Zäune:Die millionenfache Grenze

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Hier Meins, dort Deins: Zäune gelten als spießig, sind aber allgegenwärtig. Sie markieren Besitz und sollen Eindringlinge fernhalten - und manchmal durchziehen sie ganze Kontinente.

Mathias Menzel

Karnickel verhalten sich selten menschlich. Diese Lektion mussten die Australier lernen, als sie 1901 einen Zaun von der Nordküste zur Südküste bauten, 1800 Kilometer lang. Er sollte die Tiere vom weitgehend kaninchenfreien Westen des Kontinents fernhalten, im Rest des Landes waren sie schon zur Plage geworden. Allein: Die Mümmelmänner fanden Löcher und Wege, den Zaun einfach zu ignorieren, sodass sie bald den ganzen Kontinent bevölkerten.

(Foto: Foto: www.photocase.com)

Menschen hingegen sind es gewohnt, sich an die Signale des Zauns zu halten: bis hierhin und nicht weiter, hier meins, dort deins. Er trennt zwischen innen und außen, zwischen privat und öffentlich - und er verbindet die beiden Sphären.

Spießig, aber allgegenwärtig

Der Zaun hat dabei ein gewisses Imageproblem. Er will nicht recht passen in die freie Welt, in der die Grenzen fallen. Er gilt als spießbürgerlich, und doch ist er allgegenwärtig. Er tritt auf als Jägerzaun oder als Maschendraht, als Thujenhecke oder auch als Mauer.

Der Zaun ist schon immer da gewesen, in allen Kulturen. Und er sei etwas durch und durch Menschliches, schreibt der Südtiroler Autor Hans Karl Peterlini in seinem Buch Der Zaun: Schon die Zellen, aus denen sich einst Leben entwickelte, mussten trennen zwischen Schutz des Inneren und Durchlassen des Lebensnotwendigen. Der letzte Zaun der Menschheit sei die Atmosphäre, die die Erde vom Weltall trennt und menschliches Leben erst ermöglicht, so Peterlini.

Es liegt also anscheinend in der Natur, Grenzen zu ziehen und Zäune zu errichten. Sprachlich lässt sich seine Geschichte zurückverfolgen zum englischen town, (die Stadt), oder dem niederländischen tuin, dem Garten. Schon der Garten Eden, das Paradies, bedeutet im Altpersischen Umzäunung.

Städte wuchsen nicht auf freiem Feld, sondern in einem Rahmen, den die zum Schutz angelegte Stadtmauer vorgab. Für Bauern hatte der Zaun einst eine ganz praktische Bedeutung: Er hielt die Wildtiere, die sich gern bedienten, von Hof und Feld fern. Das klappte nicht immer, wie das Beispiel Australien zeigt.

Zäune waren eher da als Gesetze: Wer Zäune ungebeten überschreitet, begeht seit jeher Rechtsbruch, das ist bis heute so geblieben. Nicht umsonst wird so mancher Streit sprichwörtlich ,,vom Zaun gebrochen''. Der Zaun schafft Frieden für das, was er einschließt, und führt nicht selten zu Streitigkeiten, wenn er falsch platziert scheint.

Schon der Philosoph Jean-Jacques Rousseau wetterte einst in seinem Discours: ,,Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: 'Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört!'''

Als erstes steht der Zaun

,,Die Geschichte des Zauns lässt sich als Geschichte des Kapitalismus lesen'', sagt die Berliner Kulturwissenschaftlerin Nicole Andries, die sich für ihr Projekt Zaunwelten mit der Herkunft des Zaunes auseinandergesetzt hat. Ihr zufolge sind Zäune unmittelbar mit der Entwicklung des Privateigentums und der Individualität verbunden. Sie entstanden überall dort, wo Menschen ihren Besitz gegen andere abgrenzen mussten.

Das ließ sich beobachten bei der Erschließung des amerikanischen Westens durch die Siedler, die ihr neu erobertes Territorium zuerst umzäunten, um sich dann niederzulassen.

Auch heute noch steht beispielsweise in Italien oder Rumänien erst der Zaun oder eine Mauer, bevor mit dem Hausbau begonnen wird. Das kann mitunter Jahre dauern, Hauptsache ist, das Revier ist markiert. Amerikas Ureinwohner hingegen kannten nur Schutzzäune: Sie glaubten, die Erde sei den Menschen lediglich zur Benutzung überlassen, nicht, um sie in Besitz zu nehmen.

Selfmade-Zäune in Ostdeutschland

Überreste einer ganz eigenen Zaunkultur sind derzeit noch in Ostdeutschland zu besichtigen: Weil es so gut wie keine Zäune zu kaufen gab, gestalteten die findigen Menschen sie einfach selbst - wie sie es im gesamten Ostblock auch mit anderen Dingen taten: Sie griffen auf Abfallprodukte der Industrie zurück.

Nicole Andries, die zusammen mit ihrer Kollegin Majken Rehder diese Zäune und ihre Geschichte in Bild und Text festgehalten hat, war erstaunt, mit welcher Kreativität die Heimwerker zugange waren: Sie verwendeten Ausstanzteile, Moniereisen, Zahnräder oder Altglas, schweißten sie zusammen und strichen sie bunt an.

,,Der Gartenzaun sollte vor allem schön sein'', sagt Andries. ,,Er stand damit ganz im Gegensatz zu den grauen Einheitsfassaden der Häuser.'' Teilweise gab es ein regelrechtes Wetteifern der Nachbarn: Wer hat den schönsten Zaun der Straße? Gerade im eingemauerten und auf den Kollektivgedanken verpflichteten Staat DDR hätten die Zäune den Menschen Gelegenheit gegeben, ihre Individualität auszuleben, sagt Andries.

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