Debatte um gerechte Verteilung von Organen:Eurotransplant gegen Organspenden an Ausländer

Wie viele der knappen Spenderorgane sollten an Menschen aus dem Ausland gehen dürfen? Keines, empfiehlt die Organverteilungsstelle Eurotransplant jetzt - und bringt damit die deutschen Transplantationszentren in Bedrängnis.

Christina Berndt

Die Frau aus Nigeria war sterbenskrank. Irgendetwas in ihrem Bauch stimmte nicht. Doch die Ärzte in ihrer Heimat konnten ihr nicht mehr helfen. Nur eine Hoffnung hatte die Nigerianerin noch: Ihr Bruder lebte in Deutschland, hier könnte man sie wahrscheinlich behandeln. So kam die junge Frau im vergangenen Jahr ans Münchner Universitätsklinikum rechts der Isar. Die Patientin brauche eine neue Leber, befanden die Ärzte - und setzten sie als hochdringlichen Fall auf die Warteliste für eine Lebertransplantation.

So menschlich die Entscheidung der Ärzte auch war: Spenderorgane sind knapp. Rund 2000 Lebern, Herzen und Nieren werden pro Jahr in Deutschland verpflanzt. Es warten jedoch erheblich mehr Menschen auf die oft rettende Organtransplantation. Allein 12 000 stehen auf den Wartelisten, noch viel mehr würden gerne darauf stehen.

Jedes Mal wenn Ärzte an deutschen Kliniken einen Patienten aus dem Ausland vor sich haben, müssen sie sich somit fragen: Ist es gerechtfertigt, diese Person auf die Warteliste zu setzen - wo doch nicht einmal alle in Deutschland lebenden Menschen ausreichend mit Organen versorgt werden können? Heizt man auf diese Art nicht sogar den Transplantationstourismus an: dass Kranke aus aller Welt gezielt nach Deutschland kommen, um sich - womöglich in einem besonders lukrativen Behandlungsvertrag mit dem deutschen Krankenhaus - mit einem Spenderorgan zu versorgen?

Die Fragen sind derzeit drängender als je zuvor - nicht nur, weil die Zahl der gespendeten Organe in den vergangenen Monaten in Deutschland infolge des Transplantationsskandals noch kleiner geworden ist, als sie es ohnehin schon immer war. Jüngst hat die internationale Organ-Vermittlungsstelle Eurotransplant, in der neben Deutschland weitere sieben europäische Länder zu einem Verbund zusammengeschlossen sind, eine folgenschwere Entscheidung gefällt: Sie hat eine seit Ende der 1990er-Jahre gültige Regelung gekippt, derzufolge nicht mehr als fünf Prozent der Spenderorgane an Patienten gehen sollen, die nicht im Eurotransplant-Gebiet wohnen.

Weil es in Deutschland keine rechtliche Regelung gibt, steht es den deutschen Zentren damit völlig frei, wie viele Menschen aus anderen Ländern sie versorgen. Wenn in Berlin ein schwerkranker Scheich aus Katar ein neues Herz bekommt, spricht das gegen kein Gesetz.

Es könne nicht Aufgabe von Eurotransplant sein, die schwierigen Fragen um die Organ-Verteilung an Ausländer zu beantworten, sagt Eurotransplant-Präsident Bruno Meiser, der zugleich Leiter des Transplantationszentrums am Münchner Universitätsklinikum Großhadern ist. Eurotransplant sei eine Stiftung, sie habe keinerlei gesetzgeberische Kraft. Deshalb habe Eurotransplant die Fünf-Prozent-Regel fallen gelassen. "Die Politik soll sich dieser Problematik annehmen", sagt Meiser.

Juristen halten Ausländerquote für unhaltbar

Längst schon hatten Juristen die Ausländerquote in Frage gestellt. Sie sei juristisch nicht haltbar, folgerte zum Beispiel die Hallenser Strafrechtlerin Dunja Lautenschläger 2008 in ihrer Dissertation über den "Status ausländischer Personen im deutschen Transplantationssystem": Schon allein die Zahl fünf sei blanke Willkür: Warum sollten es nicht vier oder auch 30 Prozent sein?

