Ebola:Ungeprüfte Medikamente für Afrika?

Ebola: Wenn Ärzte in ihren Schutzanzügen in den von Ebola betroffenen Gebieten auftauchen, weckt das Misstrauen bei der Bevölkerung.

Wenn Ärzte in ihren Schutzanzügen in den von Ebola betroffenen Gebieten auftauchen, weckt das Misstrauen bei der Bevölkerung.

(Foto: Seyllou/AFP)

Forscher sprechen sich dafür aus, die Ebola-Epidemie in Westafrika mit experimentellen Wirkstoffen zu bekämpfen. Doch die Vorschläge sind hoch umstritten.

Von Martin Enserink

Was tun, wenn man sich mit Ebola infiziert hat oder soeben mit dem Virus in Kontakt gekommen ist? Auf diese Frage hat Erica Ollmann Saphire eine klare Antwort, die sich aus ihrer Arbeit ergibt. Die Expertin für Röntgen-Kristallografie am Scripps Institut in San Diego in Kalifornien leitet ein internationales Projekt, das sogenannte monoklonale Antikörper gegen das Virus entwickelt. Tierversuche lieferten bereits erste vielversprechende Ergebnisse. Also was tun?

Angesichts der dramatisch hohen Sterblichkeit unter Ebola-Patienten gibt es für Ollmann Saphire im Ernstfall nur eine Option: sofort die Antikörper-Proben zu nehmen, die von den Forschern bisher entwickelt wurden. Die Stoffe wurden zwar noch nicht auf ihre Sicherheit für Menschen getestet, doch die Forscherin betrachtet dies als kleineres Risiko im Vergleich zu dem hämorrhagischen Fieber selbst. "Glauben Sie mir, ich würde zum Kühlschrank mit den Proben stürzen und allenfalls nach Vergebung statt um Erlaubnis bitten."

Zahlreiche andere Ebola-Forscher würden wohl ebenso handeln. Auch für sie ist die Option, experimentelle Medikamente oder Impfstoffe zu nehmen, das leichter kalkulierbare Risiko als die gefährliche Krankheit. Aber sollten die Menschen in den Infektionsgebieten in Sierra Leone, Guinea und Liberia ebenfalls über diese Option verfügen und Zugang zu experimentellen Therapien gegen Ebola erhalten? Einige Wissenschaftler vertreten diese Meinung. Und die steigende Anzahl der Ebola-Toten in Westafrika verleiht ihrem Argument Gewicht - mittlerweile sind bei der aktuellen Epidemie mehr als 600 Menschen gestorben.

Je schlimmer die Seuche wütet, desto lauter werden die Stimmen, die den Einsatz experimenteller Therapien in Westafrika befürworteten. Forscher, Regierungsbeamte, Firmenvertreter - sie alle fordern, die nicht zugelassenen Arzneien aus Mitgefühl anzubieten. "Es ist besser etwas zu tun, als einfach nichts zu unternehmen", sagt Ollmann Saphire. Auch Lisa Hensley, Expertin für hämorrhagische Fieber am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in Frederick, Maryland, berichtet von mehreren Konferenzen, auf denen dafür geworben wurde.

Doch der Plan ist nicht durchsetzbar. Die Helfer vor Ort winken ab. Schon jetzt kämpfen die Mediziner mit dem Misstrauen der Bevölkerung. Wie ließen sich die Menschen in dieser Atmosphäre überzeugen, ungeprüfte und nicht zugelassene Medikamente einzunehmen? "Wir werden schon jetzt manchmal mit Steinen beworfen", sagt Armand Sprecher von den Ärzten ohne Grenzen. "Da machen Gerüchte die Runde, dass wir die Krankheit nicht bekämpfen sondern verbreiten, dass wir angeblich Organe entnehmen und andere grausige Geschichten", sagt der Brüsseler Epidemiologe. "Unter diesen Bedingungen nicht zugelassene Wirkstoffe einzusetzen und an den Menschen zu erproben, wäre mehr als kontraproduktiv." Und experimentelle Impfstoffe zu verwenden, sei "unethisch, unklug und nicht durchführbar", so ein Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Ebola-Forscher nehmen die Entscheidung hin, doch sie reagieren frustriert. "Das ist sehr enttäuschend", sagt Heinz Feldmann vom NIAID-Labor in Hamilton, Montana, der einen vielversprechenden Impfstoff-Kandidaten mitentwickelt hat. Er hofft, dass die Tragödie in Westafrika wenigstens dazu beiträgt, die wissenschaftliche Überprüfung der experimentellen Stoffe rascher voranzutreiben.

Der Impfstoff schützt Makaken vor der tödlichen Krankheit. Aber wie wirkt er bei Menschen?

