"Wie wir wohnen":Das Ende der Privatheit

Von der Bettstatt zur öffentlichen Kuschellandschaft: Das Schlafzimmer macht eine zwiespältige Karriere in Zeiten der Online-Kultur. Sind wir hier noch zu Hause?

Von Oliver Herwig

Diese Tür blieb verrammelt. Bei der Wohnungsführung wurde sie nur einen Spalt weit geöffnet, damit Gäste einen Blick in den Raum werfen konnten, und wieder zugezogen. Trotz Achtundsechzig und Aufklärung blieb das bürgerliche Schlafzimmer vor allem eines: privat. Es lag am Ende des Gangs, schön ruhig, eine Sackgasse im Bauplan des Hauses. Vorbei. Das Schlafzimmer ist nicht mehr der ach-so-schamhafte Ort der Partner, in den sich Eltern zurückziehen und das Licht löschen, es wandelt sich zum Repräsentationsraum der Lässigkeit. Hauptsache, das Bett ist groß und kuschelig. Dann kann man hier inzwischen ruhig Gäste empfangen und mit ihnen lümmeln.

Das neue Schlafzimmer steht allen offen und verlangt eine saloppe Zurschaustellung von Körper und Gemeinschaft. Pyjama-Parties sind inzwischen eine geniale Mischung aus kalkulierter Selbstentblößung und klugem Selbstmarketing. Wer alles aus seinem Leben postet, kann auch das Intime nicht plötzlich aussparen. Im Bett mit Freunden, das ist eine neue Art, den Tag zu feiern. Und warum auch nicht?

Das einstige Schlaflager der Paare gleicht längst bequemen Lümmellandschaften und rückt in den Mittelpunkt der Wohnung, bevorzugt in Kombination mit Riesenmonitor, begehbarer Garderobe und einem angrenzenden Bad. Das ist noch lange keine neue Kommune, aber doch ein Ruhepunkt der Erlebnisgesellschaft, die nicht länger für sich in kleine Bildschirme gucken muss. Die Trias aus Bett, Nachttisch und Kleiderschrank ist freilich erledigt, heute heißt es Komfortzone ist WLAN-Zone.

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Das Schlafzimmer mutierte über die Zeit zum öffentlichen Raum. In zwei Varianten: Der eine Typ soll großzügig sein und Eindruck schinden, der andere möglichst effizient zu nutzen sein.

(Foto: Ines Tanke/Aqua Cultura)

1922 forderte der Stammvater der Moderne, Le Corbusier: "Zieht euch nicht in eurem Schlafzimmer um. Das ist nicht ganz appetitlich und bringt unangenehme Unordnung mit sich." Das Ankleiden sollte man nach seinem Willen im Nebenraum des Bades erledigen, das im übrigen einer der größten Räume der Wohnung sein sollte, so wie früher der Salon: "Wenn möglich mit einer Wand, die nur aus Fenstern besteht und auf eine Terrasse zum Sonnenbaden hinausgeht." Diese Art von Offenheit und Ausblick bieten heute Monitore und Handy - das Gefühl, auch in der Wohnung mit dem draußen verbunden, mehr noch: Teil des Ganzen zu sein.

Dazu passt ein Wort, das seit einigen Jahren im Sprachschatz der Hausbesitzer auftaucht: Master-Bedroom. Schon der Name verweist auf einen, sagen wir: herrschaftlichen Anspruch, von hier aus das restliche Haus in Besitz zu nehmen und zu überblicken. Repräsentative Schlafstätten sucht das Land. Das verlangt vor allem Platz (und gute Innenarchitekten bei den Schnitten heutiger Neubauwohnungen). Kein Typ verkörpert diesen Wandel so sehr wie das Boxspringbett, bekannt aus Fernsehserien und so manchem (amerikanischen) Luxushotel. Schlafexperten und manche Senioren schwören auf den erhöhten Liegegekomfort des amerikanischen Klassikers, einer Kiste mit Federn, sprich: Federkernmatratze und Topping. Komfort erwächst aber nicht nur aus der Tiefe, sondern auch aus der Breite: das 140-Zentimeter-Queensize-bed wich dem französischen Bett mit seinen 160 Zentimetern samt durchgängiger Matratze - und dieses wiederum dem bis zu zwei Meter breiten Kingsize-bed. Die Deutschen werden schließlich immer größer und älter, zumindest statistisch.

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Zum angesagten Boxspringbett kommen diverse Auflagen, Bezüge und Polster, und schon wird aus der Schlafstatt ein repräsentatives Möbel, das mitten im Leben beziehungsweise mitten im Raum steht. Ein Kuschel- und Showtalent, das die Einbauschränke drum herum locker an die Wand spielt. So weit die neue Bettkultur, die tatsächlich etwas an höfische Sinnenfreude aus Brokat und Stickereien erinnert, bevor die bürgerliche Revolution das Paradeschlafzimmer zum Ort des Privaten degradierte. Ludwig XIV. hatte 200 Bedienstete für seine Morgentoilette versammelt, heute sind es 2000 Freunde online.

Der Alltag sieht natürlich etwas anders aus. Ab in die Kiste meint in der Regel eher die Größenverhältnisse des deutschen Durchschnittsschlafzimmers. Auf einem Hausbau-Forum ist folgender Dialog zu lesen: "Die Bruttogrößen der Kinderzimmer sind 14 Quadratmeter und das Elternschlafzimmer ist 16 Quadratmeter. Reicht das aus?" Die Frage ist berechtigt, auch angesichts der netten Antwort: "Kommt immer auf den Schnitt an - so kann man dazu nichts sagen. Wir haben zehn Quadratmeter für unser Schlafzimmer und das reicht uns." Nun liegen zehn Quadratmeter gerade an der Grenze zwischen Zimmer und Kammer. Eine Wohnexpertin rät daher zwischen zwölf und fünfzehn Quadratmeter einzuplanen, dazu eine Wand von drei Metern, für den Kleiderschrank.

Schlafzimmer, 1935

Einst diente das Schlafzimmer einzig als intime Schlafstätte.

(Foto: Wanda von Debschitz-Kunowski/SZ Photo)

Mit Notebook und Handy wird das Bett im Handumdrehen zum vollwertigen Arbeitsplatz

Was aber, wenn es doch nur zehn Quadratmeter sind? Dann hilft nichts als der "Rückzug aufs Hochbett", wie die taz angesichts steigender Mietpreise 2014 titelte - daran hat sich nichts geändert. Im Gegenteil. Längst sind Schlafzimmer auch so etwas wie die letzten Raumreserven der Wohnung, die langsam aufgefressen werden. Erst steht das Bügelbrett im Schrank, daneben der Staubsauger, dann folgen Hometrainer und andere Cardio-Geräte. Irgendwann steht auch der Schreibtisch im Schlafzimmer. Dann ist es aus mit dem Ort, wo der Geist zur Ruhe kommen soll und der Körper seinen Raum beansprucht.

"Mietet Wohnungen, die etwas kleiner als die sind, an welche euch eure Eltern gewöhnt haben", riet Le Corbusier. "Bedenkt die Ersparnis an Bewegungen." Heute fallen Wohnungen eher zwangsweise kleiner aus, weil sich kaum jemand mehr ungeteilte Gründerwohnungen leisten kann. Und das Schlafzimmer? Das ist eher eine Art Mini-Büro mit Mini-Schreibtisch und digitalem Aktenschrank im Notebook. Erstaunlich: Wir neigen dazu, abends nach Apps zum optimierten Schlafen zu suchen statt einfach ins Bett zu gehen. "Schlaf reduzieren, mehr erreichen", verbunden mit dem suggestiven Hinweis, wenig Schlaf sei schließlich ein Zeichen von Erfolg, zeigen, dass der Schlaf und mit ihm das Schlafzimmer gerade im Schussfeld der Selbstoptimierungsindustrie liegen, die nach den letzten Reserven eines sonst schon durchgetakteten Lebens sucht. Der Ort der Reproduktion und Regeneration ist tot, es lebe der selbstoptimierte Wohnkörper. Nach dem Aufstehen können wir es uns auf der Tagesdecke gemütlich machen, mit Notebook, Handy und Pad wird das Bett mit schulterhohen Rückenteilen im Handumdrehen zum vollwertigen Arbeitsplatz.

Vor 20 Jahren untersuchten die Soziologen Thomas Jung und Stefan Müller-Doohm die Schlafraumkultur der Erlebnisgesellschaft und diagnostizierten noch die "Privatisierung des Schlafens" und "eine von bürgerlichen Leitbildern geprägte Wohnraumkultur". Sie diagnostizierten zehn Haupttypen einer Schlafraumkultur, darunter den "ökologisch orientierten Natürlichkeitstypus", den "kreativ-avantgardistischen", den "multifunktional-raumökonomischen" den "biederrustikalen" und schließlich den "exotisch-transkulturellen". Offenbar sind wir heute alles in einer Person, nur eben zu unterschiedlichen Zeiten des Tages. Und noch etwas ist anders: Nichts ist geblieben von der "Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre" und der damit "immer engeren Grenzziehungen hinsichtlich persönlicher Schamgefühle." Die Entgrenzung der Arbeitswelt löst inzwischen auch die dicksten Mauern auf und verformt unser Leben. Wie es scheint, holt das Schlafzimmer, früher "die örtlich organisierte und sozial ausgestaltete Einheit von Schlaf und Beischlaf", wie Thomas Jung und Stefan Müller-Doohm schreiben, als Schau- und Empfangszimmer gerade das nach, was Küche und Bad bereits vorexerzierten. Es wird öffentlich. Und das in zwei Varianten. Der eine Typ strebt nach repräsentativer Größe, der andere sucht Effizienz auf kleinstem Raum. Beide verbindet, dass sie nicht mehr für sich stehen können, sondern eingebunden sind in den steten Strom der Freunde, der Klicks und Netzwerke.

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