Ebola-Bilanz:Schlechtes Zeugnis für die WHO

Ebola-Bilanz: In den Außenbezirken von Liberias Hauptstadt Monrovia versprüht ein Helfer ein Desinfektionsmittel, um weitere Ebola-Ansteckungen zu vermeiden.

In den Außenbezirken von Liberias Hauptstadt Monrovia versprüht ein Helfer ein Desinfektionsmittel, um weitere Ebola-Ansteckungen zu vermeiden.

(Foto: Abbas Dulleh/AP)

Ein unabhängiges Komitee urteilt hart über die Weltgesundheitsorganisation. Einer der neuralgischen Punkte: Die Organisation habe keine Kultur, die eine offene und kritische Auseinandersetzung ermögliche.

Von Kai Kupferschmidt

Falls die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Menschheit in Zukunft vor gefährlichen Seuchen wie Ebola schützen will, muss sich vieles ändern - vor allem die WHO selbst. So lautet das Fazit einer unabhängigen Kommission, die den Einsatz der Behörde während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika begutachtet hat. Die WHO benötige mehr Geld, mehr Macht und größere Unterstützung der Mitgliedsländer. Zudem müssten sich die Strukturen innerhalb der Behörde ändern. "Die Welt kann es sich schlicht nicht leisten, bis zur nächsten Gesundheitskrise wieder nichts zu tun", resümieren die Experten.

Die WHO ist ein Organ der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Es wurde 1948 gegründet, um "allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen". Die Organisation ist seither oft für ihre Einsätze kritisiert worden, aber selten so massiv wie für ihre Reaktion auf den Ebolaausbruch in Westafrika. Das Ebolavirus war bereits im Dezember 2013 in Guinea aufgetaucht und hatte sich zunächst unbemerkt verbreitet. Als die Epidemie im März 2014 offensichtlich wurde und die Situation im Mai schließlich außer Kontrolle zu geraten drohte, forderte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die Genfer Behörde zum Handeln auf. Die WHO rief jedoch erst im August 2014 den internationalen Gesundheitsnotstand aus - viel zu spät und selbst dann noch halbherzig, klagten Kritiker.

Es geht um einen alten Konflikt: Ist Gesundheit eine nationale oder internationale Angelegenheit?

Die Kritik riss auch nicht ab, als die Ebola-Epidemie allmählich eingedämmt wurde. Die WHO berief deshalb vor knapp vier Monaten ein sechsköpfiges Komitee unabhängiger Experten. Es sollte Fehler und Versäumnisse einkreisen, benennen und Veränderungen vorschlagen. Die Mitglieder des Komitees, geführt von der ehemaligen Oxfam-Leiterin Barbara Stocking, haben sich seither mit zahlreichen internationalen Hilfsorganisationen getroffen, mit Experten gesprochen und die betroffenen Länder bereist.

Im 29-seitigen Abschlussbericht listen sie nun 21 Empfehlungen auf. "Ich denke, das ist ein wichtiger, ehrlicher Bericht", sagt Preben Aavitsland, ein norwegischer Epidemiologe und WHO-Kenner. Tatsächlich spart auch der Bericht nicht mit Kritik. Die WHO habe viel zu spät auf den Ausbruch reagiert, bestätigen die Autoren. Die Organisation habe keine Kultur, die eine offene und kritische Auseinandersetzung ermögliche. Frühe Warnungen über den Ernst der Lage seien von Führungspersonen entweder nicht gehört oder ignoriert worden. Die WHO habe die Konfrontation mit den betroffenen Ländern gescheut und Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen gehabt. Auch die Koordination sei zu spät übernommen, die Bevölkerung der betroffenen Länder (insbesondere Frauen) nicht genügend eingebunden worden. Außerdem habe die WHO in der Kommunikation mit den Medien versagt. Das habe Panik und Ängste geschürt.

Soll die WHO auch Strafen erlassen dürfen?

Trotzdem kommt der Bericht zu dem Schluss, dass die WHO noch am ehesten in der Position sei, auf internationale Gesundheitskrisen zu reagieren. Es seien aber drastische Änderungen nötig. So schlagen die Autoren unter anderem vor, innerhalb der WHO ein neues Zentrum für internationale Gesundheitskrisen zu schaffen. Es soll Seuchenbekämpfung und humanitäre Hilfe verbinden. Außerdem benötigt die WHO nach Auffassung der Gutachter mehr Geld. Die Beiträge der Mitgliedsstaaten müssten um fünf Prozent steigen, fordern die Autoren.

Ihr Bericht befasst sich außerdem intensiv mit den internationalen Gesundheitsvorschriften, einem Regelwerk, das 2005 zuletzt geändert wurde. Es legt fest, wie WHO und Mitgliedsstaaten auf Seuchen reagieren sollten, zum Beispiel, wann Länder die WHO über Krankheitsausbrüche informieren müssen und welche Beschränkungen von Handel und Reisen dann sinnvoll sind.

Eigentlich sind die Vorschriften völkerrechtlich bindend, doch sie werden immer wieder missachtet. So hätten bei dem Ebolaausbruch mehr als 40 WHO-Mitgliedsstaaten ohne Zustimmung der WHO eigenmächtige Reisebeschränkungen erlassen. Ein klarer Verstoß gegen die Vorschriften, der es Hilfsorganisationen erschwerte, Ärzte und Medikamente in betroffene Länder zu bringen. Darum brauche die WHO mehr Macht. Sie muss gegebenenfalls auch Strafen verhängen können, angesichts solcher Regelverstöße, schreiben die Autoren.

Im Kern geht es um einen alten Konflikt: Gesundheit wird als nationale Aufgabe gesehen, obwohl sie durch die Globalisierung international geworden ist: Ungeimpfte Kinder in Deutschland exportieren die Masern nach Amerika, ein Virus, das sich auf den Märkten Chinas entwickelt, kann rasch die ganze Welt erfassen. Moskitos, die einen gefährlichen Erreger tragen, reisen mit einer Ladung Schnittblumen binnen Tagen auf einen neuen Kontinent.

Um darauf angemessen reagieren zu können, müssten Staaten einen Teil ihrer Souveränität aufgeben, sagt Preben Aavitsland, der an der Ausarbeitung der Vorschriften 2005 beteiligt war. "Das steht da auch eigentlich drin", sagt er. "Es ist nur bisher nicht ernst genommen worden." Tatsächlich hatte eine Kommission schon 2011 gefordert, das Regelwerk besser durchzusetzen. Eine verpasste Chance, schreiben die Autoren des neuen Berichts. Hätte man sie genutzt, "wäre die Weltgemeinschaft in einer viel besseren Position gewesen, um dem Ebolaausbruch zu begegnen."

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