Kampf gegen Aids:Optimismus: Ja. Heilung: Nein.

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Auf der Welt-Aids-Konferenz versprühen Forscher so viel Zuversicht wie selten. Sie verweisen auf Medikamente, Präventivprogramme und Einsicht in Teilen Afrikas. Erleben wir gerade den Anfang vom Ende der Immunschwächekrankheit?

Werner Bartens

Die Null muss stehen. Und die Null bedeutet in diesem Fall: null neue Infektionen weltweit mit HIV. Null Todesfälle weltweit, die auf Aids zurückgehen. Null Diskriminierung von Infizierten oder Erkrankten - nirgendwo. Große Worte und ehrgeizige Ziele, die als Banner die 19. Internationale Aids-Konferenz begleiten, die noch bis Ende dieser Woche in Washington DC stattfindet.

Aids in der Welt (Foto: SZ-Grafik: Eiden)

Das selbstbewusste Auftreten der Forscher und Politaktivisten in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten zeigt: Im Kampf gegen Aids ist die langjährige Skepsis der Zuversicht gewichen. Zumindest unter den Wissenschaftlern ist derzeit die Hoffnung groß, im Kampf gegen die Immunschwäche vor einem entscheidenden Wendepunkt zu stehen. In Washington versprühen Forscher so viel Optimismus wie selten.

Diane Havlir, eine der Vorsitzenden der Konferenz, ermutigt die Teilnehmer, "in großen Maßstäben zu denken und unsere Chancen zu nutzen". Und Anthony Fauci, Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten an den Nationalen Gesundheitsinstituten und damit oberster Aids-Bekämpfer der USA, prophezeit sogar eine "aidsfreie Generation", auch wenn er bisher offengelassen hat, wann er dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen gedenkt.

Nun gehört Klappern zwar zum Handwerk, und gerade unter amerikanischen Wissenschaftlern ist die Haltung verbreitet, die eigene Forschung in schillernden Farben zu schildern und durchblicken zu lassen, dass der therapeutische Durchbruch kurz bevorstehe. Doch die Fortschritte in der Behandlung und Prävention von Aids sind in der Tat beachtlich und haben dazu geführt, dass eine Infektion mit dem HI-Virus in den Industrienationen heute völlig anders gesehen wird als noch vor zehn oder gar 20 Jahren.

Zur Erinnerung: Zu Beginn der neunziger Jahre war eine Ansteckung mit Aids in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch unter Ärzten gleichbedeutend mit einem Todesurteil, das bald vollstreckt werden würde. Inzwischen hat sich Aids - zumindest in den wohlhabenden Ländern - zu einer chronischen Krankheit gewandelt. Mehr als 30 retrovirale Therapien stehen mittlerweile zur Verfügung, deren Entwicklung und differenzierte Kombination dazu geführt haben, dass "Langzeitüberlebende" keine Seltenheit mehr sind. Waren sie anfangs bestaunte Einzelfälle, gibt es jetzt immer mehr Patienten, die schon 20 Jahre und mehr mit der Infektion leben und weiterhin ihrem Beruf und anderen Alltagsbeschäftigungen nachgehen.

Weil die einstige "Lustseuche" einiges von ihrem Schrecken eingebüßt hat, lässt allerdings auch die Bereitschaft nach, sich zu schützen. Am Montag wurden auf der Konferenz in Washington Daten vorgestellt, die einen bedrohlichen Anstieg der Neuinfektionsrate unter schwarzen Homo- und Bisexuellen in den USA zeigten. Untersuchungen in sechs Metropolen hatten ergeben, dass es in dieser Risikogruppe 50 Prozent mehr Neuinfektionen unter schwarzen im Vergleich zu weißen Männern gibt; der Anteil der Neuinfizierten unter 30 Jahren ist sogar noch höher.

Mit gemischten Reaktionen wurde deshalb auch die Bekanntgabe der US-Medikamentenbehörde FDA in der vergangenen Woche aufgenommen, das seit 2004 bereits zur Therapie erhältliche Medikament Truvada nun auch zur Vorbeugung zuzulassen. Es ist das erste Medikament, das zur Prophylaxe einer HIV-Infektion auf den Markt gekommen ist. Trotzdem warnen Experten vor einer neuen Sorglosigkeit nach dem Motto: morgens die Pille gegen Aids, abends ungeschützter Sex.

