Paradise Papers:Wie ein deutscher Herzspezialist 200 000 Aktienoptionen aus Singapur bekam

Coronary angioplasty, X-ray

Stents (orange) werden in verengte Herzkranzgefäße eingeführt, um diese offenzuhalten.

(Foto: Science Photo Library/Getty Images)
  • Der deutsche Herzspezialist und Uni-Professor Eberhard Grube testete und bewertete Produkte des Medizinprodukte-Herstellers Biosensors.
  • Die Paradise Papers zeigen, dass Grube Aktienoptionen der Firma Biosensors erhielt.
  • Der Wert dieser Aktien betrug laut Firmenunterlagen knapp eine Million Dollar.
  • In einer Stellungnahme erklärt Grube allerdings, es hätten "zu keiner Zeit" Interessenskonflikte bestanden.

Von Philipp Eckstein, Markus Grill und Bastian Obermayer

Das Lob der Kollegen klingt erst einmal übertrieben: Im April des vergangenen Jahres wurde Eberhard Grube, 73 Jahre, deutscher Herzspezialist und Uni-Professor, auf einem Kardiologen-Kongress in Korea mit dem Titel "Master of the Masters" ausgezeichnet - in etwa "Meister der Meister". Ein US-Kardiologe pries ihn in einem Einspieler als "einen der wahren Pioniere der interventionellen Kardiologie", ein deutscher Kollege als "einen der einflussreichsten interventionellen Kardiologen der letzen Jahrzehnte". Interventionelle Kardiologie ist jene Fachrichtung, bei der Ärzte mit Hilfe eines dünnen Schlauchs Eingriffe am Herzen vornehmen. Herzkatheter nennt sich die Technik.

Möglicherweise ist das Lob aber gar nicht übertrieben. Grube hat an mehr als hundert wissenschaftlichen Studien mitgewirkt und mehrfach neue Medizinprodukte als erster Operateur weltweit bei einem Patienten eingebaut. Er unterrichtet bis heute an der Uni Bonn und der Stanford University in den USA, sitzt in wichtigen Gremien von Fachzeitschriften und berät die Bundesärztekammer bei der Entwicklung von Leitlinien.

Was der Mediziner Grube empfiehlt, hat gute Chancen, sich in Kliniken durchzusetzen

Grube ist ein Meinungsführer wie aus dem Bilderbuch. Auf einen wie ihn hören andere Ärzte. Was er empfiehlt, hat gute Chancen, sich in Kliniken durchzusetzen. Deswegen ist Grube auch für eine andere Seite interessant: die Medizin-Industrie.

Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zeigen nun, dass der Professor offenbar sehr eng mit dem Medizinprodukte-Hersteller Biosensors verbunden war, dessen Produkte er in Studien testete, und dass er dabei erstaunlich lässig mit Interessenkonflikten umging. In einer Stellungnahme erklärt Grube, es hätten "zu keiner Zeit" Interessenskonflikte bestanden.

Grube ist sicherlich nicht der einzige führende Mediziner, der mit seinen Interessenkonflikten fragwürdig umgeht. Nach Einschätzung von Gerd Antes, Direktor des deutschen Cochrane-Zentrums, das die Qualität medizinischer Studien beurteilt, sei das Verschweigen "eher die Regel als die Ausnahme". Dabei haben Untersuchungen gezeigt, dass Ärzte, die auf pharma-gesponserte Fortbildungen gehen, im Schnitt teurere Präparate verschreiben und dazu neigen, Risiken und Nebenwirkungen herunterzuspielen.

Antes hält das Verschweigen von Interessenkonflikten für ein "Riesenproblem, weil damit Beeinflussung und Fehlverhalten verbunden sein kann, was gerade im medizinischen Umfeld Patienten unmittelbar schädigen kann". Der Weltärzteverband verlangt schon seit dem Jahr 2004, dass Ärzte ihre finanziellen Verbindungen zu Firmen "vollständig offenlegen" müssen. In den meisten ernst zu nehmenden Medizinzeitschriften müssen Autoren deshalb angeben, von welcher Firma sie Geld bekommen, für welches Unternehmen sie als "Berater" tätig sind, ob sie selbst oder Familienangehörige Aktienanteile halten. Ein Interessenkonflikt selbst ist noch kein Vergehen, aber darauf aufmerksam zu machen, dient Lesern als Warnhinweis, falls ihnen einseitige Darstellungen auffallen.

