Aspirin zur Prävention:Wie viel Aspirin darf's sein?

Serie Deutsche Einheit - Bayer in Bitterfeld

Beliebtes Universal-Medikament mit unterschätzen Nebenwirkungen: Aspirin.

(Foto: Peter Endig/dpa)

Aspirin wird zur Vorbeugung gegen allerhand Leiden empfohlen. Wer von der täglichen Pille profitieren könnte und wer eher Nebenwirkungen riskiert.

Von Werner Bartens

Es wurde nicht wirklich ins Trinkwasser gemischt, wenngleich der Vorschlag ernst gemeint war. Und auch den Haushaltstipp gab es tatsächlich, dass Schnittblumen mit Aspirin länger frisch bleiben. Der Verkaufsschlager aus dem Hause Bayer hat sogar geschafft, was nur wenigen Markennamen vergönnt ist: Obwohl es etwa 500 Arzneimittel gibt, in denen Acetylsalicylsäure (ASS) enthalten ist, steht Aspirin - vergleichbar mit Tempo für Papiertaschentücher und Tesa für transparente Klebestreifen - gleichbedeutend für alle ASS-haltigen Schmerzkiller. Im Englischen gibt es eine Redewendung, die sowohl auf die Vielseitigkeit des Medikaments als auch auf das Mantra britischer Ärzte anspielt, wenn Patienten Beschwerden haben: "Take two Aspirin - and call me tomorrow."

Das wohl bekannteste Medikament der Welt gilt als universelle Arznei gegen allerlei Gebrechen. Vor Infarkt, Schlaganfall und Darmkrebs soll es schützen, gegen Kater und Kopfschmerz hilft es sowieso, sogar bei der künstlichen Befruchtung wurde es eine Weile empfohlen, auch wenn sich der Nutzen nicht bestätigt hat. Doch wer Aspirin aufgrund seiner weltweiten Popularität und des mit fast 120 Jahren fortgeschrittenen Alters für ähnlich harmlos wie eine Handvoll Drops hält, irrt sich. Während der Nutzen nach Infarkt und Schlaganfall zur Verhinderung eines zweiten als gesichert gilt, diskutieren Ärzte und Forscher derzeit, welcher Nutzen es rechtfertigt, dass gesunde Patienten vorbeugend täglich zur Aspirin-Tablette greifen - und wann und bei wem der mögliche Schaden überwiegen könnte.

Die US Preventive Services Task Force (USPSTF), ein Zusammenschluss unabhängiger Ärzte und Experten zu Themen der Vorsorge und der Gesundheit, hat jüngst einen Entwurf mit Empfehlungen zur vorbeugenden Aspirin-Einnahme vorgelegt. Immerhin schlucken allein in den USA fast 40 Prozent aller Erwachsenen jenseits der 50 regelmäßig Aspirin. Das dürften zu viele sein, denn gemäß den jüngsten Auswertungen beschränkt sich die Zeitspanne, in der das Mittel uneingeschränkt zur Verhinderung von Infarkt und anderen Herz-Kreislauf-Leiden zu empfehlen ist, auf das Alter zwischen 50 und 59 Jahren (British Medical Journal, Bd. 351, S. h4991).

Und auch dieser Rat gilt nur für Erwachsene mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Zuvor hatten Vorbeuge-Experten gefährdeten Männern zwischen 45 und 79 geraten, täglich Aspirin zu schlucken, um das Risiko für einen Infarkt zu verringern. Anfälligen Frauen wurde zwischen 55 und 79 Jahren die Arznei empfohlen, weil damit die Wahrscheinlichkeit für einen Schlaganfall sinken würde.

Doch was als Wirkung des Medikamentenklassikers erwünscht ist, ruft eben auch immer wieder unerwünschte Nebenwirkungen bis hin zu tödlichen Zwischenfällen hervor: ASS verflüssigt das Blut, weil es die Gerinnungsneigung der Blutplättchen hemmt. Dadurch erhöht sich das Risiko für Blutungen, die besonders im Verdauungstrakt und im Gehirn häufiger auftreten, wenn Patienten täglich Aspirin schlucken. "Weil Aspirin so oft geschluckt wird, muss man auch an seltene Nebenwirkungen denken", warnten die Harvard-Mediziner Andrew Chan und Nancy Cook schon vor Jahren im Fachblatt The Lancet.

