Bericht der Drogenbeauftragten:Im Bann des Internets

Lesezeit: 3 min

Eigentlich könnte sich die Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans über ihren Jahresbericht freuen: Die Zahl der Herointoten ist auf einem historischen Tiefststand, die Zahl jugendlicher Raucher geht konstant zurück. Sorgen bereiten der FDP-Politikerin aber Glücksspielautomaten und die Verlockungen des Internets.

Joachim Käppner

Kampf den Daddelgeräten: Die Bundesdrogenbeauftragte Mechthild Dyckmans (FDP) sorgt sich, dass immer mehr Jugendliche die Glücksspielautomaten in Gaststätten nutzen. Dies dürfe nicht so bleiben, sagte Dyckmans am Dienstag bei der Vorstellung des jährlichen Drogen- und Suchtberichts in Berlin. Nach einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung spielte 2011 fast ein Viertel der 16- und 17-Jährigen bei einem Glücksspiel mit, darunter Automatenspiele und Sofortlotterien. 2009 waren es noch 15 Prozent der Jugendlichen in dieser Altersgruppe.

Dyckmans will sich für eine "drastische Reduzierung" der Glücksspielautomaten in Lokalen stark machen. Derzeit sind pro Lokal drei dieser Geräte erlaubt. Die Drogenbeauftragte verwies dabei auf die vom Bundeswirtschaftsministerium geplante Novellierung der Glücksspielverordnung.

Anders als in früheren Jahren standen nicht die harten Drogen im Mittelpunkt des Berichts, sondern eher Suchtgefahren des Alltages: Alkohol, Rauchen, Internet. Insgesamt nimmt der Konsum von Alkohol und Zigaretten ebenso wie von Hasch laut dem Bericht vor allem bei Jugendlichen ab. Inzwischen hätten mehr als 70 Prozent aller Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren noch nie geraucht, was Dyckmans für einen Erfolg der umfangreichen Maßnahmen zur Aufklärung und Suchtprävention hält.

Bei den harten Drogen wie Heroin sind die Zahlen weiter rückläufig, was einen Trend bestärkt: Solcher Stoff gilt anders als früher als "uncool" und als "Loser-Droge", assoziiert mit schäbigem Bahnhofsmilieu, Prostitution und Beschaffungskriminalität. Die Zahl der Drogentoten war 2011 auf 986 gesunken, den niedrigsten Stand seit vielen Jahren, das sind 20 Prozent weniger als 2010 (1237 Tote). Vor zehn Jahren, 2002, hatte es noch 1513 Todesopfer gegeben, deutlich mehr als heute.

279 der Drogentoten 2011 starben am "goldenen Schuss", einer Überdosis Heroin. 85 Prozent der Opfer sind männlich, der Altersdurchschnitt stieg wie zuletzt schon weiter an und liegt jetzt bei 37 Jahren - ein Anzeichen, dass wenig junge Menschen in die harte Szene einsteigen. Nur 19 Tote waren jünger als 21 Jahre alt, vor zehn Jahren lag deren Zahl weit höher, nämlich bei 89. Die Generation der "Kinder vom Bahnhof Zoo" ist in die Jahre gekommen, auf Jugendliche wirkt die Szene eher abschreckend.

Weniger Tote dank besserer Begleitung

Aus Sicht von Experten gibt es für den Rückgang der Herointoten noch einen weiteren Grund, nämlich die verbesserte soziale Begleitung. "Die meisten Herointoten sind ja weniger an der Droge selbst gestorben", sagt Rüdiger Holecek, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), "sondern an Verunreinigung des Heroins, schmutzigen Spritzen, ihren desolaten Lebensumständen." Fixerräume, Methadonprogramme und kontrollierte Freigabe hätten die Situation stark verbessert, was einmal mehr zeige, dass Drogenkonsum und -kriminalität nicht allein mit staatlicher Repression bekämpft werden könnten.

"Großen Kummer" bereite der Polizei indessen der Anstieg von experimentellen Drogen und Designerdrogen, die oft psychische Folgeschäden nach sich ziehen, welche den Konsumenten überhaupt nicht klar seien. Eine Freigabe weicher Drogen wie Cannabis lehnt die GdP weiterhin kategorisch ab.

Droge Internet?

Stärker als zuvor widmet sich der Bericht der Abhängigkeit vom Internet. Demnach gelten in der Gruppe der 14- bis 64-Jährigen etwa 560.000 Menschen als "internetabhängig" und noch viel mehr, nämlich ungefähr 2,5 Millionen, als "problematische Internetnutzer". Die meisten aus dieser Problemgruppe sind sehr jung: Unter den 14- bis 24-Jährigen zeigten "etwa 250.000 Anzeichen einer Abhängigkeit und 1,4 Millionen ein problematisches Nutzungsverhalten". Wörtlich sprach Dyckmans von einem "exzessiven oder pathologischen Computerspiel- und Internetgebrauch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen", der ständig zunehme.

Unter Fachleuten ist umstritten, ob der Begriff der Sucht im Zusammenhang mit Computernutzern in vielen Fällen wirklich angebracht ist. Im Drogenbericht heißt es, es sei noch nicht "abschließend geklärt, wann von Abhängigkeit zu sprechen ist". Gabriele Bartsch von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Hamm erklärte am Dienstag, es sei keine anerkannte Krankheit, wenn ein Mensch nicht vom Computer loskomme: "Es gibt keinen Diagnoseschlüssel dafür." Der Drogenbericht selbst räumt ein, dass es sich bislang nur "um Schätzwerte" handelt, allerdings fördert das Gesundheitsministerium seit 2010 die repräsentative Studie "Prävalenz der Internetabhängigkeit" (PINTA I) der Universitäten Greifswald und Lübeck.

© SZ vom 23.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: