Zu wenig Geld:Die Blamage

In München steht die "Werkbundsiedlung" vor dem Aus. Die Stadt muss endlich eine Lösung finden.

Gerhard Matzig

Das "informelle Pressegespräch", zu dem der Werkbund an diesem Freitag nach München einlädt, soll eigentlich nur dazu dienen, einige Bedenken, die in der Öffentlichkeit kursieren, zu zerstreuen. Etwa den jüngst erörterten Argwohn, wonach das ehrgeizige Wohnungsbauvorhaben "Werkbundsiedlung Wiesenfeld" nicht nachhaltig genug konzipiert sein könnte. Oder die Frage, ob die Kosten ausufern (SZ vom 10. April).

Das sind keine nebensächlichen Aspekte. Denn schon am 13. Juni, dem "Tag X", wie er im Werkbund mal mit Bangen, mal hoffnungsfroh genannt wird, soll sich der Stadtrat mit dem Vorhaben befassen, um danach möglichst rasch die noch ausstehende Baugenehmigung zu erteilen. Die Siedlung sollte ja schon in diesem Jahr, aus Anlass des 100. Geburtstages des 1907 in München gegründeten Werkbundes, im Westen Schwabings entstehen: auf dem Areal der ehemaligen Luitpoldkaserne.

Als Beitrag zur Konversion städtischer Brachen einerseits - und andererseits, weit bedeutsamer, als Fanal der urbanen Stadtgesellschaft in einer Ära weltweiter Verstädterung. Als räumliche Alternative also zu der schon aus demografischen und ökologischen Gründen zwangsläufig im Niedergang befindlichen Suburbia-Zonen. Der Zeitplan, längst aus den Fugen geraten, drängt in jeder Hinsicht. Aber nach einer internen Sitzung der beteiligten Baugesellschaften am vergangenen Mittwoch, muss man sich eine viel drängendere Frage stellen: Die Frage, ob die Werkbundsiedlung überhaupt je gebaut wird.

Was will die Stadt?

Das ist alles andere als gewiss. Von sechs verbliebenen Bauträgern (eine städtische Gesellschaft hatte sich schon im Dezember verabschiedet) votierten nun vier Wohnungsbaugesellschaften gegen die weitere Realisierung der Sakamoto-Pläne. Der renommierte japanische Architekt Kazunari Sakamoto hat 2006 den Wettbewerb um die Gestaltung der Werkbundsiedlung gewonnen: mit dem hierzulande ungewöhnlichen Konzept einer räumlich dichten, dabei aber höchst menschlich dimensionierten Konfiguration unterschiedlich hoher Punkthäuser.

Von diesen anregenden Plänen, die mannigfach nutzbare Wohnräume, belebte Erdgeschosszonen und individuell bespielbare Grünräume vorsehen, scheinen sich jetzt GWG (Gemeinnützige Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft), Bauhaus München, GEWOFAG (Gemeinnützige Wohnungsfürsorge) und GBWAG (Bayerische Wohnungs-Aktiengesellschaft) vor allem aus Kostengründen zu distanzieren. Nur Matthias Ottmann (Südhausbau) und Helmut Schiedermair (Concept Bau - Premier) - und somit zwei erfahrene und erfolgreiche Bauunternehmer - stehen weiterhin zu Sakamoto. Für diesen unternehmerischen Mut und das baukulturelle Engagement kann man ihnen nur danken.

Dessen ungeachtet lässt ein Beteiligter der besagten Mittwochsrunde wissen: "Die Werkbundsiedlung steht vor dem Aus." Ein anderer vermutet außer den finanziellen Gründen auch solche "politischer Natur". Mittlerweile muss man sich tatsächlich fragen, ob München den Aufbruch in die Zukunft der Stadtgesellschaft überhaupt gestalten will. Und dazu drängt sich die Frage auf: Hat die Stadt, ausweislich ihrer Baupolitik, die Tragweite des Werkbund-Projektes überhaupt je begriffen?

