Covid-19:"Ich bekomme nur einen Mund-Nasen-Schutz pro Tag"

Coronavirus: Medizinisches Personal in der Notaufnahme des Uniklinikums Essen

Ärzte und Pflegepersonal in der zentralen Notaufnahme des Uniklinikums in Essen - der Arbeitsplatz birgt ein hohes Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

Personal in Kliniken und Pflegeheimen infiziert sich besonders häufig mit dem Coronavirus. Noch immer fehlen vielerorts Schutzausrüstung und Tests.

Von Christina Berndt und Christina Kunkel

Es ist zuletzt ruhig geworden um das Risiko für Ärzte und Pfleger. Doch auch wenn derzeit vor allem über Corona-Fälle in der Fleischindustrie und bei Paketdiensten debattiert wird und die Zahl der Neuinfektionen seit einigen Tagen stabil unter 1000 pro Tag liegt: Für Mitarbeiter in Krankenhäusern, Altenheimen oder Pflegediensten ist die Lage längst nicht entspannt. Jeden Tag steckten sich seit Mitte April im Durchschnitt mehr als 230 Ärzte und Pfleger mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 an. An manchen Tagen stellen Mitarbeiter aus dem Gesundheitsbereich mehr als jeden fünften gemeldeten Corona-Fall. Offenbar gelingt es nach wie vor nicht, diejenigen zu schützen, die sich für die Gesundheit von Alten, Kranken und Pflegebedürftigen einsetzen.

Seit Mitte April erst weist das Robert-Koch-Institut (RKI) die Fälle bei medizinischem Personal in seinen täglichen Lageberichten detailliert aus - und fügt hinzu, dass es sich dabei nur um "Mindestangaben" handele.

"Solange wir nicht wissen, ob ein Patient infiziert ist, tun wir so, als wäre er es nicht", sagt ein Arzt

Mehr als 20 000 Mitarbeiter aus Krankenhäusern, Arztpraxen, Rettungsdiensten oder Pflegeheimen haben sich laut RKI bislang mit dem Coronavirus angesteckt, sie stellen damit also rund elf Prozent aller Infizierten. 894 Menschen aus dem Gesundheitssektor mussten stationär behandelt werden, mindestens 60 sind bereits an Covid-19 gestorben.

Dabei entstand in der Öffentlichkeit zuletzt der Eindruck, in den medizinischen Einrichtungen sei alles unter Kontrolle. Man sah keine Bilder mehr von Politikern, die an Flughäfen Gesichtsmasken in Empfang nehmen, gefühlt produziert fast jede Firma mittlerweile auch Mund-Nasen-Schutz. Doch in den Krankenhäusern kommen weiterhin nicht genügend Materialien an. In einer Umfrage der Ärztevertretung Marburger Bund gaben vor wenigen Tagen noch 38 Prozent der Befragten an, ihnen mangele es an Schutzausrüstung. Atemschutzmasken mit feinen Partikelfiltern (FFP2 und FFP3) fehlen demnach ebenso wie Kittel, Schutzbrillen, Visiere, Handschuhe und sogar einfache OP-Masken. Ähnliche Erfahrungen teilt der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe: "Nach wie vor wird aus vielen Einrichtungen berichtet, dass FFP2- und FFP3-Masken knapp sind", sagt dessen Sprecherin Johanna Knüppel.

Angesichts dieser Situation sorgen sich viele Ärzte um ihre Gesundheit. "Ich bekomme nur einen Mund-Nasen-Schutz pro Tag", erzählte ein Anästhesist eines Universitätsklinikums, der anonym bleiben möchte, der SZ. Das gleiche gelte für die FFP2-Maske, die benötigt wird, um Patienten auf der Intensivstation oder für eine Narkose zu beatmen. Denn das Legen des Beatmungsschlauches gilt als besonderes Infektionsrisiko, da die Coronaviren im Rachenraum in großer Zahl anzutreffen sind. "Ich bin angehalten, diese eine Maske den ganzen Tag zu tragen", sagt der Anästhesist, "wohl fühle ich mich nicht dabei." Ein Wechsel der Maske ist an seinem Klinikum nur vorgesehen, wenn der Arzt einen nachweislich mit Sars-CoV-2 infizierten Patienten behandelt hat. "Solange wir nicht wissen, ob der Patient infiziert ist, tun wir so, als wäre er es nicht."

Schuld an den vielen Infektionen in Kliniken und Heimen ist allerdings nicht nur das fehlende Material. "Das Virus hat sich in einigen Einrichtungen auch deshalb verbreiten können, weil sie baulich Bereiche nicht gut voneinander trennen konnten", sagt Johanna Knüppel. Zudem ermögliche es die Personaldecke oft nicht, infizierte und nichtinfizierte Bereiche auch personell strikt zu trennen. "Es müssen ja immer drei Schichten abgedeckt werden."

Nicht alle mit Sars-CoV-2 infizierten Klinikmitarbeiter haben sich aber zwingend während der Arbeit angesteckt, wie Oliver Keppler vom Max-von-Pettenkofer-Institut der Universität München festgestellt hat. Er hat Übertragungsketten im Krankenhaus untersucht, indem er die genetische Verwandtschaft der Viren analysierte. Diese deute darauf hin, dass sich viele Krankenhausmitarbeiter zumindest noch im März im privaten Umfeld infiziert und sich danach eher untereinander als an Covid-19-Patienten in der Klinik angesteckt haben. "Im Verlauf der letzten Wochen sind diese Übertragungen zum Glück drastisch zurückgegangen", so Keppler. Er fordert weiterführende Studien, um die Übertragungswege im Gesundheitssektor zu beleuchten und eventuelle Risikokonstellationen zu identifizieren. "Dann können wir gegebenenfalls die Präventionsmaßnahmen nochmals verbessern", sagt der Virologe.

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Gewiss ist, dass die Situation in den Kliniken und Heimen bis heute nicht umfassend bekannt ist. Das legen Daten aus dem thüringischen Landkreis Greiz nahe, der jüngst zum Corona-Hotspot erklärt wurde. Der Grund für die vielen Neuinfektionen laut Landrätin Martina Schweinsburg: Massentests in medizinischen Einrichtungen, bei denen sehr viele Corona-Fälle ans Licht kamen. Bundeseinheitliche Teststrategien für Risikogruppen gibt es dagegen aktuell nicht. Das RKI hat nach eigenen Angaben keine Daten, in welchem Umfang in Kliniken und Heimen getestet wird.

Der Marburger Bund fordert daher, die Infizierten in den Gesundheitseinrichtungen durch umfangreiche Tests systematisch zu erfassen - am besten differenziert nach Berufsgruppe. "Wir müssen sehr viel häufiger testen, damit wir infizierte Beschäftigte und Patienten gleichermaßen schützen können", sagt Susanne Johna, die Vorsitzende. Schließlich gilt wohl nirgends mehr als im Umgang mit Patienten und Pflegebedürftigen: Wer infiziert ist, sollte nicht mehr zur Arbeit kommen.

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