Wohnkonzepte:"Hören Sie auf Johanna"

Modellbaukasten der Berliner Wohnberatungsstelle

Spielend einfach: Mit einem Modellbaukasten konnten Besucher der Beratungsstellen ihre Wohnideen ausprobieren.

(Foto: Armin Herrmann)

Beratungsstellen haben den Bürgern nach dem Krieg gezeigt, wie man auf wenig Raum leben kann. Die Ideen sind auf einer Ausstellung zu sehen. Nun sind sie wieder aktuell.

Von Joachim Göres

Eine 65-Quadratmeterwohnung für eine vierköpfige Familie - davon konnten die meisten Menschen im Deutschland der Nachkriegszeit nur träumen. Diese Fläche wurde im Jahr 1954 vom "Komitee für Wohnungswesen", in dem namhafte Architekten zusammen mit politisch Verantwortlichen vertreten waren, als anzustrebende Standardwohnungsgröße beim Wiederaufbau Deutschlands festgelegt. Zahlreiche Experten machten sich auch über die ideale Einrichtung dieser Wohnungen Gedanken.

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Der Deutsche Werkbund (DWB), ein Zusammenschluss von Architekten und Designern, entwarf Konzepte für das Leben auf engem Raum und wetterte gegen wuchtiges Mobiliar, das historische Stile imitierte. Diese Möbel des sogenannten Gelsenkirchener Barocks waren teuer und passten kaum in die Neubaublocks - dennoch galten sie nach wie vor bei vielen Menschen als erstrebenswert. 70 Prozent aller Käufer seien Frauen, und 70 Prozent dieser Frauen kauften Kitsch - so eine in Werkbundkreisen verbreitete Überzeugung.

Die Experten forderten eine "Geschmackserziehung", um überkommene Vorstellungen und Werbung für unnütze Dinge zu bekämpfen. Dafür wurden ab 1953 in vielen deutschen Städten Wohnberatungen gegründet - daran erinnert jetzt die Ausstellung "Gern modern? Wohnkonzepte für Berlin nach 1945" im Berliner Museum der Dinge. Skizzen von Bürgern werden gezeigt, die 1946 in Berlin dazu aufgerufen wurden, eine Wohnung für vier Personen auf geringer Fläche zu entwerfen. Zu den Vorschlägen gehört beispielsweise die Idee, die Trennung von Wohn- und Schlafräumen aufzugeben - so sollte jeder Raum 24 Stunden nutzbar sein. "Damit ist die Wohnung schon doppelt so groß", schreibt die Journalistin Alix Rohde-Liebenau zu ihrem Vorschlag. Heute gewinnen die Vorschläge wieder an Aktualität. Die hohen Preise und Mieten zwingen vor allem die Stadtbewohner, ihre Wohnfläche so effizient wie möglich zu nutzen.

Architekten und Designer plädierten dafür, auf Plüsch und Plunder zu verzichten

In der Berliner Ausstellung können sich Besucher den Film "Hören Sie auf Johanna" von 1952 anschauen, in dem ein Ehepaar, das in einer mit viel Plüsch und Plunder eingerichteten Wohnung lebt, vom Wert moderner Stühle und Tische überzeugt werden soll. Keine Schnörkel, sondern schlichte, von Moden unabhängige Formen wurden propagiert. Diese Beratung mit erhobenem Zeigefinger wirkt heute häufig unfreiwillig komisch, in den 50er-Jahren war sie aber weit verbreitet. "Es gab beim Werkbund manchmal ein geradezu autoritäres Sendungsbewusstsein", sagt Ausstellungskuratorin Nicola von Albrecht.

1953 eröffnete der Deutsche Werkbund in einem Ladengeschäft in der Mannheimer Innenstadt seine erste Wohnberatungsstelle, weitere Einrichtungen folgten in München, Nürnberg und Berlin. Andere Träger wie zum Beispiel der Verband Deutscher Frauenkultur oder der Bund für Volksbildung richteten bis 1963 Wohnberatungsstellen in Düsseldorf, Frankfurt, Essen, Bochum, Hamburg, Stuttgart, Darmstadt, Köln, Hannover und Ulm ein. Die kostenlose Beratung wurde vor allem mit kommunalen Mitteln, zum Teil auch mit Geldern von Unternehmen finanziert.

"Beraten wurde am Plantisch anhand mitgebrachter Grundrisse und oft mithilfe kleiner Modellmöbel. Hier wurden Wohnfunktionen geklärt und Raumlösungen diskutiert. Zu sehen gab es Material vom Tapetenmuster bis zum Teeservice, vorbildliche Einrichtungen und Ausstellungen zur 'guten Form'", sagt Albrecht und fügt hinzu: "Mit der Zeit wurden die Wünsche der Interessenten stärker berücksichtigt, die ihr Problem schilderten und denen man Lösungsvorschläge machte."

Ein in der Ausstellung präsentierter Artikel aus der Süddeutschen Zeitung von 1969 würdigt anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Münchner Beratungsstelle die Tätigkeit von zwei Innenarchitekten, die im Gegensatz zu Möbelhäusern ihren Kunden nichts verkaufen wollen, sondern ihren unabhängigen Rat anbieten: "Sie wissen auch, daß das so verlockend wirkende Riesenmuster auf dem Vorhang im Schaufenster zwar originell, in einem 20-Quadratmeter-Raum aber niederschmetternd wirkt."

Nicht ausgespart wird in der Ausstellung die politische Entwicklung hin zum Kalten Krieg zwischen Ost und West, der auch auf dem Feld der Wohnungseinrichtung ausgetragen wird. 1952 tourte die US-Ausstellung "Wir bauen ein besseres Leben" durch Deutschland, in dessen Zentrum ein komplett eingerichtetes Idealhaus stand. Es ging darum zu zeigen, dass die "Gemeinschaft freier Völker" nicht nur über gemeinsame Werte, sondern auch über gemeinsame Haushaltsgegenstände und eine eigene Wohnkultur verfügt.

Die Internationale Bauausstellung in Berlin-West, in deren Rahmen 1957 im Hansaviertel in 60 Musterwohnungen moderne Wohnkonzepte mit leichten Möbeln in geschwungener Form präsentiert wurden, war eine Antwort auf die im Zuckerbäckerstil errichteten Wohnblöcke in der Ostberliner Stalinallee, in denen das Ideal von wuchtigen, repräsentativen Barockmöbeln für Arbeiter verkörpert wurde. Später zeigte man sich in der DDR neuen Einrichtungsdingen gegenüber offener - wegen Materialknappheit entstanden neue Produkte in leicht zugänglichen Stoffen wie Aluminium, Porzellan oder Kunststoff.

Eine in einem Kreuzberger Hinterhaus etwas versteckt liegende Sonderausstellung, der man viele Besucher wünschen kann - nicht zuletzt auch wegen der umfangreichen und höchst anschaulichen Dauerausstellung zur Gestaltung von Alltagsgegenständen, bei der immer wieder die Frage nach der "guten Form" aufgeworfen wird.

Die Ausstellung "Gern modern? Wohnkonzepte für Berlin nach 1945" läuft bis zum 26. Juni. Sie ist von Donnerstag bis Montag, 12-19 Uhr geöffnet. Oranienstraße 25, Berlin.

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