Allergen-Kennzeichnung:"Allergiker leiden unter der Ignoranz der Umwelt"

Kein Essen mehr ohne Warnung: Die neue Allergen-Kennzeichnung verdrießt viele Wirte und gesunde Gäste. Doch was ist mit den Betroffenen? Können sie sich auf die Auskünfte verlassen? Fachärztin Franziska Ruëff über die Leiden von Allergikern.

Berit Uhlmann

Franziska Ruëff ist Oberärztin an der Klinik für Dermatologie und Allergologie der LMU München.

SZ: Frau Professor Ruëff, seit Dezember müssen auch Restaurants, Kantinen, Bäcker und andere Anbieter loser Waren ihre Lebensmittel für Allergiker kennzeichnen. Ist die Neuregelung aus Ihrer Sicht eine Hilfe für die Betroffenen?

Franziska Ruëff: Prinzipiell ist die Regelung eine Verbesserung für Allergiker. Man muss allerdings beachten, dass nicht alle potenziell bedeutsamen Allergene erfasst werden; zum Beispiel werden Mohn und Früchte nicht ausgewiesen. Da es sich um eine EU-Verordnung handelt, werden andererseits auch Allergene aufgeführt, die in Deutschland kaum eine Rolle spielen, beispielsweise Lupine. Auch Senf wird ausgewiesen, dabei löst er hierzulande nur selten Allergien aus.

Manche Betroffene und Kritiker bemängeln ohnehin, dass zu viel und zu unkonkret gewarnt wird ...

Bei verpackter Ware, die schon seit Jahren Hinweise für Allergiker tragen muss, beobachten wir, dass manche Hersteller vorsorglich alle möglichen Allergene auf die Verpackung drucken. Sie wollen sich damit gegen Haftungsansprüche absichern. Da steht dann etwa "Kann Spuren von Nüssen enthalten" auf dem Etikett, obwohl noch nie eine Nuss durch das Werktor gelangt ist.

Woran können sich Betroffene dann orientieren?

Für Betroffene oder ihre Eltern ist eine individuelle Beratung bei einem Ernährungsmediziner oder in einer Anaphylaxie-Schulung ratsam. Abhängig von der Stärke der allergischen Reaktion werden Strategien im Umgang mit bestimmten Lebensmitteln erarbeitet. Es ist auch möglich, beim Hersteller nachzufragen, welche Zutaten tatsächlich enthalten sind.

Wie zuverlässig sind die Informationen, die Betroffene auf diese Weise erhalten können?

Letzte Sicherheit gibt es nicht, denn Hersteller können die Rezeptur ändern, ohne dies deutlich sichtbar zu machen. Ich erinnere mich an einen sehr tragischen Fall: Eine junge Allergikerin kaufte jahrelang immer die gleichen Kekse, von denen sie wusste, dass sie für sie ungefährlich waren. Dann ersetzte der Hersteller die Mandeln durch preiswertere Erdnüsse, ohne dies deutlich anzukündigen. Das Mädchen starb.

Was bedeutet es für Nicht-Allergiker, wenn sie permanent mit Warnungen konfrontiert sind? Es bilden sich ja jetzt schon viele Menschen fälschlicherweise ein, an Allergien zu leiden.

Es stimmt, dass Allergien eine "schicke" Erkrankung sind. Viele Menschen verwechseln sie mit Unverträglichkeiten oder ordnen Beschwerden - etwa eine Gastroenteritis - fälschlicherweise einer Nahrungsmittelallergie zu. Ich glaube allerdings nicht, dass durch die Nahrungsmittel-Kennzeichnung solche falschen Zuordnungen zunehmen. Und es gibt auch die andere Seite: Menschen mit schweren Allergien, die unter der Ignoranz der Umwelt leiden.

Inwiefern?

Ich kenne Patienten, die im Restaurant einen Salat ohne Sellerie bestellten und trotzdem Sellerie auf ihrem Teller fanden. Sie ließen den Salat zurückgehen. Kurze Zeit später brachte man ihnen denselben Teller zurück; der Sellerie war nur notdürftig und unvollständig aus dem Salat gefischt. Die Patienten bezahlen für diese Ignoranz mit schweren allergischen Reaktionen.

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