2001 und 2002 erhielt er jeweils 100 000 Aktienoptionen eines Medizinprodukte-Herstellers

Die Paradise Papers, Unterlagen der Steuerkanzlei Appleby, die NDR, WDR und SZ ausgewertet haben, zeigen, dass Grube im Jahr 2001 und 2002 jeweils 100 000 Aktienoptionen der Firma Biosensors erhielt, einem Medizinprodukte-Hersteller aus Singapur. Der Wert dieser Aktien betrug laut Firmenunterlagen damals knapp eine Million Dollar. Gewöhnliche Menschen konnten zu der Zeit diese Aktien noch nicht kaufen, weil Biosensors erst 2005 an die Börse ging. Die Frage, ob er diese insgesamt 200 000 Aktien bezahlt hatte, ob er sie als eine Art Darlehen erhielt, worauf ein Vermerk hinweisen könnte, oder einfach als Gegenleistung für seine Tätigkeit, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Eberhard Grube selbst beantwortet die Frage danach nicht.

Kurz bevor Biosensors im Jahr 2005 tatsächlich an die Börse ging, wird Grube intern als Anteilseigner genannt, später als Verkäufer von Anteilen. Im Börsenprospekt von Biosensors wird er zudem als "Berater" geführt.

Warum gewährt ein Medizinproduktehersteller aus Singapur einem deutschen Arzt so großzügig Aktienoptionen - und damit offenbar einen möglicherweise millionenschweren Gewinn?

Die Antwort auf diese Frage findet sich unter Umständen am Herzzentrum Siegburg, wo Grube von 1987 bis 2009 Chefarzt der Abteilung Kardiologie ist. Dort testet er an seinen Patienten Stents, das sind kleine Metallröhrchen, etwa so dick wie ein Trinkhalm, die Patienten eingebaut werden, wenn deren Herzadern verengt sind. Alltagsgeschäft eines interventionellen Kardiologen. Der Stent wird mit Hilfe eines Herzkatheters so weit durch die Blutbahn geführt, bis er die Engstelle im Herzkranzgefäß erreicht. Dort soll das Drahtgeflecht das Gefäß offenhalten und so dafür sorgen, dass das Blut wieder ungehindert durchfließen kann. Grube testet auch Stents der Firma Biosensors, sie heißen "BioMatrix" und "BioFreedom" und sind bis heute auf dem Markt und in Deutschland verbreitet.

Am 27. Mai 2005 verschickt Biosensors eine Pressemitteilung mit ersten Ergebnissen aus Grubes Studie. Darin heißt es: "Professor Grube erklärte, dass der BioMatrix (...) sicher und wirksam bleibt und dass das neue Produkt das Auftreten einer Restenose (Wiederverschluss, d. Red.) bei über 97 Prozent der untersuchten Patienten verhinderte."

Drei Monate später verschickt die Firma Biosensors erneut eine Pressemitteilung. Darin heißt es: "Professor Grube sprach eindringlich von den positiven klinischen Ergebnissen und verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Leistungsfähigkeit des BioMatrix-Stents der anderer Konkurrenzprodukte auf dem Markt ebenbürtig, wenn nicht überlegen sei."

Solche Äußerungen eines führenden Kardiologen sind für einen Hersteller Gold wert. Man kann sie Ärzten und Kliniken vorlegen, und damit die Chancen erhöhen, dass diese künftig Stents von Biosensors bestellen.

Und Stents, das muss man wissen, sind für Kliniken ein gutes Geschäft. Der Einsatz ist gut planbar, Patienten können meist schon am Tag nach dem Eingriff das Krankenhaus verlassen, und die Krankenkassen erstatten für einen Stent 3182 Euro. Wenn der Eingriff schwierig ist sogar 4135 Euro - pro Patient. Jedes Jahr werden in deutschen Kliniken mehr als 500 000 Stents eingesetzt, Deutschland ist also ein Milliardenmarkt.

Für manche Patienten ist dieser Eingriff zweifellos nützlich. Merkwürdig ist aber der Boom der Stents hierzulande. Während im EU-Durchschnitt pro 100 000 Einwohner 191 Stents im Jahr eingebaut werden, sind es in Deutschland 624. In keinem Land der Welt werden nach Angaben der OECD mehr Stents eingesetzt als in Deutschland. Eine Studie, die Anfang November in der US-Fachzeitschrift Lancet erschien, kam zu dem Ergebnis, dass ein Stent im Vergleich zu keinem Stent bei Patienten ohne Herzinfarkt kaum Vorteile bietet.

Interessenkonflikte verschwieg er in mehreren Fachpublikationen

Das Herzzentrum Siegburg, Grubes damaliger Arbeitgeber, gehört seit 2006 zum Helios-Konzern. Auf Anfrage bestätigt Helios, dass es zwischen 2003 und 2007 in Siegburg zwei Studien mit mehr als 50 Patienten gab, die Grube für Biosensors durchgeführt hat. Eine Gegenleistung habe die Klinik dafür nicht bekommen. "Lediglich die jeweiligen Stents wurden zur Verfügung gestellt", teilt ein Helios-Sprecher mit.

Die Frage, ob er selbst von Biosensors für die Studien bezahlt wurde, beantwortet Grube auf Anfrage nicht.

Das Klinikum erklärt außerdem, "nach heutiger Aktenlage" habe es "keine Kenntnis von einem Beratervertrag oder einer Erlaubnis zu sonstigen Nebentätigkeiten", und ebenso wenig von Aktienoptionen für den damaligen Chefarzt Grube. Der wiederum behauptet per E-Mail jedoch, er habe "zu jeder Zeit alle erforderlichen Nebentätigkeitsgenehmigungen" gehabt, "insbesondere auch des Klinikums Siegburg".

Grube selbst hat auch zahlreiche Fachartikel veröffentlicht, die vor allem den Nutzen von Stents betonen - ohne aber an selber Stelle seine Verbindung mit Biosensors offenzulegen. So veröffentlichte er 2005 zusammen mit anderen Wissenschaftlern in der angesehenen US-Zeitschrift Circulation einen Artikel, in dem es um den Einsatz von Stents geht. Sechs Co-Autoren dieses Artikels geben Interessenkonflikte an. Grube nicht.

Dabei hat Circulation seit 2003 verbindliche Regeln zur Angabe von Interessenkonflikten, wie die Zeitschrift auf Anfrage mitteilt. Anzugeben sind demnach alle Verbindungen zu Herstellern, die in irgendeiner Weise relevant sind, und zwar für die zurückliegenden zwei Jahre. Als "signifikant" werden dabei alle Beziehungen angesehen, die einen Wert von 10 000 Dollar überschreiten, dazu gehören ausdrücklich auch Aktien. Die Frage, warum Grube seine Interessenkonflikte dennoch nicht angegeben hat, beantwortet er nicht.

Die Liste dieser Beispiele ließe sich fortsetzen

Möglicherweise hat es bei Grube einfach länger gedauert, bis er sich auf die neue Zeit umgestellt hat. Viele Jahrzehnte haben Mediziner munter mit der Industrie zusammengearbeitet und sahen darin nichts Fragwürdiges, es war schlicht normal, fast alle ließen sich einladen, auf teure Reisen, in feine Hotels, in denen manchmal die Geschenke schon auf den Zimmern drapiert waren. Was war schon dabei?

Diese Haltung änderte sich über die Jahrzehnte, aber nur sehr langsam - und nicht in allen Köpfen. Und erst in den 2000er-Jahren verlangten Fachzeitschriften, dass die Autoren bekannt gaben, wenn sie finanzielle Beziehungen zu Firmen unterhielten.

Paradise Papers: Warum hat eine Firma aus Singapur einem deutschen Kardiologen Aktienoptionen eingeräumt?

Warum hat eine Firma aus Singapur einem deutschen Kardiologen Aktienoptionen eingeräumt?

(Foto: Wong Maye-E/AP)

Über seine Studie am Herzzentrum Siegburg veröffentlichte Grube ebenfalls 2005 einen Artikel im europäischen Kardiologen-Blatt EuroIntervention. Auch dort gab er keine Interessenskonflikte an. Auf Anfrage teilt EuroIntervention jedoch mit, dass bereits 2005 die Autoren "alle finanziellen Verbindungen" angeben mussten, die einen Interessenkonflikt darstellen können. Dazu zählten ausdrücklich auch Beratungstätigkeiten und Aktien. Auch das erklärt Grube nicht.