München ist dabei, sich unsterblich zu blamieren. Das ehrgeizigste deutsche Wohnbauprojekt der letzten Jahrzehnte könnte vor allem am Standort München scheitern. Es sei denn: Die Stadt besinnt sich auf ihre baukulturelle und gesellschaftliche Verantwortung. Das wäre indessen eine Überraschung.

Wer die dumpfe Banalitätenschau des schon lange innovationsfeindlichen Münchner Wohnungsbaus kennt, der weiß, dass sich nirgendwo sonst die Architektur so schwer tut, Raumkonzepte zu erproben. Zwischen ubiquitären, gnadenlos durchrationalisierten Bauten von der Stange und Luxus-Domizilen auf der anderen Seite, die emsig die Leitbilder des "New Urbanism" nachäffen, um einigen jüngst gut abgefundenen Managern "Lofts" anzudienen, gibt es wenig Alternativen an der Isar. Die städtische Baupolitik der letzten Jahre ist ein Desaster.

Noch jeder Wohnungsbau-Ehrgeiz wurde hier von Politik und Bauwirtschaft ins Unrühmliche übersetzt. München ist sich seiner Strahlkraft so sicher, dass es glaubt, das Hausen für Ärmere aus dem Katalog und das Residieren für Reichere nach Maßgabe ihrer Steuerberater bestreiten zu können. Alle anderen, die Wohnraum abseits der üblichen oder unbezahlbaren Wohnungszuschnitte suchen, wissen, dass man in München an dieser Aufgabe verzweifelt.

München ist eine selbstzufriedene Boom-Town, in der man noch jeden schäbigen Tiefgaragenstellplatz für einige zehntausend Euro verkaufen kann - weshalb hier die anderswo längst als Herausforderung erkannte "Renaissance der Stadt" konsequent verschlafen wird. Auf die Rückkehr der Familien und Senioren in zentrale Wohngegenden muss man in der Single-Hauptstadt, die sich dieser Zuschreibung nicht schämt, noch lange warten. Gerade deshalb wäre die Werkbundsiedlung eine enorme Chance. Es ist unbegreiflich, weshalb die Probleme, die mit einem herausfordernden Konzept nun mal einhergehen, nicht gemeinsam gelöst werden.

Man kann städtische Bauträger verstehen, die das Programm der 500 Wohneinheiten (das nur zu 50 Prozent frei finanziert, zur anderen Hälfte öffentlich gefördert ist) kritisch in Augenschein nehmen. Und es ist klar, dass das Sakamoto-Konzept nicht die denkbar billigste Lösung für Wohnraum ist. Aber es ist Irrsinn, mit rein ökonomischen Argumenten ein anregendes Projekt zu gefährden, das weit über betriebswirtschaftliche Aspekte hinausweist.

Auch die Werkbundsiedlung in Stuttgart, die Weißenhofsiedlung von 1927, in der sich von Corbusier bis Gropius die Architekturberühmtheiten der damaligen Zeit eine Konkurrenz der Ideen geliefert haben, ist eher gegen als im Sinn des Krämertums entstanden. München könnte sich auch daran erinnern, dass die Stadt in den siebziger Jahren mehrheitlich gegen das Olympiastadion von Behnisch war: ebenfalls "aus Kostengründen". Heute lebt man noch immer von der suggestiven Modernität des Olympiageländes - und lässt keine Postkarte aus, um darauf das einst beschimpfte Projekt zu vereinnahmen.

München muss endlich eine Lösung finden, um die Werkbundsiedlung zu realisieren. Dass gerade die Bauträger, die für den öffentlich geförderten Wohnungsbau der Werkbundsiedlung zuständig sind, aufgeben wollen, ist alarmierend. Letztlich bedeutet dies, dass Menschen, die sich nicht in neobiedermeierliche Naturstein-Trutzburgen (wie etwa die "Lenbachgärten") einkaufen können, kein Anrecht auf Gestaltung jenseits der trostlosen Wohnregale haben. Der Werkbundsiedlung, die insgesamt 100 Millionen Euro kostet, fehlen noch genau jene Millionen, die auch der unvorhersehbaren Baupreissteigerung der letzten Monate geschuldet sind. Daran darf München nicht scheitern.

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