Mammografie-Programm:Vorsicht, Fehlalarm

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Seit 2005 sollen sich Frauen ab 50 Jahren regelmäßig einer Mammografie unterziehen. Wissenschaftler haben jetzt die erste umfassende Auswertung des deutschen Screening-Programms vorgelegt. Seine Qualität genügt internationalen Standards. Aber: Die Frauen werden zu wenig über Chancen und Risiken der Krebs-Vorsorge informiert.

Christina Berndt

Noch gibt es gegen Brustkrebs keine Impfung. Das einzige, was man neben einem gesunden Lebenswandel gegen diesen Krebs tun kann, ist, ein wachsames Auge zu haben. Wer den Krebs früh erkennt, der kann den Tod - womöglich - hinausschieben oder sogar verhindern. Genau das ist das Ziel jeder Vorsorgeuntersuchung: die eigene Wachsamkeit mit ärztlicher oder technischer Hilfe zu unterstützen.

Gegen den Tod durch Brustkrebs hat der Deutsche Bundestag im Juni 2002 sogar ein ausgedehntes Mammografie-Screening-Programm beschlossen, das drei Jahre später begann. Alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren sollen demnach alle zwei Jahre zu einer Röntgenaufnahme der Brust eingeladen werden.

Aber leistet das Programm auch, was es leisten soll? Das werden die Statistiker erst ermitteln können, wenn das Programm mindestens zehn Jahre lang gelaufen ist. Gleichwohl legen Wissenschaftler schon jetzt die erste umfassende Auswertung des deutschen Mammografie-Screening-Programms vor ( Deutsches Ärzteblatt, Bd. 109, S. 781, 2012). Demnach scheint die Qualität des deutschen Programms internationalen Standards zu genügen - mit allen Vorteilen und Nachteilen.

So erzählen Frauen immer wieder, dass bei ihnen Brustkrebs entdeckt wurde, obwohl sie gerade erst bei der Mammografie waren. Aber wie häufig kommt so etwas eigentlich vor? Und hat hier wirklich die Methode versagt? Diesen Fragen ist eine Arbeitsgruppe um Oliver Heidinger vom Epidemiologischen Krebsregister in Nordrhein-Westfalen sowie Hans-Werner Hense vom Institut für Epidemiologie der Universität Münster nachgegangen. Denn die Häufigkeit solcher im zeitlichen Intervall zwischen zwei Mammografien entdeckten Tumore, der sogenannten Intervallkarzinome, ist ein Kriterium zur Qualitätsbewertung des Programms.

Die Wissenschaftler haben dazu die Daten aller 878.764 Frauen, die zwischen 2005 und 2008 am Mammografie-Screening in Nordrhein-Westfalen teilgenommen haben, mit dem dortigen Krebsregisters abgeglichen. Bei 7176 von ihnen wurde im Rahmen des Screenings Brustkrebs diagnostiziert; bei 2036 weiteren aber trat in den zwei Jahren nach der Untersuchung plötzlich ein Brustkrebs auf, obwohl sie das Screening ohne Anzeichen für einen Tumor hinter sich gebracht hatten.

"Etwa zwei von tausend Frauen, die glaubten, keinen Brustkrebs zu haben, wurden also ernüchtert und mit einer belastenden Diagnose konfrontiert", kommentieren dies Maria Blettner vom Institut für Medizinische Biometrie an der Universitätsklinik Mainz und Sylke Ruth Zeissig vom Krebsregister Rheinland-Pfalz im Deutschen Ärzteblatt. Die Zahl der Intervallkarzinome ist damit in etwa so hoch wie in anderen europäischen Ländern auch.

Wichtig für die Einschätzung der Qualität aber ist, wie viele dieser Intervallkarzinome schlicht übersehen worden sind. Die Frage lässt sich nicht so einfach beantworten, betonen Blettner und Zeissig. Allerdings gibt es einen Hinweis, dass viele dieser Tumore bei der Untersuchung wohl tatsächlich nicht zu entdecken waren: Fast die Hälfte der Intervallkarzinome war von einem aggressiveren Typ. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass sie schnell gewachsen sind und "tatsächlich nur im Intervall zwischen zwei Screening-Untersuchungen diagnostiziert werden" konnten, so Blettner und Zeissig.

