Gesundheit:Ist Lachen wirklich die beste Medizin?

Klinikclowns bei Lach-Visite

Klinikclowns bei der Lach-Visite.

(Foto: dpa)

Der Depressive hängt in der Vergangenheit fest, der Angstpatient fürchtet die Zukunft. Aber wer Spaß hat, ist ganz in der Gegenwart. Ärzte und Therapeuten entdecken die Heilkraft des Humors.

Von Felix Hütten

Was ist grün und sitzt auf dem Klo?

Na?

Ein Kack-tus.

Bei uns zu Hause müsste man jetzt die Füße hochheben, sagt die Witzeerzählerin, die zurzeit Patientin der Fliedner Privatklinik in Stuttgart ist. Weil der Witz so flach ist, dass er unten durchsaust.

Nicht witzig?

Immerhin hebt die Hälfte der Patientengruppe spontan die Beine an. Der Rest lacht, auch wenn es bei manchen nur ein Lächeln ist. Willkommen beim medizinischen Humortraining. 14 Patienten begrüßt die Ärztin Barbara Wild an diesem warmen Julitag, die Jalousien sind runtergefahren. Die Frauen und Männer im Raum erzählen sich Witze, sie lachen. Sie möchten damit Angststörungen bekämpfen, furchtbare Erinnerungen oder schwarze Gedanken. Vier, manchmal zwölf Wochen sind sie hier, um zu lernen, wieder zu lachen. Über sich, über ihr Leben, das ernst genug ist, um es nicht immer ernst zu nehmen.

Der Humor zieht ein in die Medizin, zumindest ein bisschen. Ginge es nach Barbara Wild, Direktorin der Stuttgarter Fliedner Klinik, könnte noch viel mehr gelacht werden in deutschen Krankenhäusern. Einmal die Woche bietet die Klinik ein Humortraining an. Eine Stunde lang erzählen sich die Teilnehmer Witze oder besprechen Comics - voll mit schwarzem Humor. Nicht selten dreht sich der Quatsch um die akute Situation der Patienten. Steht zum Beispiel eine Frau an einer Felsklippe, vor sich das offene Meer. Mit festem Griff hält sie den Rollstuhl der Großmutter. Gedankenblase: "Man muss auch mal loslassen können." Riesiges Gelächter in der Gruppe. Frauke Landsmann, sie heißt in Wirklichkeit anders, sagt, ja, genauso ist es doch. Ihre Stimme ist rau, die spricht so schnell, dass sich die Wörter überschlagen. Früher habe sie sich nicht erlaubt, über so einen makaberen Witz zu lachen. Aber das Lachen befreie sie, sagt sie und wirft in die Runde: Da könnte ich meinen Ehemann gleich hinterherschieben. Wieder Gelächter.

Du bist nicht nur der kranke Patient. Du bist Mensch.

Das war nicht immer so. Anfangs dachte Frauke Landsmann, Mitte 40, seit zehn Wochen in der Klinik, schwere Depression: Humortraining? Eine Stunde Lachen, was soll der Quatsch? Heute ist sich Landsmann sicher, das Training habe ihr gezeigt, dass sie da noch Muskeln hat in den Backen, dass sich ihre Mundwinkel doch noch bewegen können, auch nach all den Jahren tiefer Hilflosigkeit.

Um Patienten wie Frauke Landsmann zu zeigen, dass es sich lohnt zu lachen, engagieren immer mehr Kliniken in Deutschland Klinikclowns - meist allerdings nur durch Spenden finanziert. Dabei weiß der Volksmund schon lange: Lachen ist gesund - warum also nicht auch am Krankenbett?

Die Idee, mit kranken Menschen zu lachen, klingt plausibel: Patienten mit Freudentränen in den Augen vergessen für einen kurzen Moment die Schwere im Kopf, die Angst vor einer Operation, die Schmerzen durch den Tumor. Die Aggressionen gegen sich selbst, den Partner oder den Arzt nehmen ab, die oft ausweglose Situation dieser Menschen bekommt wieder einen Sinn. Unter Humorforschern heißt es: Der Depressive hängt in der Vergangenheit fest, der Angstpatient in der Zukunft. Aber wer lacht, ist in der Gegenwart. Das ist die Erfahrung all jener Mediziner, die auch mal lachen mit den Patienten. Mehr noch: Lachen soll helfen, den Blick auf sich selbst neu auszurichten. Humortraining, sagt Barbara Wild, zeigt Körper und Geist: Du bist nicht nur der kranke Patient, das Opfer - du bist auch Herr M. oder Frau F. Du bist Mensch.

