Demente Patienten:Gefährliche Unwissenheit in der Kinik

Zehn Prozent der Patienten in Krankenhäusern sind dement. Und dieser Anteil wird noch deutlich steigen. Die Krankenhäuser sind darauf jedoch nicht ausgerichtet. Dort muss man noch lernen, demente Patienten zu betreuen.

Charlotte Frank

Manchmal genügt schon ein fehlender Löffel Kaffeeweißer, um die Welt aus den Fugen zu bringen. Kaffeeweißer, der sich in der Tasse ausbreitet, jeden Morgen, wie schon seit Jahrzehnten. Mit Milch konnte es für Annemie Schmidt kein Morgen sein. Aber das wussten die Pfleger im Krankenhaus ja nicht, als die verwirrte alte Dame mit einem gebrochenen Arm eingeliefert wurde. So brachten sie die Welt der Frau aus den Fugen. Als sie die Klinik verließ, war sie verwirrter als zuvor.

Alltagsbegleiterin kuemmert sich um Demenzkranke und deren Gefuehle

Zehn Prozent der Klinikpatienten sind dement. Dieser Anteil wird noch steigen. Und die Krankenhäuser sind darauf nicht vorbereitet.

(Foto: dapd)

Annemie Schmidts Fall beschreibt ein wachsendes Problem der Kliniken: Schon jetzt sind zehn Prozent ihrer Patienten dement. Dieser Anteil wird noch steigen - angesichts der Prognosen, dass die Zahl der Dementen von heute 1,1 Millionen auf 1,7 Millionen im Jahr 2030 zunehmen wird. Doch "die Krankenhäuser sind darauf nicht ausgerichtet", sagt Christiane Kugler, Professorin für Pflegewissenschaft an der Universität Witten-Herdecke. Dazu hat sie mit ihren Studenten eine qualitative Umfrage durchgeführt.

Erkranken demente Patienten an Lungenentzündung und werden im Heim versorgt, endet die Krankheit zu 17 Prozent tödlich. Wird die Pneumonie im Krankenhaus behandelt, beträgt die Sterberate 37 Prozent. Christiane Kugler und ihre Studenten fragten sich angesichts dieser Zahlen aus dem Jahr 2010, ob das einfach nur deshalb so ist, weil die schwerer erkrankten Menschen häufiger ins Krankenhaus kommen und dort auch häufiger sterben - oder ob nicht doch auch die Versorgung im Krankenhaus dafür verantwortlich sein könnte.

Sie führten Interviews mit Pflegenden verschiedener Stationen. Die nannten am häufigsten drei Probleme: den erhöhten Betreuungsaufwand, räumliche Nöte sowie hohe Informationsverluste bei der Aufnahme der Patienten.

"Ich wollte heute einem das Gesicht waschen, dann hab ich gleich einen Kinnhaken gekriegt", heißt es in einem Interview, und in einem anderen: "Oft kommt man an seine ethischen Grenzen, wenn es heißt: Ja, dann muss er halt fixiert werden und kriegt eine Magensonde."

Die Gespräche zeugen von einem Krankenhausalltag, in dem kein Raum ist für Demente, die weglaufen, aggressiv werden, einfachste Anweisungen nicht verstehen. Wer soll sie betreuen? Wer will das Zimmer teilen mit Menschen, die sich nicht merken, dass ihr Bett am Fenster steht, welche Tablettendose ihnen gehört und dass man um vier Uhr nachts nicht laut singen darf? Und was tun mit Patienten, die nicht sagen können, dass sie Kaffeeweißer brauchen, um zu wissen, dass der Tag beginnt?

Christiane Kugler sammelt nicht nur Probleme, sie sammelt auch Lösungen. "Oft helfen schon einfache Bezugspunkte", sagt die Professorin, etwa ein vertrautes Foto an der Wand oder die eigene Bettwäsche. Auch empfiehlt sie, Ergo- und Physiotherapeuten stärker in die Betreuung einzubeziehen.

Und so, wie es Babys hilft, wenn Mütter mit ihnen in der Klinik bleiben dürfen, so hilft es auch alten Menschen, wenn Angehörige bei ihnen im Zimmer übernachten können. Viele Antworten hat die Forschung allerdings noch nicht, deshalb startet in Witten-Herdecke im Sommer ein einzigartiger Studiengang: Berufstätige, ob Juristen, Architekten oder Ärzte, können neben ihrem Job den Master "Versorgung von Menschen mit Demenz" machen. Langsam tut sich etwas. Für die Kliniken ist bislang nur eines klar: Die Behandlung von Dementen wird mehr Geld kosten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: