Zahlungsverkehr:Karten gewinnen

Nur Bares ist Wahres: Das galt einmal. Kartenzahlung ist allerorts auf dem Vormarsch. Doch die Bargeldmenge hat zugenommen.

Harald Freiberger

Was ist besser, mit Karte zu zahlen oder in bar? Millionenfach stellt sich diese Frage täglich an Supermarktkassen. Die Antwort scheint simpel zu sein: Bar ist schneller. Man muss sich nur die genervten Blicke in der Warteschlange vorstellen, sobald der Kunde, der an der Reihe ist, seine EC-Karte zückt. Im selben Moment steht fest: Jetzt dauert alles noch länger, dabei haben alle schon zu lange gewartet.

Würde der Kunde bar bezahlen, wäre es damit getan, dass er der Kassiererin einen Schein reicht und sie ihm ein paar Münzen zurückgibt - eine Sache von vielleicht fünf Sekunden. Mit der Karte dauert es gerne auch mal länger: Der Kunde reicht der Kassiererin das Stück Plastik, sie steckt es in ein Lesegerät, das prüft bei der Bank nach, ob überhaupt genug Geld auf dem Konto ist.

Kartenzahlung auf dem Vormarsch

Der Kunde muss seine Geheimzahl eingeben oder auf einem kleinen Zettel unterschreiben. Endlich, endlich kommt das Okay. Und trotzdem: Kartenzahlung ist auf dem Vormarsch. Man hat das Gefühl, dass vor zehn Jahren in einer Kassenschlange von zehn Leuten höchstens ein einziger mit Karte zahlte, inzwischen sind es drei, vier oder fünf.

Und es ist nicht nur ein Gefühl, auch Statistiken belegen: Im Alltag der Deutschen verliert das Bargeld vielerorts an Bedeutung. Waren 1994 noch knapp 80 Prozent des Umsatzes im deutschen Einzelhandel bar abgewickelt worden, so lag der Anteil 2008 bei nur noch 61 Prozent.

Das belegen Zahlen des Einzelhandels-Forschungsinstituts EHI. Sie werden gestützt durch eine Statistik der Deutschen Bundesbank von 2008, in die rund 20.000 Zahlvorgänge einflossen. Demnach liegt der Anteil der Barzahlung am Umsatz heute nur noch bei 58 Prozent. Der Rest wird per EC-Karten (25 Prozent), Überweisungen (neun Prozent) und Kreditkarten (knapp vier Prozent) abgewickelt.

Kleinere Beträge zahlt der Kunde mit Barem

Übertragen auf den Supermarkt bedeutet dies: In einer Schlange zahlt rein statistisch beinahe jeder Dritte per Karte. Hat das Bargeld, mit dem die Menschen einst die primitive Tauschwirtschaft überwinden konnten (siehe Beitrag rechts), also bald ausgedient? Hat eine prall gefüllte Geldbörse, lange das Zeichen von Macht und Wohlstand, als Statussymbol ausgedient?

Nur noch 60 Jahre mit Bargeld?

Ganz so weit ist es noch nicht. Die Bundesbank-Studie zeigt nämlich auch, dass der Anteil von Barem unterschiedlich ausfällt - größere Anschaffungen wie Fernsehgeräte oder Kleidung werden mit Karte bezahlt, kleinere Dinge wie Backwaren und Süßigkeiten meist mit Barem. Je kleiner der Betrag, desto eher zahlt der Kunde bar.

Legt man die Anzahl der Transaktionen zugrunde und nicht den Umsatz, liegt der Bargeldanteil sogar bei 80 Prozent. Und da im Supermarkt selten sehr hohe Beträge anfallen, liegt der Bargeldanteil dort mit 86 Prozent über dem Schnitt. In Tankstellen, wo der Rechnungsbetrag meist über 50 Euro liegt, ist der Anteil weit niedriger.

Kreditkarten spielen bisher eine kleine Rolle

Beispiel Gaststättengewerbe: "Es gibt dazu keine speziellen Studien", sagt ein Branchenexperte, "aber nach unserer Beobachtung wird im Hotel zunehmend mit Kreditkarte gezahlt und im Restaurant mit EC-Karte. Nur in der Kneipe nebenan geht es weiter hauptsächlich mit Bargeld."

Das bestätigt auch die Untersuchung der Bundesbank: Der Bargeld-Anteil in Café, Kneipe oder Imbiss liegt demnach bei 97 Prozent, im Restaurant sind es 84 Prozent, in Hotels und Pensionen dagegen nur noch 33 Prozent. Doch der Trend ist unverkennbar: "Das Bargeld ist weiter auf dem Rückzug", sagt Horst Rüter vom Einzelhandels-Forschungsinstitut EHI. Im Durchschnitt sei dessen Anteil zuletzt jedes Jahr um einen Prozentpunkt gesunken.

Hielte diese Entwicklung an, wäre Bargeld in 60 Jahren komplett verschwunden. Rüter erwartet aber nicht, dass das Bargeld künftig noch viel stärker verdrängt wird, da inzwischen beinahe jeder Einzelhändler mit Karten-Lesegeräten ausgerüstet sei. 91 Prozent der Bundesbürger nutzen bereits die EC-Karte. Kreditkarten hingegen spielen in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle, ganz im Gegensatz zu Großbritannien oder den USA.

"Scheine und Münzen müssen teuer gedruckt werden"

Das liegt an einer deutschen Besonderheit: dem Dispokredit, den Banken ihren Kunden auf dem Girokonto einräumen. In angelsächsischen Ländern gibt es so etwas nicht, für kurzfristigen Konsum auf Pump ist die Kreditkarte da. Kreditkartenkonzerne wie Visa und Mastercard sehen in Deutschland deshalb noch großes Entwicklungspotential. Sie werden nicht müde, die Vorteile von Karten gegenüber Bargeld zu betonen. Ihr wichtigstes Argument sind die Kosten.

Branchenkenner halten es für absurd, welcher Aufwand für die Bargeldversorgung getrieben werde. Ein Experte beschreibt das Szenario so: "Scheine und Münzen müssen teuer gedruckt und geprägt werden, Transportunternehmen bringen es zu den Bankautomaten, der Kunde hebt Geld vom Automaten ab, zahlt damit die Ware beim Händler, der es wieder zur Bank bringt. Dann beginnt der Kreislauf von Neuem."

Nach einer europaweiten Studie von McKinsey kostet die Versorgung mit Bargeld jeden Bürger 200 Euro im Jahr. Es ließe sich also viel sparen. Doch gerade bei Kreditkarten hinkt Deutschland hinterher. Die Schweden zum Beispiel sind viel weiter, aber auch Länder wie die Türkei oder Polen. In Italien wird die Sozialhilfe längst auf die Mastercard überwiesen, über die Bürger sich auch mit Bargeld versorgen können.

Seltsamerweise wuchs die Menge an Bargeld

In London oder in Wien lassen sich die Parkgebühren mit Kreditkarte zahlen. In Deutschland setzt die Branche auf die "kontaktlose Bezahlung", bei der die Karte nicht mehr in ein Lesegerät gesteckt, sondern über einen Scanner gezogen wird. Eine neue Perspektive eröffnet das Zahlen per Handy mit einem eingesetzten Chip. Das würde das Zahlen kleinerer Beträge erleichtern. "Erst wenn das möglich und für den Handel auch wirtschaftlich vertretbar ist, wird es in Deutschland noch einmal einen richtigen Schub beim Einsatz von Karten geben", sagt Rüter.

Ein nur scheinbares Paradox ist, dass die Menge der umlaufenden Scheine und Münzen seit Einführung des Euro enorm wuchs. Derzeit sind es rund 800 Milliarden Euro, mehr als dreimal soviel wie 2002. "Das ist aber nicht auf den gestiegenen Bedarf von Bargeld für Zahlungszwecke in Deutschland zurückzuführen", so ein Bundesbank-Sprecher.

Ein Grund für den Anstieg der Bargeld-Menge ist das Horten: Die D-Mark-Bestände, die Bürger privat hielten, ersetzten sie nach der Währungsumstellung durch Euro. Mit der Finanzkrise, in der viele Angst um ihr Erspartes bekamen, nahm das Horten sogar wieder zu, zuletzt beruhigte sich die Lage etwas. Außerdem spielt der Euro außerhalb des Euro-Raumes, zum Beispiel in Osteuropa, als Zahlungs- und Wertmittel eine wichtige Rolle. So wie früher die gute, alte D-Mark.

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