Eizellen einfrieren:Kinderglück auf Eis

Künstliche Befruchtung

Die eingefrorenen Eizellen müssen künstlich befruchtet werden.

(Foto: dpa)

Kinder oder nicht? Um diese zentrale Entscheidung aufzuschieben, lassen immer mehr Frauen ihre Eizellen einfrieren. Das "Egg Freezing" erhöht die Chance auf das Wunschkind auch im höheren Alter enorm. Risikofrei ist die Methode jedoch weder für die Mutter noch das Kind.

Von Christina Berndt

Uhren, die laut ticken, können nervtötend sein. In ganz Deutschland ticken ständig solche Uhren, nicht nur an den Wänden. Kinderlose Frauen hören sie von überall. Ungefähr von ihrem 34. Geburtstag an. Da ist das Ticken noch recht leise, aber es wird mit jedem Lebensjahr zuverlässig lauter: Wenn du ein Kind willst, sagt das Ticken, musst du dich langsam beeilen.

Es gibt Frauen, die sofort die Pille absetzen, wenn sie das Ticken ihrer biologischen Uhr zum ersten Mal vernehmen. Es gibt Frauen, die das Ticken noch eine ganze Weile ertragen. Und, ja, das wird oft vergessen, es gibt auch Frauen, denen ihre biologische Uhr völlig egal ist, weil sie schon früh in ihrem Leben herausgefunden haben, dass sie niemals Mutter werden wollen.

Neuerdings aber gibt es noch eine vierte Gruppe. Man mag sie, je nach Blickwinkel, die Karrierebesessenen nennen, die Zögerlichen, die Ängstlichen, die Einsamen - oder aber die Weisen und Tatkräftigen: Diese Frauen legen ihre biologische Uhr einfach auf Eis. Sie geben ihrem Arzt ein paar Tausend Euro, ertragen eine Hormonkur und eine Bauchpunktion und lassen schließlich einige ihrer Eizellen bei minus 196 Grad Celsius in einem Stickstofftank verschwinden. So lange, bis sie sich bereit fühlen für Kinder. Und vielleicht schon zu alt sind, um auf natürlichem Weg schwanger zu werden.

Dann können die eingelagerten Eier künstlich befruchtet und zurückgegeben werden. "Egg Freezing", wie die Methode genannt wird, ist eine ziemlich pragmatische Lösung, um das nervtötende Ticken ein paar Jahre lang nicht mehr hören zu müssen.

"Plötzlich ist der Druck weg", sagt auch Christy Jones, die in den USA mit ihrer Firma "Extend Fertility" bereits seit zehn Jahren die Möglichkeit anbietet, Eizellen für später aufzuheben. In Deutschland ist das Verfahren relativ neu.

Jones wehrt sich gegen den Vorwurf, sie würde nur die Sorgen junger Frauen ausnutzen. "Egg Freezing bietet neue Lebensperspektiven", sagt die Absolventin der Harvard Business School selbstbewusst. Frauen sehnten sich nach ein bisschen zeitlichem Aufschub. Das wisse sie selbst nur zu gut. Ihre erste Kundin war sie selbst. Mit 34 Jahren.

Tatsächlich gibt so ein Röhrchen mit eisigen Eizellen vor allem gefühlte Sicherheit. Die Entscheidung für Nachwuchs muss nicht mehr sofort fallen. Man kann noch reisen, an der Karriere feilen, den richtigen Mann finden. Der fehlende Partner ist schließlich einer der häufigsten Gründe für Kinderlosigkeit. Oder man kann noch aus Krisengebieten berichten, wie jüngst eine Spiegel-Reporterin schrieb, die seit Kurzem 16 ihrer Eizellen in einer Münchner Praxis lagert. Ihr Alter: 34.

Ab Mitte 30 sinkt die Fruchtbarkeit rapide

Matthias Beckmann kann den Wunsch nach der Fortpflanzungsgarantie jedenfalls gut nachvollziehen: "Ich habe Verständnis für Frauen, die erst in zehn Jahren ein Kind bekommen wollen, aber Angst haben, dass es dann auf natürlichem Weg nicht mehr klappt", sagt der Direktor der Universitätsfrauenklinik in Erlangen. Diese Sorge sei auch nicht unberechtigt: Während eine Frau mit 30 Jahren noch in jedem Monat eine etwa 20-prozentige Chance hat, schwanger zu werden, ist diese Chance im Alter von 40 Jahren auf fünf Prozent gefallen. "Ab Mitte dreißig sinkt die Fruchtbarkeit rapide", sagt Beckmann.

Das liegt vor allem daran, dass die Qualität der Eizellen mit dem Alter abnimmt. Während Männer ständig neue Spermien bilden, sind die Eizellen jedem Mädchen schon bei der Geburt mitgegeben. Im Laufe des Lebens sind sie natürlicher Radioaktivität ebenso ausgesetzt wie giftigen Einflüssen aus der Nahrung. Oft lassen sich Eizellen von Frauen über 40 gar nicht mehr befruchten. Und wenn doch, ist das Fehlbildungsrisiko hoch. Mit jungen Eizellen aber können ältere Frauen genauso leicht schwanger werden wie junge Frauen, zeigen Daten aus Ländern, in denen Schwangerschaften mit fremden Eizellen erlaubt sind.