Eurotransplant-Präsident Meiser betont, dass hinter der Diskussion um den Ausländeranteil keinesfalls Fremdenfeindlichkeit stecke. Wenn bei Transplantationen von Ausländern gesprochen wird, geht es nicht um die Staatsangehörigkeit, sondern um den Wohnort. Alle Menschen aus dem Eurotransplant-Gebiet, das neben den Benelux-Ländern, Österreich, Ungarn, Kroatien, Slowenien und Deutschland umfasst, haben unbeschränkten Zugang zur Warteliste. "Das ist eine Frage der Solidarität", sagt Meiser: "Immerhin handelt es sich bei Spenderorganen um ein knappes Gut." Die Stiftung befürchtet, dass die Spendebereitschaft sinkt, wenn die Organe nicht im Land bleiben. Eurotransplant empfiehlt deshalb eine Null-Prozent-Schranke. Bindend ist das allerdings nicht.

In Belgien gilt schon seit Jahren: Kein Organ, das im eigenen Land benötigt wird, geht an Menschen ohne permanenten belgischen Wohnsitz. Das hat der König per Dekret verfügt. Ausnahmen gibt es: Wenn etwa ein Tourist in Brüssel mit akutem Leberversagen zusammenbricht, weil er vielleicht giftige Pilze gegessen hat, dann können Ärzte ihm durchaus ein Spenderorgan transplantieren. Aber für solche Fälle müssen Ausnahmegenehmigungen eingeholt werden.

Mehr als überfällig sei auch eine striktere Regelung in Deutschland, meinen viele belgische Chirurgen. Und solange es kein Gesetz gebe, sollten sich die deutschen Zentren wenigstens selbst beschränken. Immerhin gehört Deutschland im Eurotransplant-Verbund zu den Nehmerländern. Hiesige Patienten bekommen Organe aus dem spendablen Belgien, die dort nicht gebraucht werden.

"Es war für mich immer schwer zu verstehen, dass ausgerechnet in Deutschland, wo der Organmangel so eklatant ist, Organe an Ausländer vergeben werden", sagte Dirk Ysebaert vom Universitätszentrum in Edegem. Und sein Kollege Xavier Rogiers aus Gent sagt: "Organtransplantation ist immer unfair, weil wir nicht genügend Organe haben, um allen Menschen in der Welt zu helfen. Das ist schrecklich. Aber deshalb müssen wir Entscheidungen treffen."

Wird der Medizintourismus zunehmen?

Die Entscheidung, ob eine Person auf die Warteliste darf, ist gemeinhin eine über Leben und Tod. Und zugleich stirbt für jedes Herz, das ein Mensch aus dem Ausland erhält, mit ziemlicher Gewissheit jemand, der in Deutschland ein Organ braucht.

So ruft in der Frage nach der Ausländerquote sogar die Ständige Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer, die sonst die ärztliche Selbstverwaltung hoch hält, nach dem Staat: "Hier muss die Politik entscheiden", sagt der Vorsitzende Hans Lilie. "Es geht schließlich um Grundsatzfragen." Er habe die Fragestellung an das Bundesgesundheitsministerium weitergegeben. Auch der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG), Björn Nashan, sagt: "Ich würde mir eine rechtliche Absicherung wünschen. Glücklich mit dem Status quo ist keiner von uns Chirurgen".

Das Bundesgesundheitsministerium kann derzeit keine Pläne präsentieren. Doch selbst wenn die Politik nun eine bindende Ausländerquote festlegt: Es ist gut möglich, dass diese nach EU-Recht gar keinen Bestand hätte. "Ein Niederländer kann in Europa keinen anderen Status haben als ein Grieche", gibt der Strafrechtler Lilie zu bedenken. Auch die Benachteiligung von Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland hält vor dem Europäischen Gerichtshof womöglich nicht stand. Schon 2011 hatte sich eine Israelin erfolgreich auf die Warteliste geklagt, nachdem ihr das Universitätsklinikum Essen die Aufnahme verweigert hatte.

Die DTG empfiehlt den deutschen Zentren derzeit, sich weiter an die Fünf-Prozent-Marge zu halten. Aber werden sie das tun? Operationen von Ausländern können für die Kliniken attraktiv sein, weil sie die Behandlungskosten privat mit den Patienten abrechnen können. Damit die Zentren nicht über die Stränge schlagen, wird Eurotransplant die Zahl der transplantierten Ausländer pro Klinik publizieren. So sei Kontrolle möglich, sagt Bruno Meiser.

Böse Zungen hingegen sagen, dass wohlhabende Ausländer mit Hilfe dieser Liste besonders leicht jene Zentren herausfinden können, wo es sich anzufragen lohnt.

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