Ohne Belege kein Geld - und ohne Geld keine Therapie

Das klingt schön. Und doch fristen Humorinterventionen ein Nischendasein. Trotz der klaren These gelingt es der Humorforschung nicht, durchschlagende Ergebnisse zu liefern und Therapien fest im klinischen Alltag zu verankern. Das Problem: Noch immer fehlt der Beweis, dass Humor tatsächlich wirkt. In diesem Punkt ist und bleibt die Medizin eine bierernste Disziplin, streng ausgerichtet nach Evidenz. Das heißt: ohne Belege kein Geld - und ohne Geld keine Therapie. Da sind die allermeisten Chefärzte, vor allem aber die Klinikdirektoren äußerst humorlos. Auch die deutschen Krankenkassen sind nicht für jeden Spaß zu haben und wollen kein Geld für Humorinterventionen ausgeben, solange die Studienlage dünn ist.

Lisa Linge-Dahl will das nicht akzeptieren. Die Psychologin an der Uniklinik Bonn kritisiert, dass Patienten den Therapeuten stets erzählen müssen, wie schlecht es ihnen geht, wie groß die Schmerzen sind. Arzt steht, Patient liegt, oben und unten, Retter und Opfer. Diese Konstellation, sagt Linge-Dahl, hilft auf Dauer niemandem. Vielmehr bräuchten die Patienten Hilfe bei der Frage, was sie an ihrer Situation ändern können und wollen. Humor, ist die Psychologin überzeugt, ist ein Schlüssel zu einer Antwort. Also müssen Ergebnisse her: Ohne wissenschaftliche Evidenz, gesteht auch Linge-Dahl, habe es der Humor in deutschen Kliniken schwer.

Doch stehen Forschungsvorhaben vor einem Grundproblem: Niemand weiß, was Humor eigentlich ist - und wie man ihn messen kann. Barbara Wild sagt: "Es existieren so viele Definitionen wie Humorforscher." Die Definition von Lisa Linge-Dahl: Humor in der Klinik sei kein Slapstick, es gehe darum, Anspannung zu lösen und die Perspektive zu wechseln. Willibald Ruch, Humorforscher an der Universität Zürich, definiert Humor als eine Einstellung zum Leben und zu den Mitmenschen. In der aktuellen Ausgabe des Fachbuchs "Humor in der Psychiatrie und Psychotherapie" beschreibt er den Humorbegriff als eine Fähigkeit, die wichtigen Dinge im Leben ernst zu nehmen, aber sie dennoch auch heiter distanziert betrachten zu können. Humor eigne sich nicht als Sammelbegriff für alles Komische.

Weniger Schmerzen nach Mr.-Bean-Film?

Um sich einer eindeutigen Definition zu nähern, versuchen Forscher seit Jahren zu erkunden, was genau im Körper passiert, wenn ein Mensch lacht und Freude empfindet: Muskeln um Mund und Augen spannen sich an. Wer laut lacht, braucht zudem Luft - weshalb sich die Atmung verstärkt. Kurzfristig steigt der Blutdruck, intensives Lachen kann richtig anstrengend werden. Auch das Gehirn läuft auf Hochtouren. 17 relevante Studien, die anhand von funktionellen MRT-Aufnahmen die Durchblutung des Gehirns bei Witzen messen, liefern erste Ergebnisse zu der Frage, welche Areale für den Spaß zuständig sind. Bei der Verarbeitung von Witzen scheinen insbesondere die Emotions- und Gedächtniszentren zu arbeiten.

Andere Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, wie Humor in der Medizin als Therapeutikum eingesetzt werden kann. Der Züricher Forscher Willibald Ruch hat gemeinsam mit Kollegen untersucht, ob Probanden nach einem Mr. Bean-Film weniger schmerzempfindlich sind. Andere Studien liefern Hinweise, dass der Blutzuckerspiegel von Typ2-Diabetikern nach einem Lachyoga-Training beim Essen weniger stark ansteigt. Diskutiert werden auch positive Effekte auf das Immunsystem. Die Vermutung: Lachen führt dazu, dass sogenannte Interleukine die Kommunikation von Immunzellen positiv beeinflussen - oder, etwas plakativer formuliert: Lachen stärkt die Abwehrkräfte. Dafür gibt es erste Hinweise, aber es fehlen bislang eindeutige Belege.

Grundsätzlich gestalten sich Studien zu den physiologischen und neurologischen Details des Lachens als schwierig, weil das menschliche Gehirn in seiner unglaublichen Komplexität noch immer wenig verstanden ist. Mehr noch: Versuche scheitern schon an ganz praktischen Problemen. Für exakte Kernspin-Aufnahmen müssen Patienten möglichst ruhig liegen. Lacht ein Proband aber zu sehr, besteht die Gefahr, dass Bilder verwackeln - und damit nutzlos werden. Andererseits kann es passieren, dass Versuche keine Ergebnisse liefern, weil Versuchspersonen Schwierigkeiten haben, Freude zu empfinden, wenn sie in einer dunklen, lauten und engen Kernspin-Röhre liegen oder eine Nadel zum Blutabnehmen in die Armbeuge gestochen bekommen.

Was passiert im Blut - und tut es den Menschen gut?