Die Liste dieser Beispiele ließe sich fortsetzen. Eberhard Grube sieht allerdings grundsätzlich kein Problem, er erklärt auf Anfrage kategorisch: "Interessenskonflikte bestanden zu keiner Zeit, im Gegenteil befruchteten meine Nebentätigkeiten wie beabsichtigt meine wissenschaftliche und ärztliche Haupttätigkeit." Weiter schreibt Grube, Studien, an denen er beteiligt war, seien "nicht von mir alleine, sondern in einem mehrköpfigen Team - meist noch in Kooperation mit internationalen Zentren" durchgeführt worden, außerdem seien "vergleichbare Studien", an denen er nicht beteiligt sei, "zu vergleichbaren Studienergebnissen" gekommen.

Beide Argumente seien klassische Ausflüchte, sagt David Klemperer, Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Klemperer ist Co-Autor eines Standardwerks über Interessenkonflikte in der Medizin. "Es geht nicht darum, die Zusammenarbeit mit Herstellern zu verteufeln", sagt er, "sondern darum, das Bewusstsein zu schärfen, dass finanzielle Beziehungen zu Herstellern die eigene Urteilsfähigkeit beeinflussen können, ohne dass man es selbst bemerkt."

Das Thema betreffe die Mehrzahl der Ärzte. "Die meisten Ärzte empfangen auch heute noch Pharmavertreter und nehmen an pharmagesponserten Fortbildungen teil, obwohl sie wissen sollten, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit einseitige und verzerrte Informationen erhalten", sagt Klemperer. Aktien von einem Unternehmen zu haben und gleichzeitig die Produkte dieses Unternehmens zu bewerten, sei ein besonders krasser Fall. "Aber bis heute unterliegen viele Ärzte dem großen Irrtum, durch Interessenkonflikte nicht beeinflussbar zu sein."

Fragen zum deutschen Professor will das Unternehmen nicht beantworten

Gerd Antes, Direktor des deutschen Cochrane-Zentrums, fordert, das Verschweigen von Interessenkonflikten "auf jeden Fall" zu ahnden, räumt aber ein, dass "diese Forderung leichter aufgestellt ist als realisiert". Wer zum Bespiel solle "vergessliche Ärzte" sanktionieren? Der Wissenschaftsbetrieb? Das Gesundheitssystem? Die juristischen Instanzen? "Hier muss noch viel passieren, um Fremdeinflüsse in den Griff zu bekommen", sagt Gerd Antes.

Wann Grube seine Biosensors-Aktienoptionen ausgeübt, wann er die Aktien verkauft und welchen Gewinn er damit erzielt hat - dazu schweigt er. Allerdings wird er Mitte 2005 in einer firmeninternen Liste von Anteilseignern nicht mehr aufgeführt, es scheint, als habe er da schon verkauft gehabt. Im April 2016 wurde die Firma von der Börse genommen. Fragen zum deutschen Professor will das Unternehmen ebenso wenig beantworten wie Fragen zu anderen hochrangigen Kardiologen aus Indien, Japan und den USA, die ebenfalls vorbörsliche Aktien bekommen hatten. "Wir sind als private Firma zu keinen Angaben verpflichtet", teilt Huang Jie aus der Biosensors-Zentrale in Peking mit.

Die Debatte um Interessenkonflikte hat die Medizin in den vergangenen zehn Jahren verändert. Und ein bisschen scheint sich auch Grube anzupassen. Im vergangenen Jahr begann er einen Vortrag über neue Herzklappen: mit seinen Interessenkonflikten. Das Video ist noch im Internet, Grube zeigt ein Bild mit einer Auflistung von Firmennamen, und sagt: "Da wir 15 Minuten haben, erlaube ich mir, vielleicht nicht die ganze Minute voll stehen zu lassen." Das Bild verschwindet nach wenigen Sekunden wieder. Aber wer am Computer auf Pause drückt, kann die zwölf Firmennamen in Ruhe lesen, für die Grube als Berater, Forscher oder Gremiumsmitglied tätig ist oder war. Es ist das Who is Who der Medizinprodukte-Branche. Wie es sich für einen "Master of the Masters" gehört.

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