konkurrenten, darunter nicht nur drängende Gesundheitsprobleme: Im Oktober begehen die USA auch den Monat der medizinischen Bibliothekare.

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