Anschlag in Berlin:Wie den Helfern geholfen wird

MËÜglicher Anschlag mit Lastwagen auf Berliner Weihnachtsmarkt

Für die ersten Helfer am Einsatzort ist die Situation am schwersten.

(Foto: dpa)

Bei einem Anschlag wie in Berlin werden auch Rettungskräfte von der "Wucht des Geschehens" getroffen, sagt ein Berliner Seelsorger. Über die Gefahren für die Psyche der Helfer.

Von Berit Uhlmann

Wie geht man damit um, wenn plötzlich Tod und Verletzung, Angst und Verzweiflung in die Vorweihnachtsstimmung hineinplatzen? Die Frage stellt sich auch für jene, die nach der Tragödie auf dem Berliner Weihnachtsmarkt halfen und helfen: Feuerwehrleute, Polizisten und medizinisches Personal am Krisenort.

"Die Helfer funktionieren während der Zeit ihres Einsatzes", sagt Justus Münster, evangelischer Beauftragter für die Notfallseelsorge in Berlin. Sie haben genug Widerstandsfähigkeit - Fachleute sprechen von Resilienz -, um ihrer Arbeit auch unter schweren Bedingungen nachgehen zu können. Doch am Ende eines solchen Tages reagieren häufig auch sie "normal auf eine solche unnormale Situation", so der Seelsorger: "Sie sind von der Wucht des Geschehens getroffen." Viele werden von Emotionen überwältigt, manche Helfer sacken regelrecht in sich zusammen.

Niemand schüttelt ein solch traumatisches Erlebnis folgenlos ab. Die typischen Reaktionen reichen vom kurzfristig gestörten Schlaf bis zur länger währenden psychischen Erkrankung. Studien deuten darauf hin, dass das Risiko eines seelischen Leidens am größten für die Überlebenden eines Anschlags ist - am zweitgrößten ist es für die Rettungskräfte.

Etwa fünf Prozent von ihnen erkranken im Laufe ihres Berufslebens an einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einem ähnlichen Leiden, schätzt Andreas Müller-Cyran, Leiter der Notfallseelsorge in der Erzdiözese München und Freising. Wie hoch das Risiko nach einem extremen Ereignis wie dem Anschlag in Berlin ist, lässt sich nicht pauschal beziffern. Müller-Cyran weiß von Rettungskräften, die nach dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum erkrankten. Zu dieser Entwicklung dürfte beigetragen haben, dass die Helfer in den ersten Minuten selbst in Gefahr gerieten oder eine Gefahr zumindest sehr wahrscheinlich erschien.

Dies könnte auch erklären, was Müller-Cyran bei seinen Einsätzen immer wieder erlebt: Die ersten Helfer, die am Ort einer Katastrophe eintreffen, sind in der Regel am stärksten belastet. Sie treffen auf das blanke Chaos, auf völlig ungeordnete Situationen, deren Gefahrenpotenzial sie nicht gleich einschätzen können.

Es gibt kein Gesetz, das den Einsatz der Seelsorger regelt

Diese Männer und Frauen sind es in erster Linie, denen die Seelsorger beistehen. In Berlin suchten Kriseninterventionsteams wie das von Justus Münster die Einsatzkräfte noch am Abend des Anschlags auf. Sie hörten zu, informierten sie über weitere Hilfsangebote und klärten manchmal auch praktische Fragen: Wie kann der aufgewühlte Helfer Schlaf finden? Können Angehörige bei ihm sein?

"Die Versorgung der Einsatzkräfte funktioniert inzwischen gut", sagt Müller-Cyran. An vielen Orten wurden Rettungskräfte für diese Art der seelischen Ersthilfe ausgebildet, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass sich etwa ein Feuerwehrmann am ehesten bei einem anderen Feuerwehrmann Beistand holt. In der Regel ist auch dafür gesorgt, dass Rettungskräfte längerfristige psychosoziale Unterstützung bekommen. In diesem Bereich habe sich in den vergangenen Jahren viel getan, sagen beide Seelsorger.

Weniger gut ist die Unterstützung für all jene Menschen, die völlig unverhofft von einer Katastrophe heimgesucht werden. Niemand hat einen Anspruch auf seelischen Beistand im Katastrophenfall. "In keinem Bundesland gibt es ein Gesetz, das den Einsatz der Kriseninterventionsteams vorschreibt", kritisiert der Münchner Notfallseelsorger. Die Teams arbeiten freiwillig. In manchen Regionen werden Notfallseelsorger nicht automatisch informiert, es ist dann Glück, wenn sie rechtzeitig vom Unterstützungsbedarf erfahren.

Das bedeutet auch, dass den Seelsorgern die Arbeit erschwert wird, wie zuletzt das Zugunglück von Bad Aibling zeigte. Es gab keinen offiziellen Einsatzleiter für die Seelsorger, die Kriseninterventionsteams mussten improvisieren - und das in einem Job, der besonders viel Ruhe und Besonnenheit verlangt. Mitunter ging der Überblick verloren: Fahrgäste aus den Unglückszügen gingen nach Hause, ohne mit einem Notfallseelsorger gesprochen zu haben.

Müller-Cyran fordert: "Das gerade jetzt wieder geäußerte Mitgefühl für die Opfer und Angehörigen könnte sich auch darin zeigen, diese schon seit langem geforderten gesetzlichen Regeln auf den Weg zu bringen."

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