Patienten in Großbritannien:Zurückhaltung bis ins Grab

Falsche Rücksichtnahme: Briten wollen ihren Ärzten nicht zur Last fallen. Das ist offenbar ein Grund dafür, dass sie sich zu spät untersuchen lassen - und viele Krebspatienten schon im Jahr nach der Diagnose sterben.

Von Katrin Blawat

Stammen die Bauchschmerzen nur von einem verdorbenem Magen oder steckt vielleicht doch etwas Ernsteres dahinter? Lohnt es sich, den Arzt zu fragen - und dafür in Kauf zu nehmen, ihn womöglich unnötigerweise zu belästigen, wenn sich die Beschwerden als harmlos herausstellen?

Solche Fragen beschäftigen britische Patienten offenbar besonders stark. Schweden hingegen machen sich darüber kaum Gedanken. So hat es zumindest eine Umfrage unter gut 19.000 Teilnehmern in einem Alter von 50 Jahren oder mehr in Großbritannien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Australien und Kanada ergeben (British Journal of Cancer, im Druck).

Dabei äußerten mehr als ein Drittel der befragten Briten die Sorge, dass sie dem Arzt seine Zeit stehlen würden. Grund für diese Bedenken könnte das traditionell britische Gebot sein, "Haltung zu bewahren", vermuten die Autoren um Lindsay Forbes vom King's College London. In Schweden hingegen hatten nur neun Prozent der Teilnehmer Sorge, einen Arzt unnötigerweise zu belästigen, und auch in den vier anderen Ländern maßen die Befragten diesem Gedanken nur relativ wenig Bedeutung bei.

Die britische Zurückgenommenheit sehen die Autoren allerdings mit einiger Sorge. Sie könnte einer der Gründe sein, warum die Ein-Jahres-Überlebensraten für Lungen-, Brust-, Darm- und Eierstockkrebs in Großbritannien niedriger sind als in Australien, Kanada, Schweden und Norwegen.

Der Umfrage zufolge haben viele Briten so große Angst, dem Arzt zur Last zu fallen, dass sie sich selbst bei ernsten Anzeichen wie starkem Gewichtsverlust, anhaltenden Schmerzen oder Blutungen nicht rühren. Dabei war der großen Mehrheit der Befragten in allen Ländern klar, dass diese Symptome vor allem in höherem Alter auf eine Krebserkrankung hinweisen können und man sie daher einem Arzt berichten sollte.

Davor aber schrecken Briten auch noch aus einem weiteren Grund eher zurück. 15 Prozent der Teilnehmer in Großbritannien gaben an, einem Arzt deshalb nichts von ihren Beschwerden zu erzählen, weil sie Angst vor einer niederschmetternden Diagnose hätten. In Dänemark hingegen sagten nur sechs Prozent der Studienteilnehmer, dies würde sie von einem Arztbesuch abhalten.

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