Ebola-Epidemie in Westafrika:Gerüchte, die sich wie eine Seuche verbreiten

Ebola-Epidemie in Westafrika: In Monrovia, der Hauptstadt Liberias in Westafrika, hängen Warnungen, die Epidemie ernst zu nehmen

In Monrovia, der Hauptstadt Liberias in Westafrika, hängen Warnungen, die Epidemie ernst zu nehmen

(Foto: AP)

Die Regierung bauscht die Ebola-Gefahr auf, um Hilfsgelder zu kassieren. Oder: Die Fremden in ihren Schutzanzügen entführen Menschen, um ihnen Organe zu entnehmen. Anstatt ihren Politikern bei der Bekämpfung der Epidemie zu vertrauen, glauben viele Westafrikaner fatalen Gerüchten.

Von Tobias Zick, Dakar

Von dieser Dachterrasse aus wurde schon die Absetzung eines Präsidenten organisiert, nun also soll von hier aus eine Seuche in die Knie gezwungen werden. Eine Zeltplane schützt vor der westafrikanischen Nachmittagssonne, vorne haben drei junge Männer hinter einem weiß gedeckten Tischchen Platz genommen und beginnen nun ihre Ansprache an die gut fünf Dutzend versammelten Mitstreiter und Journalisten. "Ebola rückt immer weiter vor", sagt Aliou Sane, 32, "und wir werden nicht abwarten und zuschauen, wie das Virus beginnt, uns zu töten."

Aliou Sane ist einer der Gründer von "Y'en a marre" (zu Deutsch: "Es reicht"); jener jungen politischen Bewegung des Senegal, die 2011 bei vielen westlichen Beobachtern Phantasien von einem Überspringen des arabischen Frühlings nach Subsahara-Afrika geweckt hatte.

Es war die Zeit, als in der Hauptstadt Dakar immer öfter der Strom ausfiel und wütende Jugendliche daraufhin auf die Straßen zogen. Sie steckten Reifen in Brand und schrien ihre Wut auf die Mächtigen heraus, für deren Abgehobenheit die Stromausfälle nur das jüngste Symptom waren. Und dann verkündete Präsident Abdoulaye Wade auch noch, dass er - mit dem Segen des obersten Gerichts - ein drittes Mal kandidieren werde, obwohl die Verfassung maximal zwei Amtszeiten vorschreibt.

Erst für den Machtwechsel, jetzt gegen Ebola

Eine Gruppe von Rappern und Journalisten gründete "Y'en a marre", um die Wut der Jugend in friedliche, konstruktive Protestformen zu bündeln; ihre Mitglieder zogen quer durchs Land, von Tür zu Tür, und bewegten mehr als 300 000 junge Senegalesen dazu, sich für die anstehende Wahl zu registrieren.

Wade verlor die Wahl und übergab die Macht an seinen Nachfolger Macky Sall. Bis heute gilt dieser Machtwechsel als Beleg für den Ruf des Senegal, eine der lebendigsten Demokratien Afrikas zu sein, mit einer ungewöhnlich wachen Zivilgesellschaft. "Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht: Der Kampf gegen Ebola ist eine logische Fortsetzung unserer Arbeit", sagt Aliou Sane.

Die Nachrichten zum Thema Ebola werden schließlich von Tag zu Tag immer dramatischer: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) räumte vergangene Woche ein, dass die Epidemie in ihrem Ausmaß bislang offenbar unterschätzt worden sei; es gebe starke Hinweise darauf, dass die wahre Zahl der Kranken und Toten weitaus höher sei als die der offiziell erfassten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen erklärte, die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft seien "in gefährlichem Maße unzureichend"; in Liberia und Sierra Leone seien viele Krankenhäuser und Arztpraxen inzwischen geschlossen, weil Patienten wie Personal fürchteten, sich dort mit Ebola zu infizieren.

Die Regierung von Kenia, im fernen Ostafrika, hat verkündet, die Grenzen des Landes für Reisende aus Guinea, Sierra Leone und Liberia zu schließen, die Fluggesellschaft Kenya Airways wird von Dienstag an ihre Flüge aus den drei Ländern streichen. In Nigeria, wo bislang elf Ebola-Fälle registriert wurden, sind inzwischen mehrere Ärzte und Pfleger aus Angst vor Ansteckung von ihren Arbeitsplätzen geflohen.

Fehlendes Vertrauen, fatale Folgen

Dass sich das Virus in den betroffenen Ländern so ungehemmt ausbreiten konnte, wirft im Wesentlichen ein Schlaglicht auf die politischen Missstände dort: schwache Staaten, unterfinanzierte Gesundheitssysteme, fehlendes Vertrauen der Menschen in Behördenvertreter aus der fernen Hauptstadt.

In Liberia etwa kursiert neuerdings das Gerücht, die Regierenden bauschten die Ebola-Gefahr auf, um sich dadurch mehr Hilfsgelder aus dem Westen zu sichern. In manchen Dörfern glauben die Menschen, die Fremden in ihren Schutzanzügen entführten ihre Angehörigen, um ihnen Organe zu entnehmen und diese zu verkaufen. In der Hauptstadt Monrovia drangen Berichten zufolge am Wochenende Bewaffnete in eine Ebola-Isolierstation ein und verwüsteten die Einrichtung; alle 17 Patienten flohen, und nun fürchten die Behörden, sie könnten weitere Menschen anstecken.

Liberia Battles Spreading Ebola Epidemic

In Liberias Hauptstadt Monrovia dringen am Wochenende Bewaffnete und Angehörige in eine Ebola-Isolierstation ein, um die Patienten zu "befreien".

(Foto: Getty Images)

Senegal, das im Südosten an Guinea grenzt, ist bislang von der Seuche verschont geblieben - und damit das so bleibt, setzen die Aktivisten von "Y'en a marre" nun da an, wo der Staat zu spät zu kommen droht: "Das Gesundheitsministerium tut schon etwas", sagt Aliou Sane, "aber es ist bei Weitem nicht genug".

Lebenswichtige Grundregeln kommunizieren

Verwenden wollen er und seine Mitstreiter jene Strukturen, die sie auch nutzten, um die Abwahl von Wade zu organisieren: soziale Netzwerke, SMS, Mundpropaganda. So werden sie jetzt, in einfachen Worten, die Grundregeln verbreiten, die zur Eindämmung der Seuche unerlässlich sind: regelmäßig die Hände waschen, keine Toten anfassen, Fleisch vor dem Verzehr gut garen.

"Wir kommen mit unseren Informationen auch dorthin, wo der Staat nicht hinkommt", sagt Aliou Sane - zudem hat die Organisation seit der Abwahl Wades überall im Land Büros eröffnet, wo lokale Aktivisten den Politikern auf die Finger schauen. Neben der Vernetzung bis in entlegene Dörfer kommt "Y'en a marre" auch ihr Vorsprung an Glaubwürdigkeit im Vergleich mit den Behörden zugute.

Am Ende der Veranstaltung gibt es dann noch eine stille Minute, in der jeder eingeladen ist, für den Schutz des Landes vor dem Virus zu beten ("jeder nach seinem eigenen Glauben"), und dann erheben sich alle und singen die senegalesische Nationalhymne. Wer den Regierenden demonstrieren will, was ein guter Staatsbürger ist, der muss schließlich auch zeigen, wie sehr ihm dieser Staat am Herzen liegt.

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