In Westafrika scheint die Ebola-Epidemie nicht abzuklingen - bisher wurden 1048 Infektionen und 632 Todesfälle gemeldet. Das entspricht etwa einer Mortalitätsrate von 60 Prozent der Patienten. Die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten zeichnet sich durch eine höhere Mobilität aus, als die in den zentralafrikanischen Staaten, die in der Vergangenheit von Ebola heimgesucht worden waren. So verbreite sich der Erreger leichter, sagt ein Sprecher. Die kulturellen Hürden gleichen sich jedoch in beiden Regionen Afrikas: Die lokale Bevölkerung lehnt die einzigen effektiven Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche - Isolation der Patienten, die Überwachung aller sozialen Kontakte sowie ein rasches Begräbnis der Toten - meistens ab.

Trotz aller Gefahr und Aufmerksamkeit durch die weltweiten Medien bleibt Ebola eine extrem seltene Erkrankung. Das macht es so schwer, wirksame Behandlungsmethoden zu entwickeln. Vor der aktuellen Epidemie gab es binnen dreier Jahrzehnte weniger als 2400 Fälle, die in einem Dutzend Staaten Afrikas auftraten. Dazu kommt die extreme Armut in diesen Ländern: Es lohnt sich für Unternehmen einfach nicht, Impfstoffe gegen die Seuche zu entwickeln. Zudem existieren mindestens fünf Viren-Stämme, für die es jeweils einige Vakzine bräuchte. Entsprechende Forschungsprogramme wurden meist nur durch die US-Regierung finanziert und zwar aus Angst vor Terrorangriffen, bei denen Bio-Waffen eingesetzt werden könnten. Aber das war bisher nicht ausreichend, um eine einzige wirksame Arznei gegen Ebola auf den Markt zu bringen.

Feldmanns Impfstoff besteht zum Beispiel aus dem mit dem Tollwuterreger verwandten Vesicular stomatitis Virus (VSV), bei dem ein Gen durch eines für das Glykoprotein der Ebola-Virenhülle ersetzt wurde. Makaken schützt der Stoff erfolgreich vor einer Infektion mit dem Ebola-Zaire-Stamm und bewahrte vier von acht Versuchstieren vor dem Tod, nachdem diese einer sonst letalen Virendosis ausgesetzt worden waren und dann nach 30 Minuten den Wirkstoff bekommen hatten. Erste Tests mit Menschen stehen jedoch noch aus. Die Firma Profectus BioSciences hat ein ähnliches Präparat entwickelt, benötigt jedoch zwei Millionen US-Dollar, um die Sicherheitsstandards für erste Studien mit Menschen erfüllen zu können.

Ein mögliches Medikament steckt bereits in einem späteren Entwicklungsstadium. Aber auch hier gibt es Schwierigkeiten. Das kanadische Unternehmen Tekmira wird zwar mit 140 Millionen US-Dollar durch das Pentagon finanziert, und der Wirkstoff erscheint vielversprechend. Doch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA stoppte kürzlich eine geplante Phase-1-Studie: Die Datenlage reiche noch nicht aus, um die Sicherheit der Teilnehmer ausreichend zu gewährleisten, so die Begründung. Das Unternehmen hofft auf einen neuen Anlauf am Ende des Jahres.

Die Entwicklung monoklonaler Antikörper steckt ebenso fest. Für das von Ollmann Saphire geleitete Projekt arbeiten 25 Labore in sieben Staaten weltweit zusammen, um den effektivsten Cocktail dieser immunologisch aktiven Proteine herzustellen. Aber auch hier steht eine Phase-1-Studie noch aus. Das Gleiche gilt für zwei weitere Ansätze anderer Institute und Firmen, einen Wirkstoff für die Ebola-Therapie zu entwickeln.

Für die sogenannte Anwendung aus Mitgefühl wurde jedoch bereits einmal eine Ausnahme gemacht. Als sich 2009 eine Wissenschaftlerin am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin bei ihrer Arbeit mit Ebola-Viren mit einer Kanüle versehentlich in den Finger stach, wurde der VSV-Impfstoff aus den USA eingeflogen und 48 Stunden nach dem Unfall verabreicht. Die Forscherin blieb gesund.

Ob das an dem Wirkstoff lag, steht allerdings nicht fest. Dabei habe es sich um den einzigen Fall gehandelt, bei dem ein Patient in der Intensivstation einer westlichen Klinik behandelt und auf gefährliche Nebenwirkungen überprüft werden konnte, sagt der Virologe Gary Knobinger. Diese Standards auch bei Hunderten Patienten in Westafrika einzuhalten, sei hingegen unmöglich. Alleine die informierte Einwilligung der Betroffenen zu erhalten, sei nicht zu schaffen. Und keiner der zu testenden Wirkstoffe helfe, sobald sich die Patienten in einem kritischen Zustand befinden, sagt der Ebola-Forscher Thomas Geisbert von der University of Texas; wenn die Erkrankten zu spät Hilfe suchen, könne dies den Eindruck unterstützen, dass die Wirkstoffe ohnehin nutzlos seien.

"Es wäre eine Katastrophe, wenn irgendetwas schieflaufen würde", fasst Feldmann zusammen, "wir müssen uns einfach noch mehr anstrengen und uns so gut wie möglich auf die nächste Epidemie vorbereiten."

Dieser Text ist in Science erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas. org, www.sciencemag.org. Dt. Bearbeitung: sehe

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