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Seit mehr als 20 Jahren sind erstmals wieder Aids-Experten aus aller Welt in die USA gekommen. Sie treffen auf ein Land, das mit dem Virus kämpft - und längst nicht in jeder Hinsicht erfolgreich ist.

Mehrere Studien amerikanischer Wissenschaftler hatten gezeigt, dass Truvada, eine Kombination aus den Substanzen Tenofovir und Emtricitabin, nicht nur nach der Ansteckung hilfreich ist, sondern auch vor einer Infektion mit dem Erreger schützen kann. Bei 2500 Homosexuellen wurde damit das Risiko einer Ansteckung im Mittel um 42 Prozent gesenkt. Nahmen die Männer das Medikament regelmäßig, sank es sogar um 73 Prozent. Eine Untersuchung an 4800 Paaren in Kenia und Uganda, von denen einer der Partner HIV-positiv war, erbrachte einen Schutz von 75 Prozent. Eine vergleichbare Studie in Botswana führte mit 63 Prozent Schutz zu einem ähnlich günstigen Ergebnis.

Eine Aidswaise wird in Swasiland versorgt. Im südlichen Teil Afrikas leben 60 Prozent der HIV-Infizierten. Doch es gibt Hoffnung. (Foto: AFP)

Wir begrüßen die Zulassung zwar, doch die medikamentöse Vorbeugung allein bietet selbst bei rigoroser Anwendung keinen vollständigen Schutz, das muss allen klar sein", sagt Kevin Fenton, Direktor der für HIV zuständigen Abteilung der US-Seuchenschutzbehörde CDC. "Die Medikamenteneinnahme sollte deshalb unbedingt ergänzt werden durch Kondomgebrauch, Beratung und regelmäßige Aidstests."

Zwar wurden und werden in Washington etliche Studien vorgestellt, die auch für die Aids-Bekämpfung in Afrika Hoffnung machen. So war eine Aufklärungs- und Therapiekampagne in Uganda erfolgreich. Sie half, den Anteil der Infizierten, bei denen derzeit keine Viruslast mehr nachweisbar ist, innerhalb eines Jahres von 37 auf 55 Prozent zu erhöhen.

Trotzdem ist die Region südlich der Sahara immer noch am stärksten von Aids betroffen. Dort leben nach WHO-Angaben mindestens 60 Prozent der weltweit 34 Millionen Infizierten. Die Therapiebemühungen in diesen Ländern erreichen aber mittlerweile 6,2 Millionen Menschen, die das HI-Virus in sich bergen. Das sind noch immer viel zu wenige, trotzdem hat UNAIDS Anfang Juli verkündet, dass sich die Anzahl der Behandelten im letzten Jahrzehnt verhundertfacht hat.

Im südlichen Afrika wie auch im zweiten globalen Aids-Brennpunkt Osteuropa ist zudem die zusätzliche Infektion mit Tuberkulose die größte Gefahr und häufigste Todesursache. Auch gegen diese "neue" alte Seuche werden in Washington diverse neue Medikamente in der Testphase vorgestellt. Auf einen therapeutischen Durchbruch warten die Forscher hier aber ebenso wie auf die seit Jahren angekündigte Impfung gegen Aids.

Das HI-Virus bleibt tückisch, denn auf Dauer hat es sich noch allen Bemühungen um vollständige Ausrottung entzogen. Das HI-Virus kann nie ganz aus dem Körper verschwinden, sondern höchstens auf einem sehr niedrigen Wert - oft sogar unterhalb der Nachweisgrenze - gehalten werden. Weil es bei seiner Vervielfältigung so schlampig ist und sich immer wieder leicht verändert und an die aufgebotenen Pharmaka anpasst, greifen einst hilfreiche Medikamente irgendwann nicht mehr und müssen durch neue Arzneikombinationen ersetzt werden. Die Einnahme von mindestens drei Medikamenten gleichzeitig macht es dem Virus allerdings schwer, neue Schlupflöcher zu finden, weswegen sich die Überlebenszeit vieler Infizierter so drastisch erhöht hat.

Und die Lage in Deutschland? Dort wurden dem Robert-Koch-Institut für das Jahr 2011 insgesamt 2889 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet. Gegenüber dem Jahr 2010 war dies eine geringfügige Abnahme um 50 Fälle. Da Ansteckung und Test zeitlich jedoch weit auseinanderliegen können, erlauben diese Zahlen keinen Rückschluss auf den Zeitpunkt der Infektion.

© SZ vom 24.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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