Die Vorsorge-Task-Force in den USA hat ihre aktuellen Empfehlungen, die auf einer intensiven Analyse der Studienlage beruhen, denn auch sorgsam abgestuft. Mit einem B bewerten sie ihren Rat an die 50- bis 59-Jährigen, täglich niedrig dosiert Aspirin zu schlucken, wenn ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Leiden erhöht ist. B bedeutet, dass die Experten sichere Belege dafür haben, dass ein moderater Nutzen gegeben ist und dieser den Schaden überwiegt. A würde heißen, dass der gesicherte Nutzen erheblich ist.

Der verirrte Jungmanager muss die Pillen nicht täglich schlucken

In der Altersgruppe zwischen 60 und 69 Jahren bekommt die tägliche Vorbeugung mit Aspirin hingegen nur das Etikett C. Einigermaßen sicher kann demnach für einen Teil der Patienten ein geringer Nutzen angenommen werden, weswegen die Entscheidung individuell getroffen und gemeinsam mit dem Arzt erfolgen sollte. Da Blutungen im Magen und in den Arterien des Gehirns in diesem Alter jedoch häufiger auftreten und durch Aspirin ausgelöst werden können, fällt die Nutzen-Schaden-Bilanz nicht so eindeutig aus.

Für die Gewohnheit mancher verirrter Manager, schon in jungen Jahren täglich Aspirin zu nehmen, gibt es keine wissenschaftlich gesicherte Grundlage, sodass keine Empfehlung ausgesprochen werden kann. Das führt zu der Bewertung I wie insuffizient, was die tägliche Aspirin-Prophylaxe für unter 50-Jährige angeht. Auch für Menschen jenseits der 70 gilt diese Einschätzung. Dass der Nutzen den Schaden überwiegt, ist in dieser Altersgruppe ebenfalls nicht gewährleistet.

Was die "niedrig dosierte" tägliche Einnahme von Aspirin tatsächlich bedeutet, darüber sind sich Experten weitgehend einig. Zwar gibt es Studien mit 75 und 100 Milligramm Aspirin täglich, wie auch mit 250 und 325 Milligramm. "Eine Dosis von 75 Milligramm am Tag scheint aber genauso wirksam zu sein wie die höheren Dosierungen", so Michael McCarthy, Arzt und langjähriger Mitherausgeber des Fachmagazins The Lancet. "Aber wahrscheinlich steigt mit der Dosis auch das Risiko für Blutungen an."

In den vergangenen Jahren ist immer wieder beschrieben worden, dass Aspirin auch das Tumorwachstum beeinträchtigt und damit vor Krebs schützt, besonders im Dick- und Enddarm. Allerdings sind die vagen Hinweise auf ein vermindertes Risiko für bösartige Neubildungen nur dann beobachtet worden, wenn die Tabletten mindestens fünf bis zehn Jahre lang täglich genommen wurden. Weil die Risiken einer Blutung aber nicht zu vernachlässigen sind, empfiehlt weder die amerikanische Krebsgesellschaft noch eine andere medizinische Organisation Aspirin vorbeugend gegen Tumore. "Die beschriebene Wirkung war ein Zufallsbefund aus Studien, in denen es eigentlich um Herz-Kreislauf-Leiden ging", sagt Pharmakologe Bernd Mühlbauer vom Vorstand der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. "Der unabhängige Nachweis, dass Aspirin vor Krebs schützt, steht aus."

Was eine niedrige Dosis bedeutet, darüber gibt es von Land zu Land unterschiedliche Meinungen

Die Vorsorgeärzte aus den USA zeigen, was die prognostizierten Vor- und Nachteile konkret bedeuten. Wenn 1000 Männer zwischen 50 und 59 Jahren täglich Aspirin nehmen, werden 23 Herzinfarkte, acht Schlaganfälle durch Mangeldurchblutung und 13 Fälle an Dickdarmkrebs verhindert. Diesem Nutzen stehen 28 schwere Blutungen im Magen-Darm-Trakt und drei Schlaganfälle durch Hirnblutungen als Schaden gegenüber. In dieser Altersgruppe überwiegt damit zwar der Nutzen, aber ab 60 nehmen die Blutungen zu und die Zahl der verhinderten Infarkte wird weniger.

Bis zum 12. Oktober können die neuen US-Empfehlungen noch durch Anregungen und Hinweise verändert und ergänzt werden. Dass das Thema in den USA so intensiv diskutiert wird, liegt auch daran, dass Aspirin in Nordamerika an jeder Ladentheke zu haben ist und wie Bonbons konsumiert wird. "Zudem sehen Amerikaner 375 Milligramm als normal an, wenn sie von einer niedrigen Dosis reden", sagt Pharmakologe Mühlbauer vom Klinikum Bremen-Mitte. "Da ist mehr Zurückhaltung angemessen. Aber bei 75 oder 100 Milligramm überwiegen die positiven Effekte."

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