Die Chancen, dass die eingefrorenen Eizellen tatsächlich eines Tages zum Wunschbaby heranwachsen, sind also relativ hoch, sagt Matthias Beckmann. Rund 90 Prozent der Eizellen überleben das Einfrieren und Auftauen, selbst wenn sie viele Jahre im flüssigen Stickstoff verbracht haben.

Allerdings ist es nicht unrelevant, in welchem Alter man sich für das Einfrieren entscheidet. Bei Frauen über 35, die momentan die Hauptzielgruppe der Reproduktionsmediziner bilden, müssen wegen der bereits gesunkenen Eizellqualität relativ viele Zellen eingefroren werden, um später realistische Chancen auf das Wunschkind zu haben. Ein Stimulationszyklus reicht im Zweifel nicht aus.

Das Egg Freezing könnte unsere Gesellschaft trotzdem reichlich durchrütteln. Nicht wenige Frauen halten das Tiefkühl-Angebot für eine der großartigsten Erfindungen seit der Anti-Baby-Pille. Schließlich ermöglicht es Frauen ein erhebliches Plus an Selbstbestimmung. Mehr Karrierechancen und Gleichberechtigung erscheinen möglich. Schließlich konnten Männer schon immer ein unbekümmertes Dasein fristen, bevor sie in reichlich fortgeschrittenem Alter doch noch einen Erben für ihren bis dahin angehäuften Wohlstand zeugten. Es klingt, als könnte das Egg Freezing nach der Anti-Baby-Pille die nächste große Revolution auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin werden.

"Revolution? Nein", sagt Michael von Wolff, Professor für Frauenheilkunde am Inselspital in Bern. Wolff ist Koordinator des Netzwerks Fertiprotekt, in dem rund 100 Kinderwunschzentren mit dem Zweck des Fruchtbarkeitserhalts zusammengeschlossen sind. Die Nachfrage nach der Technik nehme zu, aber sie sei auf eine kleine, finanziell gut gestellte Klientel beschränkt, meint Wolff. Außerdem, so zeigten erste Studien, griffen nur ein geringer Teil der Kundinnen später dann tatsächlich auf die eingefrorenen Hoffnungen zurück.

Ein beträchtlicher Teil der Kundinnen wird auf natürlichem Weg schwanger

Überraschend auch, so das Ergebnis einer Studie des Belgiers Dominic Stoop von der Freien Universität Brüssel: Etwa ein Drittel der Frauen versuchte nach dem Einfrieren ihrer Eizellen direkt, auf natürlichem Wege schwanger zu werden - obwohl sie gerade ihr Erspartes in die Option zu Warten investiert hatte. Vermutlich regte die Entscheidung zum Egg Freezing das Nachdenken übers Kinderkriegen insgesamt an. "Vielleicht wurde ihnen plötzlich bewusst, wie groß ihr Kinderwunsch war", sagt Wolff, "und dass das Einfrieren zwar eine Chance bietet, aber keine Garantie."

Wie viele Frauen in Deutschland ihre Eizellen bereits auf Eis gelegt haben, ist nicht bekannt. Einige Hunderte werden es jedoch sein, kann man vermuten, wenn man mit verschiedenen Reproduktionszentren spricht. Im Moment lässt sich noch nicht einmal ermitteln, wie viele Zentren den Service überhaupt anbieten. "Vermutlich der allergrößte Anteil", sagt Michael von Wolff. Denn die Technik an sich ist einfach. Jede Klinik, die künstliche Befruchtungen vornimmt, hat täglich mit allen für das Egg Freezing nötigen Prozeduren zu tun.

Bis vor Kurzem noch haben sich nur einige wenige Universitätskliniken wie die von Matthias Beckmann in Erlangen für das Einfrieren von Eizellen interessiert. Und die Ärzte hatten es auch nicht mit zweifelnden, aber voll im Leben stehenden Mittdreißigerinnen zu tun, sondern mit krebskranken Patientinnen: Die Methode ist für Frauen erfunden worden, die eine Bestrahlung oder Chemotherapie über sich ergehen lassen müssen, in deren Folge sie vermutlich keine Kinder mehr bekommen können.

Doch bald stellte sich heraus, dass auch gesunde Frauen das Angebot reizvoll finden. Schließlich drohen nicht nur Krankheiten Mutterträume zu zerstören, sondern auch das Leben selbst. "Social Freezing" nennen Fachleute deshalb diese Variante des Egg Freezings, die allein durch gesellschaftliche Faktoren motiviert ist.

