Widerstand gegen elektronische Gesundheitskarte:Wir haben leider kein Foto für Sie

Es hat Jahre gedauert, jetzt ist die elektronische Gesundheitskarte da - und mit ihr ein Konflikt zwischen Krankenkassen und Versicherten. Wer seine Daten schützen will und kein Passbild einreicht, wird unter Druck gesetzt. Ärzte und Patienten kündigen Widerstand an.

Marvin Oppong

Schon 2006 sollte es soweit sein - es wurde Oktober 2011. Die elektronische Gesundheitskarte kommt. Nach jahrelangen Verzögerungen und Milliarden-Investitionen haben die ersten Kassen diese neue Karte ausgestellt. Die Techniker Krankenkasse kündigte im Mitgliedermagazin an: "Alle TK-Versicherten über 15 Jahre werden demnächst per Brief gebeten, ihr Passbild einzusenden." Im Gegensatz zur bisherigen Versichertenkarte ist die elektronische Karte mit einem digitalen Lichtbild versehen. Kartenmissbrauch werde so eingeschränkt, erklären die Kassen.

Bei einzelnen Versicherten regt sich, vor allem wegen Datenschutzbedenken, Widerstand. Renitente Versicherte, die kein Foto einreichen, werden von Kassen regelrecht unter Druck gesetzt.

In einem Schreiben an einen Versicherten, das der SZ vorliegt, nennt die BKK Herford Minden Ravensberg "Konsequenzen" bei der Weigerung, "ein Foto zuzusenden". Dem Versicherten drohe, dass er "als Privatpatient zu behandeln" sei "und die Kosten der Behandlung selbst zu tragen" habe. Die BKK beruft sich auf ein Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an verschiedene Kassen aus dem Jahr 2005. Darin heißt es, jeder Versicherte sei verpflichtet, beim Arztbesuch seine Versichertenkarte auszuhändigen.

Deutschlands größte Krankenkasse, die Barmer GEK, erklärte einem Versicherten in einem Schreiben, wenn er den Einsatz der Karte "generell ablehnen" sollte, könnten ihm "die erbrachten Leistungen privat in Rechnung" gestellt werden; zudem habe er mit "nicht unerheblichen Eigenanteilen" zu rechnen. Es gehe um "mindestens 2,50 und höchstens 40 Euro", erläutert ein Sprecher der Barmer GEK auf Nachfrage.

Die AOK Plus teilt einer Versicherten mit, sie sei nach dem Sozialgesetzbuch "zur Mitwirkung verpflichtet" - und müsse "demzufolge ein Lichtbild einreichen". Die AOK Plus nahm hierzu keine Stellung.

"Datenschutzrechtlicher Dammbruch"

Tatsächlich ist in Sozialgesetzbüchern geregelt, dass die Gesundheitskarte ein Lichtbild enthält und Patienten beim Arztbesuch "alle Tatsachen anzugeben" hätten, "die für die Leistung erheblich sind". So gesehen sind die Hinweise der Kassen auf die Rechtslage legitim. Sie verschweigen jedoch: Die Angabe der erheblichen Fakten könnte auch durch Vorlage der herkömmlichen Versichertenkarte oder mittels eines Ausweises erfolgen. Der Bundesmantelvertrag der Ärzte verpflichtet Versicherte zwar zur Vorlage der elektronischen Karte, billigt aber auch einen Anspruch auf Behandlung zu, wenn ein "anderer gültiger Behandlungsausweis" als Nachweis dient. Somit könnten die Kassen mit Ärzten auch in solchen Fällen abrechnen.

Schon im Mai 2010 beschloss der Deutsche Ärztetag, das Projekt Gesundheitskarte "in der weiterverfolgten Zielsetzung endgültig aufzugeben". Die geplante Online-Stammdatenaktualisierung widerspreche "dem Recht der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung durch die mögliche Erstellung von Bewegungsprofilen". Es gehe um eine "Vorratsdatenspeicherung aller Kontakte zwischen Ärzten und Patienten". Silke Lüder, Sprecherin der Initiative Stoppt die e-Card!, erklärt, es würden "alle Arztpraxen an die Infrastruktur der Kassen online angeschlossen". Dagegen werde es "noch massiven Widerstand" geben, kündigt sie an.

Einen Einblick in das, was über die digitale Karte gespeichert wird, gibt ein Schreiben der AOK Nord West an einen Versicherten, der kein Lichtbild abgeben wollte. Es werde "pro Versicherten nur ein Foto" hochgeladen, heißt es da. Werde ein zweites Mal ein Foto hochgeladen, würde die Krankenkasse "auch einen entsprechenden Hinweis hierauf" erhalten.

Die AOK Plus schrieb, die Bilddaten würden für "längstens zehn Jahre in einer gesonderten Bilddatenbank" aufbewahrt. Die Digitalisierung der Bilder erfolge, so die Kasse auf Anfrage, "durch einen externen Dienstleister". Der Name? Geheimsache. Auch die AOK-Ableger in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg betreiben derartige Bilddatenbanken.

In Stuttgart ist die Firma IST Care eingebunden, an der AOK-Dependancen (Hessen, Rheinland-Pfalz/Saarland) beteiligt sind. Es mehren sich Entscheidungen, die sich gegen die elektronische Gesundheitskarte richten: So beschloss Anfang März die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, "zwecks Abschaffung" des Online-Stammdatenmanagements tätig zu werden.

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein folgte mit einem ähnlichen Ukas. Bei Ärzten stößt die neue Karte vor allem wegen des Verwaltungsaufwands auf Widerstand. Die Krankenkassen würden versuchen, so die Kassenärzte Hamburgs, die Arztpraxen in "administrative Außenstellen" zu verwandeln. Ziel sei es, Investitionsaufwand der Kassen auf Kosten der Arztpraxen wieder einzusparen. Zu Quartalsbeginn drohten lange Wartezeiten und ein Crash der Datennetze.

Es gebe eine gemeinsame Entscheidung der Gesellschafter der Firma Gematik, also der Krankenkassen, Ärzteverbände, Apotheker und Krankenhäuser, so der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die hessischen Kassenärzte wenden sich gegen die zusätzliche Bürokratie. Und der Deutsche Ärztetag wertet ein vorgesehenes Schreibrecht von Krankenkassen für Organspende-Erklärungen als "datenschutzrechtlichen Dammbruch".

Das Gesundheitsministerium von Daniel Bahr (FDP) plant dennoch eine Ausweitung der umstrittenen Karte. So sollen auch Informationen über Medikationen, Allergien oder Schwangerschaft gespeichert werden können. Und Ärzte schicken demnach künftig, so die Vision, die Befunde elektronisch.

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