Auch andere Daten weisen darauf hin, dass das Programm die Qualitätsansprüche erfüllt. In 10.000 Untersuchungen wurden im Durchschnitt 81 Brustkrebserkrankungen entdeckt - das ist weit mehr, als dies in anderen europäischen Ländern bei den ersten Screenings der Fall war. Und von allen Brustkrebserkrankungen, die während der Zeit des Screenings binnen zwei Jahren auftraten, hat die Mammografie 78 Prozent ans Licht gebracht; das liegt über dem europäischen Durchschnitt von 72 Prozent. "Es bleibt aber dabei: Ein nicht unerheblicher Anteil wird durch die Mammografie nicht diagnostiziert", sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg.

Weitere wichtige Qualitätsmerkmale konnte die aktuelle Untersuchung zudem nicht überprüfen. So ging sie nicht der Frage nach, wie häufig Krebs erst durch die Strahlenbelastung bei der Mammografie entsteht. Auch fragte die Studie nicht nach der psychischen Belastung, wenn infolge eines auffälligen Befunds weitere Untersuchungen notwendig wurden, oder nach der Zahl der Falschdiagnosen, die zu einer unnötigen Krebstherapie führten.

Für Frauen, die noch nicht wissen, ob sie am Screening teilnehmen wollen, bleibt deshalb nur der Vergleich mit dem Ausland. Einer neueren Analyse der Cochrane Collaboration zufolge wird die Sterblichkeit an Brustkrebs durch ein Mammografie-Screening um höchstens 15 Prozent gesenkt.

Wenn also 2000 Frauen zehn Jahre lang am Screening teilnehmen, verdankt eine von ihnen der Untersuchung, dass sie länger leben wird. Zugleich aber werden zehn gesunde Frauen unnötigerweise therapiert, obwohl ihnen der durch das Screening entdeckte Tumor nie geschadet hätte. "Nicht jeder Brustkrebs ist lebensgefährlich; und diese Frauen wären vermutlich an etwas anderem gestorben, bevor ihnen der Krebs Beschwerden bereitet hätte", so Mühlhauser.

Noch dazu wird jede fünfte Frau im Verlauf von zehn Jahren mindestens einmal mit dem Verdacht auf Brustkrebs konfrontiert, so die Cochrane-Analyse, bevor sich dieser dann Monate später wieder in Luft auflöst. Meist wird dann zur Abklärung eine weitere Röntgenuntersuchung nötig gewesen sein; mitunter wird auch noch eine Gewebeprobe entnommen. "Screening führt also zu mehr Brustkrebs und zu mehr Therapien, nicht zu weniger Therapien, wie so oft behauptet", betont Mühlhauser.

Eine aktuelle Auswertung des Independent UK Panel on Breast Cancer Screening kommt zwar zu einer etwas günstigeren Balance ( Lancet, 30. Oktober 2012): Demnach kann das Screening die Sterblichkeit durch Brustkrebs um 20 Prozent senken, und für jeden verhinderten Todesfall erhalten drei Frauen eine unnötige Krebstherapie.

Dennoch bleibt es wichtig, gut aufzuklären. Eben daran hapert es in den Augen von Ingrid Mühlhauser. "Das deutsche Screening-Programm hat seine Qualität bewiesen", sagt sie. Es sei aber bisher nicht gewährleistet, dass die eingeladenen Frauen am Ende eine informierte Entscheidung treffen können. Das angebotene Informationsmaterial sei für eine informierte Entscheidung nicht ausgewogen genug, so Mühlhauser: "Nach der Lektüre des Informationsmaterials muss es Frauen aber auch möglich sein, sich bewusst gegen die Teilnahme zu entscheiden."

© SZ vom 14.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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