Ärzte müssen sich allerdings fragen lassen, ob ihr Handeln durch die sozialen Gründe gerechtfertigt ist. Immerhin setzen sich gesunde Frauen einem medizinischen Eingriff aus, der mit Risiken verbunden ist. Sie benötigen eine Hormonbehandlung, wie sie auch vor einer künstlichen Befruchtung üblich ist: Damit die Eierstöcke in einem Menstruationszyklus mehr als nur eine Eizelle produzieren, spritzen die torschlussgeplagten Frauen sich etwa zehn Tage lang einen kräftigen Hormoncocktail unter die Haut. Die gebildeten Eizellen werden dann mithilfe einer Nadel aus den Eierstöcken herausgesaugt. Und das Ganze nehmen die Frauen nur für das Prinzip Hoffnung auf sich. Für eine Option, die sie vielleicht niemals nutzen werden. Und die auch nicht garantiert zum Erfolg führt.

Die späte Schwangerschaft birgt Risiken

"Die Nebenwirkungen der Hormonstimulation sind nicht null, aber gering", betont Matthias Beckmann. Wenn man bedenke, wie viele andere Lifestyle-Eingriffe Ärzte inzwischen anbieten - von der Brustvergrößerung bis zum Augenlasern bei leichter Kurzsichtigkeit - dann sei eine Hormonstimulation, mit der man den gesamten Lebensentwurf eines Menschen im besten Fall positiv beeinflussen könne, zu rechtfertigen. "Fortpflanzung ist nun einmal ein ganz zentrales Thema im Leben jedes Menschen", ergänzt Michael von Wolff.

Risiken sieht der Frauenarzt am ehesten auf der Seite der Kinder: Es seien weltweit zwar schon ungefähr 1500 Kinder nach Egg Freezing geboren, ohne dass unerwünschte Effekte bekannt geworden wären. "Trotzdem diskutieren Reproduktionsmediziner in letzter Zeit verstärkt über eventuelle negative Folgen der künstlichen Befruchtung", sagt Wolff.

Leicht erhöhte Risiken für Fehlbildungen, für Asthma und Diabetes sind in großen Studien zutage getreten. Auch gibt es Hinweise auf Anfälligkeiten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und ohne In-vitro-Fertilisation (IVF) kann eine Frau mit aufgetauten Eizellen nun mal nicht schwanger werden. Der natürliche Weg ist jedenfalls nicht nur unproblematischer, sondern auch schöner.

Kritisch kann es auch werden, wenn sich Frauen erst in zu hohem Alter für ein Baby aus dem Eis entscheiden. Mütter im Oma-Alter werfen nicht nur soziale Fragen auf, auch Schwangerschaften sind bei älteren Frauen problematischer. "Über 50 ist das Risiko für eine Frühgeburt drastisch erhöht", sagt Michael von Wolff. "Auch Bluthochdruck, Schwangerschaftsdiabetes und ein niedriges Geburtsgewicht treten häufiger auf."

Das Netzwerk Fertiprotekt spricht sich deshalb dafür aus, nur Frauen unter 50 Jahren noch mit aufgetauten Eizellen zu schwängern. Wolff hätte gerne ein Höchstalter von 45 Jahren festgesetzt. "Das ist die natürliche Grenze", sagt er, "Schwangerschaften in höherem Alter sind absolute Raritäten." Aber er konnte sich unter den Experten nicht durchsetzen.

Werden in Deutschland also bald reihenweise Kinder ohne Großeltern aufwachsen, weil ihre Mütter bei der Geburt schon so alt waren, dass die Koexistenz dreier Generationen unmöglich wird? Es ist durchaus wahrscheinlich, dass manche Frauen die späte Chance ergreifen. Andere werden davor zurückschrecken und sich schon mit 35 zu alt fürs Muttersein fühlen.

Über die Frauen, die das Social Freezing nutzen, sei ohnehin noch viel zu wenig bekannt, sagt die Bioethikerin Heidi Mertes von der Universität Gent: "Es herrschen drei große Klischees über die Kundinnen vor", so Mertes. In der einen Vorstellungswelt sind sie egoistisch und karrieregeil, in der zweiten Opfer einer an Männern orientierten Gesellschaft, die es ihnen schwer macht, Muttersein mit dem Beruf zu verbinden, und in der dritten sind sie schlau und proaktiv. "All diese Einteilungen führen zur Übersimplifizierung", warnt Mertes. "Schließlich wird Egg Freezing selten in jungem Alter geplant. Es ist eher eine Notfallintervention." Besonders häufig fehlt schlicht und ergreifend der richtige Mann.

Trotz der Euphorie in manchen Kreisen und manchen persönlichen Glücks, das die Technik zweifelsohne bringen wird: Die sozialen Folgen der Vorratshaltung sind nicht unbedingt nur rosig - auch nicht für die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Wenn Frauen das Kinderkriegen aufschieben können, kann dies auch schnell von ihnen erwartet werden.

Das Verständnis für Mütter am Arbeitsplatz könnte weiter sinken. Und Staat und Arbeitgeber hätten noch weniger Druck, sich um ausreichende Kinderbetreuung zu kümmern, familienfreundliche Arbeitsplätze zu schaffen und Väter zu mehr Engagement für ihren Nachwuchs zu erziehen. Social Freezing klingt nach mehr Freiheit. Es könnte aber nur ein bisschen mehr Freiraum in einer Gesellschaft bedeuten, in der Muttersein oft einen unnötig großen Verlust von Freiheit bedeutet.

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