Doch ohne geht es nicht. Auch Lisa Linge-Dahl muss ihren Patienten erst mal ein kleines bisschen wehtun, damit es ihnen irgendwann besser geht. Die Psychologin an der Uniklinik Bonn betreut eines der wenigen Humorforschungsprojekte. In einer klinischen Studie - Beginn ist wohl erst im neuen Jahr - will sie herausfinden, ob die Schmerzen von Palliativpatienten abnehmen, wenn sie zuvor gemeinsam mit Klinikclowns lachen durften. Mit einer sogenannten Schmerzmessung, kleinen Nadelpiksern an der Hand, einer Speichelprobe zur Bestimmung von Hormonen, und einem Fragebogen wollen sie und ihre Kollegen herausfinden, ob das funktioniert mit dem Quatsch am Krankenbett. Linge-Dahl betont, dass sie Wert auf die Erfolgsmessung legt. Es geht also nicht nur darum zu untersuchen, was genau im Blut der Patienten passiert, sondern auch um die Frage, ob es ihnen guttut.

Ein ähnlicher Versuch hat bereits an der Uniklinik in Greifswald erste Ergebnisse geliefert. In einer Pilotstudie hat der Chirurg Winfried Barthlen bei 31 Kindern den Oxytocin-Spiegel im Speichel messen lassen, ein Hormon, das Vertrauen steigern und Ängste abbauen soll. Ergebnis: Bei jenen Kindern, die vor der Messung mit einem Klinikclown spielen durften, war der Oxytocin-Spiegel um bis zu 30 Prozent erhöht. Barthlen gibt zu, dass dieser Befund nur ein Hinweis ist, dass Lachen hilft. Im kommenden Jahr soll deshalb eine ähnliche Studie mit 400 Probanden beginnen. Im September will er auf der Jahrestagung der Kinderärzte für sein Vorhaben werben - allerdings eher zähneknirschend. Lieber hätte er es gesehen, wenn sich seine Assistenzärzte für das Projekt engagieren würden. Doch das ist nicht der Fall.

Denn noch ein zweites Problem bremst die Humorforschung in Deutschland. Noch immer werden Wissenschaftler, die sich diesem Thema widmen, von vielen ihrer Kollegen belächelt. Insbesondere Nachwuchsforscher tun sich schwer damit, auf Kongressen und bei Vorträgen als Humorforscher aufzutreten - zu groß ist die Sorge, als unseriös abgestempelt zu werden. Öffentlich will niemand die Humorforschung kritisieren, intern aber rümpfen Ärzte in vielen Kliniken die Nase.

Gefahr, dass Ärzte nicht mit, sondern über Patienten lachen

Hinzu kommt, dass nicht einmal die Arbeit mit Humor ohne Risiken ist. Denn Humorinterventionen sind nicht für jeden Patienten geeignet. Der Grat zwischen Spaß und Selbstentwertung ist bei einigen Patienten so schmal wie so mancher Witz, über den sie lachen sollen. Zudem fühlen sich einige Patienten durch zu viel Scherz in ihrem Leid nicht ernst genommen. Auch besteht die Gefahr, dass Ärzte und Therapeuten nicht mit, sondern über Patienten lachen. Das mag nach Feierabend ein probates Mittel gegen Frust sein, narzisstische Selbstdarstellung eines Arztes am Krankenbett ist allerdings gefährlich. Deshalb sagen Wild, Linge-Dahl und Barthlen unisono: Einfach Draufloslachen geht nicht. Man müsse vielmehr genau abstecken, ob und wann Humor für den Patienten infrage kommt.

Trotz der fehlenden Beweise, trotz des Imageproblems, trotz der Nebenwirkungen: Die Befürworter meinen es ernst mit dem Spaß. So ernst, dass Humorinterventionen bereits bei Hunderten Patienten in Deutschland Teil der Therapie sind. Dabei zählt im Alltag vor allem die Praxis: In der Lachstunde in Stuttgart sind Fragen nach Hormonen und Gehirnarealen weit weg. Die 14 Patienten amüsieren sich prächtig, manche sehr, alle ein bisschen. Bei den Übungen ("Und jetzt spielen wir einen Toaster") wird klar: Hier macht sich jeder gleichermaßen lächerlich, niemand kann gewinnen. Das verbindet.

Die Teilnehmer kneifen sich in die Schulter, klatschen ab, zwinkern sich zu, stacheln sich gegenseitig an. Es sind kindische Momente, die aus diesen Menschen sprudeln, die meisten über 40, viele hatten jahrelang nichts mehr zu lachen. "Wir kämpfen hier auch gegen die Einsamkeit", sagt Wild. Trotz Familie und Job hätten viele ihrer Patienten verlernt, was Gemeinschaft bedeutet. Und so kommt es, dass Humorinterventionen trotz ungeklärter Fragen bereits in den Klinikalltag einziehen. Während Medikamente aufwendige klinische Studien durchlaufen müssen, um gefährliche Nebenwirkungen auszuschließen, sind sich beim Thema Humor Kritiker wie Befürworter einig: Totgelacht hat sich noch niemand. Das ist doch schon mal was.

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