Zulassung von Medikamenten:Wissenslücken bei neuen Arzneien

Wie kann es passieren, dass Medikamente wie Lipobay oder Vioxx erst Jahre nach ihrer Markeinführung schwere Nebenwirkungen offenbaren? Deutsche Ärzte zeigen: Wenn Arzneien zugelassen werden, ist erstaunlich wenig über Nutzen und Risiken bekannt.

Werner Bartens

Die Menschen werden immer älter und das liegt daran, dass die Medizin ständig Fortschritte macht. Immer bessere Medikamente und Therapiemöglichkeiten ermöglichen zumindest vielen Menschen in den wohlhabenden Ländern ein gesundes und langes Leben. Und wenn sie nicht gestorben sind . . . Hier endet die Märchenstunde. Es stimmt zwar, dass permanent neue Arzneimittel auf den Markt kommen. Einen Nutzen haben die Patienten davon aber längst nicht immer. Häufig sind neue Pharmaka nur teurer, unsicherer und führen zu mehr Nebenwirkungen als die seit Jahren bewährten Präparate.

Eine Analyse von Mitarbeitern der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, die am heutigen Freitag im Deutschen Ärzteblatt erscheint, zeigt wie wenig über Medikamente bekannt ist, wenn sie zugelassen werden (Bd. 109, S. 117, 2012).

Das Team um Ursula Gundert-Remy hat untersucht, welche Daten zur Markteinführung vorliegen. Vorteile gegenüber der bisherigen Therapie, bessere Verträglichkeit oder ein anderweitiger Zusatznutzen wurden kaum belegt. Nur in 28 Prozent der Fälle wurde überhaupt geprüft, ob das neue Mittel der bisherigen Standardbehandlung überlegen war. In mehr als der Hälfte der Fälle wurde die Wirkung hingegen nur mit einem Scheinmedikament verglichen.

Seltene Nebenwirkungen fallen nicht auf

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die neuen Mittel den bereits auf dem Markt befindlichen Alternativen unterlegen sind", so Gundert-Remy. "Das Zulassungsverfahren erfordert ja nicht, dass direkte Vergleichsdaten zu einem Arzneimittel vorliegen." Das wäre allerdings sinnvoll, denn über die potenziell schädlichen Wirkungen der neuen Mittel wissen Ärzte wie Pharmakologen naturgemäß weniger als über die Risiken altbekannter Substanzen. Erfahrungen mit durchschnittlich nur 1700 Probanden standen zur Verfügung, als die neuen Medikamente eingeführt wurden. Das ist zwar eine Menge, reicht aber bei weitem nicht aus, um schwerwiegende Probleme zuverlässig zu erkennen und die Menschen vor Gefahren durch neue Pharmaka zu schützen.

Eine massive Nebenwirkung, die nur bei jedem tausendsten Patienten auftritt, fällt bei 1700 Probanden statistisch nicht mal auf. Nehmen hingegen eine Million Patienten das Mittel, sind Tausend Menschen davon betroffen. Aus diesem Grund betrafen nahezu alle Arzneimittelskandale Medikamente wie Lipobay oder Vioxx, die teils schon jahrelang im Markt eingeführt waren. Die Autoren um Gundert-Remy fordern "formale Vorschriften und gesetzliche Regelungen, um die zum Zulassungszeitpunkt verfügbare Datenbasis zu verbessern". Dann könnte endlich gelten, dass nur die Medikamente teuer sein dürfen, deren Zusatznutzen tatsächlich nachgewiesen worden ist.

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