Gentechnik in Lebensmitteln:Im Unwissen liegt das Risiko

Auf den ersten Blick scheinen Gentech-Lebensmittel keine dramatischen Gefahren für die Gesundheit zu bergen. Weil bei ihrem Anbau weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, retten sie manchem Landarbeiter sogar das Leben. Dennoch gilt: Die Wissenschaft weiß zu wenig über die Technologie - und ihre Folgen bleiben unabsehbar.

Christina Berndt

Insulin aus dem Bioreaktor. Impfstoffe, von Einzellern produziert: Wenn es um medizinische Fragen geht, haben die Deutschen recht wenig gegen Gentechnik einzuwenden. Anders als diese "rote Gentechnik" ist die "grüne Gentechnik" auf Feldern und in Kuhställen vielen Bürgern aber nicht geheuer.

Gentechnik-Logo für Lebensmittel

Mit dem Siegel "Ohne Gentechnik" versprechen Hersteller, dass etwa die verarbeitete Milch oder Wurst nur von Tieren stammt, deren Futter zu 100 Prozent gentechnikfrei war.

(Foto: dpa)

Weshalb das so ist, lässt sich ziemlich leicht erklären: Ein Nutzen ist für den Verbraucher kaum erkennbar, die Risiken aber sind auch rund 30 Jahre nach der Züchtung des ersten GVO, des ersten "gentechnisch veränderten Organismus", nicht ausreichend geklärt. Und von solchen Risiken gibt es zwei große Komplexe, die beide das Leben der Verbraucher wesentlich tangieren: Es geht um die Gesundheit und um die Umwelt.

In puncto Gesundheit, das müssen auch seriös arbeitende Gentechnik-Gegner weithin einräumen, scheint die Gefahr, die von Gentech-Nahrungsmitteln ausgeht, zumindest nicht dramatisch zu sein. Wenn es eine klar umrissene gesundheitliche Auswirkung von Gentech-Pflanzen gibt, dann ist es eher eine lebensrettende: In ländlichen Regionen Asiens und Afrikas kippen jedenfalls weniger Landarbeiter tot auf dem Feld um, seit sie dort gentechnisch veränderte Baumwolle anbauen, die auch dann gedeiht, wenn man sie mit weniger Pflanzenschutzmitteln einsprüht. Einen ernsthaften Nachweis einer Gesundheitsgefährdung durch gentechnisch veränderte Nahrungspflanzen hat es dagegen bisher nicht gegeben.

Aus Sicht zahlreicher Wissenschaftler sind schwerwiegende gesundheitliche Folgen auch kaum denkbar. Schließlich unterscheiden sich Gentech-Pflanzen nur in ihrer Erbgutsequenz und manchen Eiweißen von ihren natürlichen Pendants. Im menschlichen Magen-Darm-Trakt angekommen, bleibt davon nicht viel übrig.

Im Jahr 2009 hat denn auch die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) eine weithin diskutierte Stellungnahme abgegeben, wonach sie sich für eine neue, freizügigere Politik rund um die grüne Gentechnik einsetzte. Der Verbraucher sollte nach dem Willen der Wissenschaftler um die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard "darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass bereits über 70 Prozent der heute am Markt befindlichen Lebensmittel auf unterschiedliche Weise mit Gentechnik in Berührung gekommen sind, zum Beispiel über die Tierfütterung, durch Lebensmittelzusatzstoffe und Medikamente, dass dies aber keinerlei negative Auswirkungen auf seinen Gesundheitszustand oder seine Befindlichkeit hat."

Langzeitstudien fehlen fast völlig

Allerdings hält die Wissenschaft immer noch Überraschungen bereit. So zeigte sich vor Kurzem, dass genetische Information aus Pflanzen womöglich doch Auswirkungen haben kann, wenn sie mit der Nahrung aufgenommen wird: Bei Mäusen beeinflusste die sogenannte Mikro-RNA der Pflanzen plötzlich die Regulierung der tierischen Gene. Eine Beobachtung, die allerdings bisher eher von erkenntnistheoretischem Interesse ist.

"Am auffälligsten sind bisher immer noch die immunologischen Befunde", räumt daher auch Christoph Then ein, Gentechnik-Experte von Testbiotech, einem Institut für Technikfolgenabschätzung. Studien an verschiedenen Tieren - von der Maus bis zum Schwein - hätten inzwischen belegt, dass das Immunsystem reagiert, wenn Gentech-Lebensmittel in den Verdauungstrakt geraten. Ob und welche Folgen das habe, sei aber unklar.

Genau das ist das bisher größte Problem rund um das Thema Gentech-Lebensmittel: Allzu viel ist unklar. Auch 16 Jahre nach der Zulassung der ersten Gentech-Maispflanze weiß die Wissenschaft zu wenig. Langzeitstudien fehlen fast völlig. Es gibt nicht einmal verlässliche Standards, die festlegen würden, welche Studien mit welchen Schwerpunkten denn für eine vernünftige Risikobewertung nötig seien, beklagt ein Mitarbeiter des Bundesamts für Naturschutz.

Derweil verändern Gentech-Pflanzen rund um den Erdball die Natur. "In manchen Regionen haben wir bereits die Kontrolle über die Verbreitung solcher Pflanzen wie Raps, Reis, Mais und Pappeln verloren", sagt Christoph Then. Allein in Europa sind mittlerweile 45 Arten zugelassen, darunter 26 Maissorten. Sie kreuzen sich mit Wildpflanzen oder verändern das Artenspektrum der Schädlinge. Das Problem: Einmal ausgesetzt, lassen sie sich nicht mehr zurückholen.

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